Herne. An die Opfer der Pogromnacht erinnerten Menschen bei Veranstaltungen in Herne. Redner sorgten sich auch um den Zustand der Gesellschaft heute.
Bei zwei großen Veranstaltungen in Herne haben Menschen am Freitag der Schrecken der Pogromnacht am 9. November 1938 und die Opfer der Gewaltherrschaft durch die Nazis gedacht. Noch stärker als in den vergangenen Jahren erinnerten die Redner auch an zunehmendem Antisemitismus in der Gegenwart.
Den Auftakt am Morgen machten Erich-Fried-Gesamtschule, Bündnis Herne und DGB. Sie versammelten sich am Shoah-Mahnmal auf dem Willi-Pohlmann-Platz, das geschändet worden war und deshalb umgebaut wird. 400 jüdische Mitbürger, über 1700 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, politische und religiöse Gegner, Sinti und Roma, Behinderte, Emigranten und Widerstandskämpfer sowie 1500 Bombenopfer des von den Nazis entfachten Weltkriegs dürften nicht vergessen werden, forderte Gesamtschullehrer Ulrich Kind in seiner Begrüßung.
Appell an Mitschüler: Ergreift das Wort
Anschließend legten Schüler am Shoah-Mahnmal Rosen nieder, genauer: sie mussten sie wegen der Arbeiten am Mahnmal über den Bauzaun werfen. Dass das Monument an diesem Tag verhüllt und umzäunt war, sorgte bei Teilnehmern für Irritationen. Dann marschierten die mehreren Hundert Besucher zum Mahnmal für die Nazi-Opfer an der Bebelstraße.
Dort sprachen die vier Schülerinnen Julia-Marie (17), Angelina (18), Merle (15) und Wiktoria (18) emotionale, eindringliche Worte. „Wir spüren einen Klimawandel – im doppelten Sinne“, sagte Merle eingangs. Sie kritisierte die von Menschen gemachten Wetterextreme und eine zunehmende Kälte in der Gesellschaft. „Mit beidem finden wir uns nicht ab“, stellte sie klar. Gemeinsam stünden sie alle dafür ein, dass sich das Leid, das Rechtsextreme und Nazis in der NS-Diktatur über die Menschheit gebracht haben, niemals wiederhole, sagten die Jugendlichen in ihrer Ansprache. Ihre Mitschüler riefen sie dazu auf: „Ergreift das Wort, wenn andere zu Unrecht schweigen!“, „Schaut nicht weg!“, und: „Werdet aktiv, helft mit und bietet der Unmenschlichkeit die Stirn!“.
Ähnlich äußerte sich auch Norbert Arndt (DGB-Geschichtswerkstatt). „Geschichte kann sich wiederholen, das müssen wir verhindern“, sagte er am Mahnmal, an dem der Schutzgeist Genius mit Blitz und Schwert gegen die vielköpfige Wasserschlange Hydra kämpft. Genius, so Arndt mit Verweis auf die Aufmärsche der „besorgten Bürger“ in Herne, müsse heute wieder die Freiheit verteidigen, weil der Hydra viele Köpfe nachgewachsen seien.
Gedenkveranstaltung der Stadt am Standort der ehemaligen Synagoge
Für den Nachmittag rief die Stadt zur Teilnahme an der offiziellen Gedenkveranstaltung an den Standort der ehemaligen Synagoge von Wanne-Eickel an der Langekampstraße neben dem Technischen Rathaus auf. Oberbürgermeister Frank Dudda war es dabei ein Anliegen, „in diesem Jahr deutlicher zu werden“. Er beklagte anschwellenden Antisemitismus, der ihm große Sorge bereite. „Wir dürfen nicht müde werden, uns gegen Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen“, sagte der OB.
Bei der Veranstaltung, die von Musik der Gesamtschule Wanne-Eickel umrahmt wurde, wurden auch die „Nahtstellen“ Nummer elf und zwölf präsentiert, zwei neue Erinnerungstafeln, die in der kommenden Woche aufgestellt werden. Sie beleuchten das Leben der Herner Familien Frank und der Wertheim, deren Mitglieder zum großen Teil von den Nazis ermordet wurden. Erarbeitet wurden die Nahtstellen von Schülern der Mont-Cenis-Gesamtschule und des Gymnasiums Eickel gemeinsam mit Stadthistoriker Ralf Piorr. Die Schüler, lobte OB Dudda, hätten damit „einen wertvollen Beitrag zur Erinnerungskultur geleistet“.
Die WAZ kommt in Kürze auf die neuen „Nahtstellen“, ihre Entstehung und die Geschichte der beiden Familien Frank und Wertheim zurück.