Herne. Man wird ja wohl noch träumen dürfen: Visionen eines perfekten Wochenendes in Herne ohne Coronavirus - konfrontiert mit der bitteren Realität.
Was wäre wenn … Corona nach wie vor nur als mexikanisches Bier, Zigarettenformat oder antiker Siegeskranz bekannt wäre? Die WAZ hat sich das vergangene Wochenende in Herne und Wanne-Eickel ohne das Virus erträumt - und sechs Visionen mit der bisweilen bitteren Wirklichkeit konfrontiert.
Der CDU-Parteitag

Ohne Corona. Die CDU stellt am Samstagmorgen ab 9.30 Uhr im Kongresszentrum des Wanner St. Anna Hospitals ihre Rats- und Bezirkskandidaten für die Kommunalwahl am 13. September auf. Der vierstündige Sitzungsmarathon verläuft alles andere als harmonisch: Immer wieder kommt es zu Kampfabstimmungen um die aussichtsreichen Plätze für die Ratsreserveliste. Altgediente Christdemokraten wollen sich nicht der Vorgabe von Parteichef Timon Radicke beugen, dass sich auf den ersten 15 Plätzen (so viele bzw. wenige Mandate hat die CDU derzeit im Herner Rat) mehr Frauen und jüngere Mitglieder als bisher finden sollen. Nach vier Stunden ist die Abstimmungsschlacht geschlagen, alle Kandidaten der CDU-Spitze haben sich mal mehr, mal weniger knapp durchgesetzt. „Die Kommunalwahl kann kommen“, so ein zufriedener OB-Kandidat und Parteichef Radicke.
Mit Corona. Das Versammlungsverbot zwingt die Herner CDU zur Verlegung der ursprünglich für Samstag angesetzten Kandidatenkür für die Kommunalwahl. Der Kreisverband sei jedoch „krisenfest“ aufgestellt, so Parteichef Timon Radicke zur WAZ. Sie hätten zwei spätere Ausweichtermine ins Auge gefasst. Und: Die Mitgliedschaft sei darüber informiert worden, dass der Vorstand dann – gemäß der Satzung – mit verkürzter Ladefrist von drei Tagen einladen werde.
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
Die Currywurst

Ohne Corona. Zwei Mittdreißiger bestellen am Samstag um 12.30 Uhr in der „Currywurst“ zwei Currywürste („so scharf wie möglich, junge Frau“), eine Pommes Spezial plus zwei Fiege und pflanzen sich mit ihrem Menü vor der Lokalität an der Heidstraße in die Sonne. Dort sinnieren sie darüber, wie die löchrige Abwehr des VfL Bochum wohl beim Heimspiel Anfang April gegen den starken Angriff von Holstein Kiel bestehen könnte - nur unterbrochen von leisen Fluchen und „Boah, ist das scharf“-Rufen.
Mit Corona. Immerhin: „Die Currywurst“ ist noch geöffnet - wenn auch nur montags bis samstags von 12 bis 19 Uhr und nur für den Außer-Haus-Verkauf, heißt: zum Mitnehmen. Ein Aushang des Ordnungsamtes weist Kunden zudem darauf hin, dass Speisen nicht vor dem Imbiss, sondern nur außerhalb eines Radius von 50 Metern verzehrt werden dürfen. Die Folgen des eingeschränkten Betriebs sind erheblich: Currywurst-Chef Gerd Herzog beklagt ein Umsatzminus von rund 60 Prozent. Die Einnahmen seien zu hoch, um zu sterben, aber zu niedrig, um dauerhaft zu überleben, sagt er. „Das Personal habe ich schon runtergefahren.“ Auf Facebook bzw. über ein Fundraising-Portal ruft der seit über 25 Jahren in Wanne-Eickel ansässige Traditionsbetrieb zu Spenden auf - mit diesem Appell: „Jeder noch so kleine Beitrag hilft uns über diese Durststrecke und sichert unsere Zukunft - auf dass wir auch die nächsten 25 Jahre schaffen!“
Die Theaterpremiere

Ohne Corona. Applaus, Applaus: Die Uraufführung des Stücks „Täglich grüßt der Sensenmann“ reißt die Besucher im Kleinen Theater am Samstagabend zu Begeisterungsstürmen und stehenden Ovationen hin. Die drei Darsteller und Regisseure in Personalunion - Christian Weymayr, Manu Kempin, Jessica Majchrzak - haben im Theater an der Neustraße mit der an den Filmklassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ angelehnten Premiere den Nerv des Publikums getroffen.
Mit Corona. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. „Wenn es wieder möglich ist, werden wir das Stück im Kleinen Theater aufführen“, sagt Christian Weymayr. Wann das sein wird, dazu will er zurzeit noch keine Prognose abgeben. Ganz von vorne anfangen müssten sie nicht, sagt er. Mit den Vorbereitungen für die Premiere seien sie schon recht weit gewesen: Nur noch dreimal hätten sie proben müssen.
Der Buchhandel

Ohne Corona. Samstag um 12 Uhr bei Koethers und Röttsches. Kunden sondieren die zahlreichen Neuerscheinungen auf den prallen Büchertischen. Wer nicht fündig wird - Chefin Elisabeth Röttsches weiß Rat: Einer Krimifreundin aus Holsterhausen empfiehlt sie „Mitten im August - Der Capri-Krimi“ von Luca Ventura. Einem Baukauer legt sie als Geburtstagsgeschenk für dessen Bruder Bov Bjergs hochgelobten Roman „Serpentinen“ ans Herz. Und ein pensionierter Deutschlehrer aus Sodingen verlässt mit Lutz Seilers Nachwenderoman „Stern 111“ die Buchhandlung an der Bebelstraße – allerdings nicht ohne zuvor mit seiner Begleitung im Literaturcafé noch einen Latte Macchiato getrunken zu haben.
Mit Corona. „Liebe Kunden“, steht auf einem Aushang an der Eingangstür, „aufgrund der aktuellen Coronakrise haben wir Buchhandlung & Café bis auf weiteres geschlossen“. Die neuen Bücher von Bjerg, Ventura, Seiler & Co. können aber auch in Zeiten des Virus weiterhin über den Herner Traditionsbuchladen bezogen werden - und zwar telefonisch montags bis samstags zwischen 9.30 bis 13 Uhr (02323/147660). Die bestellten Titel würden kurzfristig besorgt und umgehend per Bote oder Post zugestellt, so das Versprechen. Und wie läuft’s in den ersten eineinhalb Wochen? „Erfreulich gut“, sagt Elisabeth Röttsches. Es sei schön, dass viele Stammkunden treu und solidarisch seien.
Der Spitzensport

Ohne Corona. Was für ein Sportwochenende in Herne und Wanne-Eickel! Die Basketballerinnen vom coronavirus- saisonende für herner tc und weitere absagenHTC starten am Samstagabend mit einem grandiosen 84:55-Erfolg über TK Hannover in die Playoffs um die deutsche Meisterschaft. Auch die Play-off-Premiere des Herner EV gelingt: Das Eishockey-Team schießt die Saale Bulls Halle mit 7:1 aus der Hannibal-Arena. Westfalia Herne macht derweil in der Oberliga Westfalen beim 1:0-Zittersieg gegen den 1. FC Kaan-Marienborn einen wichtigen Schritt in Richtung Klassenerhalt. Und der DSC Wanne-Eickel kratzt in der Westfalenliga 2 nach dem souveränen 3:0-Erfolg gegen den TuS 05 Sinsen weiterhin am Aufstieg.
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Mit Corona. Kein Spitzensport, nirgends. HTC und HEV grübeln nach dem erfolgten Saisonaus bereits über die nächste Spielzeit. Westfalia-Coach Christian Knappmann träumt davon, nach einer überstandenen Insolvenz und der Rettung im Abstiegskampf mit Westfalia eine neue Ära einzuläuten. Gespielt wird am Wochenende dann allerdings doch noch, wenn auch nicht „in echt“: Der DSC Wanne-Eickel und der Herner EV haben Geisterspiele „angesetzt“, um mit dem Verkauf virtueller Tickets dringend benötigte Einnahmen zu erzielen.
Die Filmwelt

Ohne Corona. Bond boomt! In drei Sälen gleichzeitig zeigt die Herner Filmwelt den neuen 007-Film „Keine Zeit zu sterben“. Die Schlangen vor den Kassen beweisen am Samstagabend: Auch dieser Bond ist ein Renner. Doch auch andere Produktionen lassen die Kasse im Lichtspielhaus am Berliner Platz klingeln - zum Beispiel der Familienfilm „Peter Hase 2 - Ein Hase macht sich vom Acker“. Und am Sonntag lockt das VHS-Filmforum nicht nur Freunde anspruchsvoller Filmkunst an, sondern diesmal auch Ballettfans - wird doch Ralph Fiennes’ Tanzdrama „Nurejew - The White Crow“ gezeigt.
Mit Corona. Die Herner Filmwelt ist seit dem 14. März ein ruhiger Ort - frei nach dem (wie der neue Bond) in den Herbst verschobenen US-Drama „A Quiet Place 2“: Das Kino bleibt geschlossen. Filmwelt-Leiter Markus Köther plaudert mit der WAZ am Telefon über all die Filme, die derzeit in seinem Haus laufen würden. Fragen nach Kurzarbeit und wirtschaftlichen Aspekten will er aber nicht beantworten: „Dazu sage ich jetzt nichts, ich bin gerade mit wichtigen Dingen beschäftigt“, sagt Köther und verabschiedet sich.
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