Herne. Prominente Autoren, dazu ein Lesecafé: Die Buchhändlerin Elisabeth Röttsches hat Herne zu einem literarischen Zentrum des Reviers gemacht.
Ein Schreibtisch aus massivem Holz, auch das wuchtige Regale dahinter weist die Patina vergangener Jahrzehnte auf. Elisabeth Röttsches streicht über das Holz, seine Dellen und Kanten. „Der hat meinem Großvater gehört“, sagt die Hernerin, die das Möbel nun in ihrem Büro ihr eigen nennt.
In der Druckerei, die einst eine der ersten Tageszeitungen Hernes publizierte, hat sie einen Veranstaltungsraum geschaffen, zusammen mit ihrem Bruder Ludger Röttsches die Buchhandlung ins Helle, Offene, Freundliche hinein renoviert und noch dazu ein Café hinein gezaubert, das zum Verweilen einlädt.
Die „Alte Druckerei“ ist ein Ort der literarischen Begegnung, der Name „Literaturhaus Herne Ruhr“ steht in der Tradition eines Hauses, das immer schon dem Wort gewidmet war. Und wäre da nicht die Historie dazwischengekommen, wäre dies die Geschichte eines unbeschwerten Erbes. Elisabeth Röttsches aber hat das Haus und die Druckerei, die ihr Urgroßonkel und ihr Großvater einst gemeinsam bauten, erst im Jahr 2009 zusammen mit einem Freund der Familie, Albert Landsberger, zurückgekauft – vorher war die Familie mit ihrer Buchhandlung jahrzehntelang Mieter. Denn ihr Großvater, der in den vom Onkel 1905 gegründeten „Herner Anzeiger“ einstieg, der gemeinsam mit ihm 1926 Druckerei, Buchhandlung und Wohnhaus baute und schließlich die Geschäfte übernahm – der stand den Nationalsozialisten so fern, wie es nur ging in dieser Zeit.
Elisabeth Röttsches knüpft in der Alten Druckerei Herne an eine Familientradition an
„Er war kein NSDAP-Mitglied und wollte das auch nicht werden“, erzählt Elisabeth Röttsches. „Bald wurden keine Anzeigen mehr in der Zeitung geschaltet. In die Buchhandlung kamen keine Kunden mehr, um Schulbücher für ihre Kinder zu kaufen…“
Die Auflage der Zeitung sinkt dramatisch, 1937 wird das Wohn- und Geschäftshaus zwangsversteigert, 1941 wird auch der Zeitungsverlag und die Druckerei geschlossen. Und erst im Jahr 2009 erklärte sich der Sohn des damaligen Käufers bereit, das Haus an Familie Röttsches zu verkaufen – nachdem die Familie in einem jahrelangen juristischen Ringen vergeblich versucht hatte, die Notsituation des Verkaufs geltend zu machen, eine Rückgabe zu erwirken. „Die Eigentümer haben eben gesagt, wir haben das Haus nach dem damals gültigen Recht gekauft“, sagt Elisabeth Röttsches.
Bitterkeit ist ihre Sache nicht, die 62-Jährige erzählt diese Geschichte in einem lakonischen Tonfall, als wäre sie nur ein weiterer, leicht tragisch gefärbter Familienroman der Literaturgeschichte. Vielleicht muss man leidenschaftliche Leserin sein, um das eigene Schicksal so einzuordnen in all die großen Dramen, in die privaten Tragödien, die Achterbahnfahrten des Lebens.
Autorinnen und Autoren sind in Herne regelmäßig zu Gast
Und wie ein geübter Autor bringt Elisabeth Röttsches ihre Familienhistorie zu einem glücklichen, hoffnungsvollen Ende. Seit 1978 im Unternehmen, hat sie als junge, begeisterte Buchhändlerin verstärkt Autorinnen und Autoren zu Lesungen geholt. „Natürlich hatte mein Vater das auch schon gemacht, es gibt ein schönes Bild von ihm mit Jürgen von Manger“, erinnert sie sich.
Aber die Idee, das Gesicht, die Stimme hinter dem Buch vorzustellen, die verfolgte erst Tochter Elisabeth mit Leidenschaft. Und als dann im Jahr 2009 das Familienerbe zurückkauft wurde, als die alten Leitungen, die Glasbausteine aus der Druckereihalle verschwunden waren, als die Heizung installiert war und der Parkettboden glänzte – da war dies ein viel zu schöner Ort, um dort keine Autoren zu präsentieren. „Zur ersten Lesung kam der Diogenes-Autor Friedrich von Dönhoff“ – ein Satz, der vom Esgeschaffthaben zeugt. Und in dem doch „viele schlaflose Nächte“ mitschwingen: „Ich dachte, du bist ja verrückt – mit Mitte Fünfzig machst du dich mit einer eigenen Firma selbstständig!“ Und gründete auch noch einen Verein – denn bald wurde klar, die Honorare und Werbemittel übersteigen die Einnahmen aus den Lesungen; nur ein Verein aber kann Sponsoren werben.
Heute stützen ein Verein und viele Ehrenamtler die Arbeit im Literaturhaus
Über 200 Mitglieder zählt dieser nun, viele ehrenamtliche Helfer tragen die Abende mit.Seit dem vergangenen Jahr gestaltet Elisabeth Röttsches das Programm gemeinsam mit Verena Geiger, die lange im Literaturbüro Ruhr arbeitete. In diesem Frühling waren Terézia Mora zu Gast und Adriana Altaras, Wladimir Kaminer und Frank Goosen; es gab Konzerte, aber auch Debatten um bedrohte Lebensräume und das „Zeitalter der Revolution“.
„Wir wollen auch Forum für Diskurse sein“, sagt Elisabeth Röttsches, die mit Verena Geiger einmal mehr Neues wagen will: Im Herbst wird erstmals die Bloggerin Karla Paul als „Seitenspringerin“ in einer Literaturshow Neuerscheinungen vorstellen, auch das Kinderprogramm soll erweitert werden. So soll die Alte Druckerei für noch mehr Menschen das werden, was Verena Geiger in ihm sieht: „Ein Ort, an dem man gemeinsam Schönes erleben kann.“