Herne. Die Artistengruppe Critical Mess hat in den Herner Flottmann-Hallen ihre neue Produktion uraufgeführt. „Dodai“ lässt Grenzen verschwimmen.
Jonglieren ist sicher kein Hexenwerk und kann sich doch nicht von einer gewissen Magie frei machen, die seit der Antike die Menschen ins Staunen versetzt. Die Artistengruppe Critical Mess weiß diesen Umstand zu nutzen und lässt es am vergangenen Freitag in den Flottmann-Hallen buchstäblich rund gehen, wo ihre Show „Dodai“ eine mystische Uraufführung feiert.
Angefangen beim Titel, der sich aus den beiden italienischen Wörtern „do” (ich gebe) und „dai” (du gibst) zusammensetzt, geben sich die beiden Damen und fünf Herren geheimnisvoll, und werfen in mal hektischen, mal ausgebremsten Choreografien mit ihren schier endlosen Bällen ebenso viele Fragen auf. Ein Laut, und die Bälle fliegen durch die Luft, werden im Fall gefangen, in die Kaskade aufgenommen und zurück an den Absender geschickt, dessen Augen und Hände überall zugleich zu sein scheinen.
Weiße Schlieren vor schwarzem Hintergrund
Vor schwarzem Hintergrund ziehen weiße Schlieren an den Zuschauern vorbei, die kaum noch den einen runden Körper vom anderen unterscheiden können, so unnachgiebig fließt der Strom, angetrieben durch metallenes Knarzen aus den Boxen. Socken brauchen die Akteure dafür ebenso wenig wie ein Bühnenbild, das ohnehin nur im Weg stehen und Stillstand bedeuten würde.
So pulsiert die Meute über die Bühne, treibt auseinander und formt schließlich einen Kreis, in dessen Mitte sie einen der Ihren immer enger umschließt, Haut an Haut, bis die Gestirne schließlich in ruhigen Bahnen ihren Stern umkreisen und die weißen Bälle wie Monde an sich halten. Surreal, fast wie ein Fiebertraum, formt sich anschließend eine Karawane aus verrenkten Gestalten, die vom letzten verbleibenden Scheinwerfer hoch oben in der hintersten Ecke angezogen wird und mit starren Blick in das grelle Licht schaut. Die Jonglage wird Nebensache und die Bälle scheinen eine göttliche Aufladung zu erfahren, werden gehütet wie der eigene Augapfel.
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Choreograf gibt immer wieder Freiräume
Nach einer Stunde ist Schluss und da die Frage nach einem Sinn des Ganzen ohnehin von jedem selbst beantwortet werden muss, hier eine andere: Wie viel Improvisation steckt in den einzelnen Choreografien? „Es gibt einen festen Ablauf, mir war es jedoch wichtig, immer wieder Freiräume zu geben, in denen sich jeder so bewegen kann, wie er möchte“, erklärt Regisseur Stefan Sing das ausgiebige Treiben nach tosendem Applaus der begeisterten Zuschauer.
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In ihrem Jonglage-Tanz-Theater treffen sieben Jongleure, ein Lichtdesigner und ein Musiker aus acht europäischen Ländern aufeinander.
Der Premiere von „Dodai“ am Freitag folgte eine weitere Aufführung in den Flottmann-Hallen am Samstag.
Regisseur Stefan Sing begann im Alter von zwölf Jahren zu jonglieren und unterrichtet die Kunst neben seiner Tätigkeit als Regisseur.
In der Jonglage komme es zudem immer mal wieder zu „Fehlern“, wobei das das falsche Wort sei. In solchen Momenten verließen alle Beteiligten die Choreografie, um wenig später wieder einzusteigen, so Stefan Sing weiter. Doch wie das mit der Gretchenfrage nun mal so ist, drängt sie sich zu gerne auf und bringt schließlich doch den Regisseur zum Lachen: „Ich will nicht eindeutig sein, sondern ein Bild schaffen, in dem jeder etwas anderes sehen kann. Ist es nicht ein Traum von jedem, sich in einem Zustand zu befinden, wo alle Grenzen verschwimmen?“
Bestimmt ist diese Art der Aufführung nicht jedermanns Geschmack und vielleicht etwas zu viel Kunst. Für alle anderen jedoch ein lebhaftes wie flüchtiges Bild, dessen Details erkundet werden möchten.