Mülheim. Karl-Erivan Haub endgültig für tot erklärt. Zweifel am Schicksal des verschollenen Tengelmann-Chefs bleiben aber bestehen. Was bleibt von ihm?

Nun ist er also offiziell für tot erklärt: Das Amtsgericht Köln hat das Ende des Lebens von Karl-Erivan Haub auf den 7. April 2018, Mitternacht, zurückdatiert. Gegen den Beschluss vom 14. Mai sei „innerhalb der Beschwerdefrist keine Beschwerde eingegangen“, teilte das Gericht am Mittwoch mit. „Die gesetzliche Vermutung, dass der Verschollene in dem im Beschluss festgestellten Zeitpunkt gestorben ist, ist damit rechtlich wirksam.“

Jener 7. April vor drei Jahren war der Tag, als der damalige Tengelmann-Chef nicht mehr von einer Skitour in Zermatt in der Schweiz zurückkehrte. Die Todeserklärung ist eine Entscheidung nach Aktenlage. Solange die Leiche des Milliardärs nicht gefunden ist, werden die Spekulationen über sein Schicksal vermutlich nicht abreißen.

Trugbild der heilen Familie

Wer war dieser Karl-Erivan Haub wirklich? Öffentlichkeit und Mitarbeiter erlebten den einflussreichen Mülheimer Unternehmer als Selbstbewusstsein ausstrahlenden, zupackenden Manager. Er stieg aus dem Lebensmittelgeschäft komplett aus und baute das lukrative Geschäft mit Beteiligungen und Immobilien aus. Regelmäßig las Haub der behäbigen Politik die Leviten, kritisierte die verkrusteten Strukturen in Deutschland. Und er gab sich als Mensch, für den die Familie über allem zu stehen schien.

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Ein Trugschluss. Das Verhältnis zu seinen beiden Brüdern und Miteigentümern, Christian und Georg, war zerrüttet. Und Karl-Erivan Haub hatte keinerlei Vorsorge für den vorzeitigen Erbfall getroffen. Nach seinem Verschwinden drohte seinen beiden Kindern Viktoria und Erivan plötzlich eine so gewaltige Erbschaftssteuer-Bürde, die sie unmöglich allein schultern konnten. Sie waren auf die Hilfe ihres Onkels, den nunmehr alleinigen Tengelmann-Chef Christian Haub, angewiesen. Ausgerechnet Christian Haub, der nach eigenen Angaben ein Leben lang darunter litt, dass seine Eltern Karl-Erivan mehr liebten. Der im WAZ-Interview plötzlich offen über das Zerwürfnis mit seinem Bruder berichtete. Der Karl-Erivan vorwarf, eine Menge Geld aus der Firma gezogen zu haben.

Beispielloser Kampf um Macht und Milliarden

Sein Einfluss in der Tengelmann-Gruppe wächst gewaltig: Konzernchef Christian Haub.
Sein Einfluss in der Tengelmann-Gruppe wächst gewaltig: Konzernchef Christian Haub. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Satzung der Familie will es, dass die Gesellschafter ihre Unternehmensanteile nur an ihre Kinder weitergeben können. Innerhalb dieses engen Korsetts entwickelte sich ein beispielloser Kampf um Macht und Milliarden. Die einst so harmonisch nach außen gerichtete Fassade der Unternehmerfamilie Haub zerbrach in tausend Teile. Am Ende zeichnet sich ab, dass Christian Haub als großer Gewinner aus der Auseinandersetzung hervorgehen könnte. Durch den geplanten Kauf der Anteile seines Bruders dürfte er demnächst über eine Machtfülle im Tengelmann-Reich verfügen, wie kaum ein Vorgänger in der fast 155-jährigen Firmengeschichte.

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Ausgerechnet der Außenseiter Christian Haub soll praktisch das alleinige Sagen erhalten und den dritten Bruder und Gesellschafter, Georg, mit seiner Zweidrittel-Mehrheit locker überstimmen können. Christian Haubs emotionale Äußerungen in der WAZ hatten im Oktober 2020 Kreise gezogen: „Mein Bruder Karl-Erivan hatte schon immer einen Macht- und Alleinvertretungs-Anspruch unter uns drei Brüdern erhoben und wurde darin von meinen Eltern, als deren Lieblingssohn er galt, auch noch unterstützt.“ Selbst kurz nach dem Verschwinden von Karl-Erivan habe seine Mutter verhindern wollen, dass Christian Haub die alleinige Führung bei Tengelmann übernimmt.

Christian Haub baute Tengelmann radikal um

Doch trotz allen familiären Gegenwinds übernahm Christian Haub in dieser beispiellosen Situation Verantwortung, brach seine Zelte in den USA ab, zog nach München, baute den Konzern zu einer schlanken, dezentralen Holding um und verkaufte die riesige Unternehmenszentrale in Mülheim. Der neue Chef holte die Entscheidungen nach, die Karl-Erivan Haub nach dem kräftezehrenden Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann Ende 2016 vor sich hergeschoben hatte. Der sonst so zupackende Konzernlenker mit dem Image eines Machers wirkte zuletzt müde. Ihm fehlte die Skizze, wie es mit Tengelmann ohne das so lange Zeit prägende Lebensmittelgeschäft weitergehen sollte.

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Die dubiosen Umstände seines Verschwindens nahmen interessierte Akteure während des sich immer weiter zuspitzenden Familienkrachs zum Anlass, das Denkmal Karl-Erivan Haub vom Sockel stoßen zu wollen. Am Ende sollte es aber nur erheblich bröckeln. All die Spekulationen über ein Doppelleben, ein Untertauchen oder gar eine Agententätigkeit des Milliardärs für den russischen Geheimdienst reichten dem Kölner Amtsgericht nicht, die Todeserklärung zu stoppen. In der Nacht zu Mittwoch ist nun auch auch die letzte Frist für Widersprüche abgelaufen.

Karl-Erivan Haub musste verkaufen, was sein Vater aufgebaut hatte

In den zum großen Teil von Privatdetektiven, vermeintlichen Bergsteigern und einer Journalistin zusammengetragenen Hinweisen sah das Gericht keine hinlängliche Beweiskraft. Die staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Ermittlungen im Fall Karl-Erivan Haub wurden im schweizerischen Zermatt 2018 rasch abgebrochen. Offenbar gab es keine Anhaltspunkte für einen Mord, eine Entführung oder einen Freitod, und Untertauchen ist nach deutschem Recht nicht strafbar und allenfalls ein Verstoß gegen das Melderecht.

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Fast 20 Jahre hat Karl-Erivan Haub den einst größten deutschen Handelskonzern gelenkt. Über weite Teile seiner Amtszeit war er damit beschäftigt, das von seinem Vater Erivan Haub zusammengekaufte Konglomerat von Tochterunternehmen zu straffen. Er trennte sich von Ketten wie Plus, kd, Akzenta, Ledi und zuletzt auch Kaiser’s Tengelmann.

Groll des Vaters machte Karl-Erivan zu schaffen

Der Groll des Seniors, der vier Wochen vor seinem Sohn gestorben war, machte ihm dabei sichtlich zu schaffen. Darüber sprach er immer wieder. Karl-Erivan Haub hatte aber eingesehen, dass Tengelmann mit den Rivalen Edeka, Rewe, Aldi und Lidl nicht mithalten konnte. Tiefen Respekt empfand er vor allem vor der Mülheimer Albrecht-Familie und deren konsequente Fortentwicklung des Discount-Konzepts.

Bei aller Sanierung war es Haub aber ein Anliegen, dass die verbliebenen Tochterunternehmen Obi, Kik und Babymarkt, aber auch Venture Capital und Immobilien in NRW und dem Ruhrgebiet ihre Heimat behielten. Unter seiner Ägide hat Tengelmann kulturell, sozial und sportlich viel getan für das Revier und Mülheim. Vom neuen Tengelmann 21, dass Christian Haub aufgebaut hat, bleibt der Stadt an der Ruhr allein der juristische Sitz.