Herne. Das Gospelprojekt Ruhr feiert 20-jähriges Bestehen. Leiterin Christa Merle berichtet von der bewegten Geschichte des Vereins und blickt zurück.
„Was machst du denn hier?“, fragt Christa Merle, nachdem sie am Straßenrand angehalten und ihre Fensterscheibe runtergelassen hat. „Ich gehe nach Hause“, antwortet das 9-Jährige Mädchen auf dem Bürgersteig, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Aisha* hatte zuvor eine Friday Night besucht, eine monatliche Veranstaltung des Gospelprojekts Ruhr, bei der Kinder gemeinsam tanzen und singen. „Du musst doch nach Wanne, das ist weit. Weißt du den Weg?“ Aisha hebt ihre Hand, darin hält sie ein Handy: „Hier gucke ich nach.“ Christa Merle öffnet die Beifahrertür. „Steig ein“, sagt sie. „Ich bringe dich nach Hause.“
Zu Hause, das ist für Aisha eine kleine Hinterhof-Wohnung in Wanne, in der sie mit ihrer alleinerziehenden, kranken Mutter und ihren zwei jüngeren Geschwistern lebt. „Seit diesem Abend ist Aisha bei uns im Verein“, erzählt Merle. „Sie ist wirklich eine der talentiertesten Sängerinnen und hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich entwickelt.“ Es sind Geschichten wie diese, die Christa Merle die Kraft geben, das Gospelprojekt Ruhr auch in Krisenzeiten voranzutreiben.
Kulturhauptstadt Ruhr: Kurzfristige Absage kam unverhofft
Krisen, davon gab es in der 20-jährigen Geschichte des Gospelprojekts einige. 2010 etwa, als kurz vor knapp und ganz unvermittelt die Absage für die Teilnahme an der Kulturhauptstadt Ruhr kam. Eigens dafür eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten wieder entlassen werden, Fördergelder in sechsstelliger Höhe waren weg. „Das hat uns enorm zurückgeworfen“, erinnert sich Christa Merle. „Irgendwie haben wir uns aber doch immer berappelt. Meistens durch eine Fügung.“
Das Schicksal wollte es damals wohl so, dass das nicht das Ende des Gospelprojekts gewesen sein sollte. Der damalige Vorsitzende des Fördervereins, Karl Erivan Haub, gewährte dem Verein einen zeitlosen Kredit und sicherte damit dessen Existenz. „Ihm war es immer wichtig, uns nachhaltig zu fördern und nicht nur Geld zu geben“, sagt Christa Merle.
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Umso gravierender dann der Einschnitt, als Haub im April 2018 in den Schweizer Alpen verschwand. Die gemeinsamen Pläne, dem Gospelprojekt ein neues Center mit 1200 Zuschauerplätzen zu bauen, waren damit vorerst vom Tisch. Auf der anderen Seite erhöhte sich der Druck, denn der bisherige Standort, die Dannekamschule, musste geräumt werden.
Ruhrstadt-Arena konnte in letzter Minute ersteigert werden
„Es war für uns wie ein Wunder, dass wir 2019 die Ruhrstadt-Arena in einer Zwangsversteigerung kaufen konnten“, erzählt Merle. „Kurz vor unserem Preislimit sprang der andere verbliebene Bieter, ein Investor aus Bayern, ab.“ Viel Zeit, den Betrieb in den neuen Räumen zu gestalten blieb dem Gospelprojekt allerdings nicht. Corona und mehrere Lockdowns bremsten sämtliche Kurse und Veranstaltungen aus. Aber untätig rumsitzen? Nicht denkbar. „Wir haben das beste aus der Zeit gemacht und umfassend renoviert“, erzählt die studierte Musikerin. „Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter waren und sind eine wahnsinnige Unterstützung, ohne sie wäre das alles undenkbar.“
Anders als in vielen Sportvereinen und Fitnessstudios sind die Mitgliederzahlen beim Gospelprojekt in den Lockdown-Zeiten nicht eingebrochen, nur Einzelne kündigten ihre Mitgliedschaft. „Wir sind so viele wie nie, 1020 Mitglieder sind es aktuell.“ Dass Christa Merle darauf stolz ist, ist ihr deutlich anzusehen.
Gospelprojekt Ruhr: „Das ist einfach meine Berufung“
Aus dem einstigen Gospelchor mit mehr als 200 Sängerinnen und Sängern hat sich eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche entwickelt, die Begabungen in den Fokus stellt – ungeachtet der Herkunft und finanziellen Lage. In den drei Abteilungen Spotlight, Guidance und Crossfit werden Gesang, Tanz und Fitness gefördert. Dabei sind von kleinen Kindern bis hin zu Erwachsenen alle Altersgruppen vertreten.
„Viele Kinder sind schon jahrelang bei uns“, sagt Christa Merle. „Sie aufwachsen zu sehen und bei ihrer Entwicklung zu unterstützen, das ist das größte Geschenk für mich.“ Egal, gegen welche Widerstände, „das ist einfach meine Berufung.“
*Name geändert
>>> Weihnachtskonzerte des Gospelprojekts
Unter dem Titel „Christmas Promise“ veranstaltet das Gospelprojekt seine diesjährigen Weihnachtskonzerte. Mehr als 600 Kinder aus der Gesangsgruppe Spotlight und der hauseigenen Ballettkompanie „Fruition“ stehen in der Ruhrstadt-Arena auf der Bühne.
Termine: Freitag, 17. Dezember um 19.30 Uhr, Samstag, 18. Dezember um 13.30, 16.30 und 19.30 Uhr sowie Sonntag, 19. Dezember um 13.30 und 16.30 Uhr. Tickets können für 24,80 Euro (ermäßigt 16,80 Euro) ab dem 22. November unter www.gpr-ev.de vorab gekauft werden.