Mülheim. Unauffindbare Millionen und eine Geliebte: Drei Jahre nach seinem Verschwinden wachsen Zweifel, dass der Tengelmann-Chef tödlich verunglückte.
Kurz vor Weihnachten haben sie sich dann doch noch zusammengerauft: Ab 1. Januar wacht ein neuer Beirat über den Mülheimer Handelsriesen Tengelmann. Auf den erbitterten Streit unter den Stämmen der Eigentümerfamilie Haub folgen erst einmal leisere Töne. Sie schweigen selbst zu neu aufgeflammten Spekulationen über das Schicksal des seit fast drei Jahren verschollenen Firmenlenkers Karl-Erivan Haub.
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Offiziell gab es bislang kaum Zweifel daran, dass Haub an jenem 7. April 2018 bei einem Skiausflug auf dem Kleinen Matterhorn in der Schweiz verunglückte. Trotz intensiver Suche der Bergrettung wurde der Tengelmann-Chef aber nie gefunden. Inzwischen heißt es nach übereinstimmenden Angaben aus dem Umfeld seiner Familie, dass ein tödlicher Unfall in einem Gletscher die unwahrscheinlichste Variante sei. Theorien von einem Gewaltverbrechen machen die Runde, aber vor allem auch die Möglichkeit, dass Karl-Erivan Haub noch leben könnte.
Karl-Erivan Haub: Details aus Ermittlungsakten heizen Mutmaßungen an
Auf Anfrage wollen sich die Familienstämme zum Verbleib von „Charlie“, so der Kosename, nicht äußern. Den Quellen zufolge gibt es offenbar viele Indizien, Beweise dagegen nicht. Details aus den Ermittlungsakten, die beim Amtsgericht Köln liegen, sickern durch. Sie heizen die Mutmaßungen weiter an.
So soll Haub den Piloten seines Firmenflugzeugs kurzfristig zum Zielort Zermatt in der Schweiz umdirigiert haben, wo er in einem Hotel abstieg. Seine Fitnesstrainerin habe für den 7. April eigentlich nur einen Saunagang statt einer Bergtour empfohlen, zu der der Unternehmer überdies gegen den Rat erfahrener Alpinisten allein und mit dünner Jacke aufgebrochen war. Ein Foto von der Bergstation, das das „Manager Magazin“ jüngst veröffentlichte, zeigt die leichte Bekleidung. Die beiden Aufnahmen hatte die Familie auch auf Bitten unserer Redaktion bislang nicht freigegeben. Dabei hätten sie bei der Suche nach Haub behilflich sein können. Jetzt tauchen die Fotos plötzlich auf.
Polizei findet Nachrichten von mutmaßlicher russischer Geliebten
Während der Milliardär Haub gemeinhin peinlich auf seine persönliche Sicherheit achtete und aus Angst vor einer Entführung täglich die Route von seinem Wohnort Köln zur Tengelmann-Zentrale in Mülheim wechselte, schaltete er am 7. April 2018 sein Handy aus, bevor er gegen neun Uhr zur Bergtour aufbrach. Eine Ortung war deshalb unmöglich. Die Polizei sollte auf dem Smartphone später eine Nachricht von Veronika E. finden, in der sie ankündigt, nach Moskau zu reisen.
Die ehemalige Eventmanagerin aus St. Petersburg soll laut Medienberichten seit vielen Jahren die junge Geliebte von Karl-Erivan Haub gewesen sein. Mit seinem russischen Pass, der in den Ermittlungsakten immer wieder eine Rolle spielen soll, sei der Unternehmer aus Mülheim häufiger auf eigene Faust nach Russland gereist. Medien schreiben von einem „Doppelleben“, das Charlie Haub geführt haben soll. Kurz nach dessen Verschwinden soll auch Veronika E. den Berichten zufolge nicht mehr auf E-Mails oder via Facebook reagiert haben.
Ungereimtheiten: Von 40 Millionen Euro fehlt jede Spur
Hinzu kommen Ungereimtheiten, die der internen Revision im Tengelmann-Konzern bis zum Jahr 2015 aufgefallen sein sollen, als Karl-Erivan Haub den Discounter Plus in Russland wieder aufleben lassen wollte. Von 40 Millionen Euro fehle jede Spur, heißt es.
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Keine leichte Nachrichten-Kost für Haubs Ehefrau Katrin (58) und ihre Zwillinge Viktoria und Erivan (beide 27). Sie müssen nicht nur emotional das Verschwinden des Ehemanns und Vaters verarbeiten. Den Kindern wird im Erbfall auch rund ein Drittel der Anteile an der Tengelmann-Gruppe zufallen. Weil die Zwillinge so wie ihr Vater die deutsche und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit haben, werden beide Länder Erbschaftssteuer kassieren wollen. Die Rede ist von zusammen bis zu 600 Millionen Euro. Eine Summe, die die Familie trotz ihres Reichtums nicht aus eigener Kraft aufbringen kann.
Star-Anwalt Peter Gauweiler soll gordischen Knoten durchschlagen
Seit Jahren verhandelt der Familienstamm mit Karl-Erivan Haubs Bruder Christian, der das Unternehmen inzwischen allein führt, über eine Lösung. Bislang ohne Erfolg. Nachdem Katrin Haub und ihre Kinder mehrfach die Anwälte wechselten, soll nun der Star-Anwalt Peter Gauweiler den gordischen Knoten durchschlagen.
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Der ehemalige CSU-Staatsminister unter Franz-Josef Strauß, der schon den Medienunternehmer Leo Kirch vertrat und Verfassungsklagen gegen die Europäische Zentralbank führte, versteht sich offenbar gut mit seinem Gegenspieler, den Christian Haub vor einem halben Jahr engagiert hatte: Promi-Anwalt Mark Binz, der sich auf Familienunternehme spezialisiert und schon für Haribo, Tönnies und Dr. Oetker die Kohlen aus dem Feuer geholt hat. Beide Juristen sind 71 Jahre alt und haben sich auf einen Schlachtplan verständigt.
Gesellschafterstreit soll im neuen Jahr beigelegt werden
Nach Informationen unserer Redaktion wollen sie im neuen Jahr einen Kompromissvorschlag auf den Tisch legen und haben sich bis dahin gegenseitig ein Schweigegelübde auferlegt. Binz will nur so viel sagen: „Die jetzt begonnenen Verhandlungen haben zum Ziel, den seit über zwei Jahren schwelenden und zuletzt eskalierten Gesellschafterstreit - nicht zuletzt im Interesse des Unternehmens - rasch zu beenden.“
Den Streit über die Zusammensetzung des Tengelmann-Beirats haben Binz und Gauweiler bereits geschlichtet. Das Gremium, das über den Familienkonzern mit mehr als 90.000 Mitarbeitern, acht Milliarden Euro Umsatz und Beteiligungen an Firmen wie Obi, Kik, Tedi, Zalando und Delivery Hero wacht, wird ab Januar vom Beiersdorf-Vorstand Thomas Ingelfinger geführt. Zum Beirat gehören zudem Astrid Hamker, Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrats, und der Unternehmer Claus Epping.