Herne. Ist Herne auf dem richtigen Kurs? Werden die richtigen Schwerpunkte gesetzt? Darüber streiten Ratskoalition und Opposition im Herner Rat.

Die Opposition im Herner Rat wirft der rot-schwarzen Koalition schwere Versäumnisse vor. SPD und CDU sehen Herne dagegen auf einem guten Weg. Die Diskussion um den Haushalt war geprägt von der Corona-Krise.

In Zeiten der Corona-Krise ist auch in der Politik vieles anders. Die Ratssitzung, die am Dienstag stattfinden sollte, wurde abgesagt, dafür sprang der Haupt- und Personalausschuss ein, mit deutlich weniger Ratsvertretern. Und auch die Verabschiedung des Haushalts, im Rat alljährlich ein großes Thema, war dabei nur ein Randaspekt: Die Haushaltsreden der Fraktionen und Gruppen, die schon mal zwei Stunden dauern können, wurden komplett gestrichen. Stattdessen wurden die Redemanuskripte schriftlich verschickt. Nur Timon Radicke, der CDU-Fraktionschef, hielt seine Haushaltsrede - auf seinem Instagramkanal.

SPD und CDU: In Herne wird viel angepackt

Keine „Gefahr des Kaputtsparens“: SPD-Fraktionschef Udo Sobieski.
Keine „Gefahr des Kaputtsparens“: SPD-Fraktionschef Udo Sobieski. © Unbekannt | SPD

In den Haushaltsreden geht es nicht nur um Zahlen. Im Gegenteil: Die Ratskoalition nutzt die Generaldebatte für gewöhnlich, um Erfolge aufzuzählen, die Opposition nutzt sie, um Versäumnisse der Ratskoalition aufzulisten. So war es auch diesmal.

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Trotz der finanziellen Belastung durch die Pandemie, die SPD-Fraktionschef Udo Sobieski auch als gesellschaftliche und menschliche Tragik bezeichnet, gebe es in Herne keine „Gefahr des Kaputtsparens“. Im Gegenteil: Schulen in Herne würden saniert, die Digitalisierung werde forciert, neue Kitas und Feuerwachen würden gebaut. Gleichzeitig brächten zukunftsweisende Projekte wie die Internationale Technologiewelt, die Entwicklungen auf dem Shamrock- und Dorngelände sowie Hochschulansiedlungen die Stadt voran, so der Vorsitzende der größten Fraktion.

Ähnlich äußert sich Timon Radicke, Fraktionschef vom Koalitionspartner CDU. Radverkehr, Bürgerdienste und Digitalisierung würden gestärkt, Feuer- und Rettungswachen gebaut, beim Thema Wohnen werde auf „Wohnen am Kanal“ genauso geachtet wie auf bezahlbaren Wohnraum für Studenten und geringer Verdienende. Die Herausforderungen seien vielschichtig, unterschiedlich groß und unterschiedlich schwer zu lösen, so Radicke. Der betont: „Wir stellen uns diesen Herausforderungen.“

Grüne: Defizite in den Bereichen Digitalisierung, Mobilität und Umwelt

Die „Digitalstadt Herne“ ist ein Märchen: Grünen-Fraktionschef Thomas Reinke.
Die „Digitalstadt Herne“ ist ein Märchen: Grünen-Fraktionschef Thomas Reinke. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Das sehen die Grünen, die größte Oppositionspartei, völlig anders. Fraktionsvorsitzender Thomas Reinke wirft der SPD/CDU-Stadtregierung Defizite in den Bereichen Digitalisierung, Mobilität und Umwelt vor. Siehe Digitalisierung, wo die Pandemie die vielen Schwachstellen offenlege. In der Politik hätten die Ratsvertreter keine Steckdosen in Sitzungssälen, das Wlan sei schlecht, Gremiensitzungen würden verkürzt oder gleich abgesagt und nicht etwa digital abgehalten, Videokommunikation mit der Verwaltung sei nicht vorgesehen. „Der Oberbürgermeister hält zum Beispiel Konferenzen mit den Fraktionsvorsitzenden immer noch per Telefon ab“, kritisierte Reinke. Kurz: „Die immer wieder erzählte Geschichte von der „Digitalstadt Herne“ ist ein Märchen, wie jetzt für alle kommunalpolitisch Tätigen sichtbar wird.“ Das sei auch an den Schulen zu sehen: Viele warteten noch immer auf einen Breitbandanschluss, ja Wlan.

Linken-Fraktionschefin Veronika Buszewski wirft Rot-Schwarz ebenfalls zahlreiche Defizite vor. „Was passiert in Herne außer schöne Reden pro Umweltschutz? Fast nix!“, kritisiert sie. Oder: „Ausbau des Fahrradnetzes: Fehlanzeige!“ Ebenso gebe es keinen Ausbau des ÖPNV-Netzes, keine „echte Bürgerbeteiligung“, den Umbau von Straßen zu Gunsten von Rad- und Fußgängerverkehr, gesamtstädtische Investitionen in die Bausubstanz von sozialen oder kulturellen Einrichtungen oder ein Konzept zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit. Stattdessen, kritisiert Buszewski, gebe es „so genannte Leuchtturmprojekte“ wie die Technologiewelt oder das „Gigantomanie-Projekt“ Shamrockpark.

Der Haushalt wurde gegen die Stimmen von Grünen, Linken und AfD beschlossen.

>> WEITERE INFORMATIONEN:

Kämmerer Hans Werner Klee rechnet mit einem finanziellen Schaden durch die Pandemie von insgesamt 150 Millionen Euro für Herne. Handlungsfähig bleibe die Stadt aber dennoch, sagte der städtische Finanzchef im Ausschuss: Die Kommunen dürfen die Corona-Verluste „isolieren“, also aus dem Haushalt herausrechnen. Ohne die Pandemie mache die Stadt keine Verluste.

Bezahlt werden müssten die Corona-Verluste natürlich trotzdem: Sie könnten ab 2025 über mehrere Jahrzehnte abgeschrieben werden. Dazu müssten Kredite aufgenommen werden, dadurch steige die Verschuldung der Stadt: „Wir verschieben die Belastung in die Zukunft“, so Klee.