Herne. Der zeitgenössische Zirkus rückt in den Fokus. Die Herner Flottmann-Hallen und der Circus Schnick-Schnack hoffen, davon zu profitieren.

Schon im Kulturhauptstadtjahr wagte sich Herne auf damals neues Terrain: Mit „Cirq’ouleur“ stellte Christian Strüder von den Flottmann-Hallen 2010 das erste Festival für „Neuen Zirkus“ in der Region auf die Beine, 2013 und 2015 folgten zwei weitere. Inzwischen hat auch das Land NRW den zeitgenössischen Zirkus auf dem Schirm. Er soll - wie die Urban Arts, die digitalen Künste und die Club-Kultur - im Rahmen des Programms „Neue Künste Ruhr“ ab 2022 besonders gefördert werden.

Mehrere Akteure aus der Region haben sich bereits Ende 2020 zum Bündnis Neuer Zirkus Ruhr zusammengeschlossen, darunter auch die Flottmann-Hallen, Urbanatix und die Ruhrfestspiele. „Ziel ist es, den Neuen Zirkus im Ruhrgebiet voranzubringen“, erklärt Christian Strüder, zuständig für die Gastspiele bei Flottmann. Er solle „als eine eigene Kunstform anerkannt werden“. Was bisher fehle, sei „ein Koordinierungsbüro, das die Aktivitäten zusammenführt“.

Keine Zirkus-Szene im Ruhrgebiet

Anders als in Berlin, wo eine Zirkusschule den Nachwuchs ausbildet, oder in Holland, Belgien und Frankreich gebe es im Ruhrgebiet noch keine eigene Künstlerszene. Der „Aufbau einer Infrastruktur und von Ausbildungsmöglichkeiten“ sei somit ein Anliegen des Bündnisses, dem sich gerne weitere Interessierte anschließen dürfen.

Erste Vernetzungen gibt es bereits. Mit dem „open space“ in Bochum ist an der Jahrhunderthalle eine Trainingsstätte in Deutschland für Streetartisten geschaffen worden. Und die Flottmann-Hallen möchten per Landesförderung ein selbsttragendes Traversensystem anschaffen, mit einer ausreichenden Tragelast für Luftakrobatik, damit auch diese artistische Disziplin in den Hallen ausgeübt werden kann.

Auch Circus Schnick-Schnack hofft auf Rückenwind

Profitieren könnte vom Aufwind für den Neuen Zirkus auch der 1996 gegründete Herner Circus Schnick-Schnack, der sich - inspiriert vom Cirque du Soleil - ebenfalls in dieser Tradition sieht, wie Christopher Deutsch als künstlerischer Leiter (mit Christian Stoll) erklärt und ebenfalls dem Bündnis beitreten will. Man sei nicht „der Zirkus für Kinderbespaßung“, auch wenn Schnick-Schnack alljährlich mit 900 Grundschulkindern in Herne arbeite, plus einem weiteren Kreis von 100 Kindern und Jugendlichen.

Die Compagnie Circulution beim Auftritt im Circus Schnick-Schnack im Oktober 2020. Der Herner Zirkus sieht sich in der Tradition des Neuen Zirkus.
Die Compagnie Circulution beim Auftritt im Circus Schnick-Schnack im Oktober 2020. Der Herner Zirkus sieht sich in der Tradition des Neuen Zirkus. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Auch Christopher Deutsch fehlt in Deutschland die Anerkennung für die Kunstform Neuer Zirkus: „Wir hoffen, durch den Rückenwind diesen Kunstbereich weiter ausbauen und professionalisieren zu können.“ Ein Konzept sieht u.a. den Ausbau des (gemieteten) Standortes an der Eschstraße vor, für den es allerdings Verkaufsabsichten gibt. Eine Alternative ist noch nicht in Sicht. Deutsch hofft, neben den schon bisher gewährten Fördermitteln für pädagogische Arbeit, künftig auch Mittel für Infrastruktur und künstlerische Aufgaben wie Regie, Choreografie oder Bühnenbild beantragen zu können.

Kurzresidenzen bei Flottmann

Christian Strüder will die Flottmann-Hallen auch weiterhin punktuell Zirkus-Künstlern für Probenzwecke zur Verfügung stellen, wenn der Belegungsplan es zulässt. So hatte kurz vor der Pandemie die Jonglier-Compagnie Critical Mess dort geprobt und die Premiere von „Dodai“ in Herne präsentiert. Die für die Ruhrfestspiele ausgewählte Produktion „Dear Doubts“ von Revue Regret kommt im Mai/Juni für die Lichtprobe in die Hallen. Sie wurde als eine von drei Kreationen für das Förderprogramm „Zirkus On“ des Bundesverbandes Zeitgenössischer Zirkus ausgewählt. Jurymitglied Strüder: „Wir wollen junge, frische Künstler animieren, hier zu produzieren.“

In den Flottmann-Hallen wartet man nun auf sinkende Inzidenzen. Wenn es weiter bergab geht, könnte das Trio Tridiculous beim Open Air im Juni 2021 mit einem kleinen Programm auftreten. Die seit Frühjahr 2020 angepeilte abendfüllende Produktion „3DCLS“ ist das dritte Mal verschoben worden - auf März 2022.

DER NEUE ZIRKUS

Der zeitgenössische Zirkus ist laut Definition des Bundesverbandes Zeitgenössischer Zirkus (BUZZ) „eine Kunstform, bei der Zirkus-Disziplinen in ein dramaturgisches und ästhetisches Gesamtkonzept eingebunden sind.“

Akrobatik, Objektmanipulation, Balance und Luftartistik sind die Ausdrucksmittel der Performer.

Auf Tiere wird verzichtet.