Herne. Mario Lucas ist Leiter des neuen China-Kompetenzzentrums in Herne. Im Interview spricht er über seine Arbeit und Hernes Städte-Ehe mit Luzhou.

Die Herner Wirtschaftsförderungsgesellschaft baut mit der Industrie- und Handelskammer und der Hochschule Bochum ein China-Kompetenzzentrum auf. Das Ziel: Unternehmen aus der Region, die sich auf den Markt von Deutschlands größtem Handelspartner wagen, sollen dabei Hilfestellung erhalten. Mario Lucas, Leiter des Kompetenzzentrums, erläutert im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann, seine Arbeit, aber auch seine Sicht auf die Städtepartnerschaft zwischen Herne und Luzhou.

Wie bewerten Sie die Städtepartnerschaft zwischen Herne und Luzhou?

Lucas: Es ist eine junge Partnerschaft, die ein beträchtliches Potenzial in sich birgt. In beiden Städten gibt es ähnliche Entwicklungen. Hiervon können beide Seiten profitieren.

Was sind die ähnlichen Entwicklungen?

Beides sind Städte, die sich in dynamischen Wirtschaftsräumen befinden. Beide sehen sich auf eigene Art und Weise einem Strukturwandel ausgesetzt, aus dem sich auch mit Blick auf die Stärken ihrer jeweiligen Branchenschwerpunkte und Technologien komplementäre Entwicklungspotenziale ergeben.

Wie sieht denn der Wirtschaftsraum Luzhou aus?

Er liegt im Wirtschaftsgürtel des oberen Yangtse-Flusses im Großraum Chengdu-Chongqing. Dabei handelt es sich um die Region innerhalb Westchinas, in welcher drei der wichtigsten strategischen Entwicklungspläne der chinesischen Zentralregierung aufeinander treffen. Immerhin handelt es sich bei der Region schon jetzt um den größten Logistikstandort in Westchina. Das macht diesen Wirtschaftsraum so dynamisch. Auch Herne ist ein ausgewiesener Logistikstandort. Hier gibt es Gemeinsamkeiten. Weiterhin verbindet beide Regionen die strategische Zielsetzung „Internationalisierung“.

Die feierliche Vertragsunterzeichnung der Städtepartnerschaft zwischen Herne und Luzhou in Berlin.
Die feierliche Vertragsunterzeichnung der Städtepartnerschaft zwischen Herne und Luzhou in Berlin. © Bolsmann

Ist diese Strategie aus Ihrer Sicht richtig?

Ja. Die Volksrepublik China ist der größte Handelspartner der Bundesrepublik, daraus ergeben sich Chancen, aber auch Herausforderungen. Eine zunehmend hohe Anzahl von Arbeitsplätzen in Deutschland hängt vom Außenhandel mit China ab. Jetzt geht es um die Frage, ob wir auch lokal und regional diesen Prozess mitgestalten oder ob wir uns ausklinken und sagen: Die Herausforderungen sind zu groß.

Und Ihre Antwort?

Ich bin der Meinung, die Potenziale sollten im Vordergrund stehen.

Was würde passieren, wenn Herne sich ausklinkt?

Dann würde Herne einen wichtigen Strang des Strategiebündels zur Standortentwicklung und Standortstärkung verlieren.

Wie sehen denn die Potenziale für Herne konkret aus?

Es gibt in Herne Branchenschwerpunkte, welche für die Entwicklung in China und in Luzhou von großer Bedeutung sind. Es gibt im Medizin- und Gesundheitswesen Kompetenzen, die für die chinesischen Partner interessant sind, dann auch in bestimmten Schlüsseltechnologien, wenn man den Standort Herne in seiner Einbettung und der Verflechtung mit dem Mittleren Ruhrgebiet begreift. Hier denke ich an Lösungen im Bereich innovativer Energie- und Mobilitätstechnologien, die im Ruhrvalley entwickelt werden. Es kann aber auch sein, dass das Container Terminal im Wanner Hafen direkt an die neue Seidenstraße angebunden wird. Es laufen zurzeit Gespräche mit Herner Unternehmen, die schon in China vertreten sind und solchen, die den Sprung dorthin wagen wollen. Letztere möchte ich auf diesem Weg passgenau begleiten und beraten. Deshalb analysieren wir verstärkt den Wirtschaftsraum in Westchina und haben mit dem Aufbau eines Partnernetzwerks vor Ort begonnen.

Es gibt ja die Kritik, dass man mit China wegen der Menschenrechtssituation keine Beziehungen eingehen kann...

Fünf Jahre in Peking gelebt

Nach der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrags mit Luzhou habe er vom Düsseldorfer Koordinierungsbüro der Provinz Sichuan bereits eine Liste mit Unternehmen bekommen, die sich eine Ansiedlung in Herne oder im mittleren Ruhrgebiet vorstellen könnten.

Mario Lucas (45), der am Fachbereich Wirtschaft der Hochschule lehrt, hat eine ausgesprochene Expertise mit Blick auf China. Er hat insgesamt fünf Jahre in Peking gelebt und hat dort Projekte im wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereic h geleitet.

...diese Bedenken sind berechtigt. Aber wir müssen uns mit diesen Bedenken konstruktiv auseinandersetzen. Wir wissen alle, dass Deutschland mit China sehr stark wirtschaftlich verflochten ist, denken Sie nur an Smartphones, die fast jeder Bundesbürger nutzt. Wenn man sich anschaut, wo diese Smartphones produziert werden, dann ist klar, dass sich beide Länder in einer gegenseitigen Abhängigkeit befinden. Diese Abhängigkeit muss man konstruktiv gestalten. Das schließt nicht aus, dass sich die deutsche Seite mit kritischen Themen auseinandersetzt. Das geht aber nur, indem man sich annähert. Das kann durch eine Städtepartnerschaft passieren.

Eine andere Kritik im Vorfeld der Städtepartnerschaft war, dass beide Städte allein schon von der Größe nicht zusammen passen, weil Luzhou rund fünf Millionen Einwohner hat...

...es gibt eine Vielzahl an deutsch-chinesischen Städtepartnerschaften, dort ist das gleiche Größenverhältnis gegeben. Selbst wenn man München oder Berlin nimmt, sind diese im Vergleich zu den chinesischen Partnern vergleichsweise klein. Dieses Größenverhältnis bleibt immer bestehen. Die Größe ist aber auch nicht ausschlaggebend.

Luzhou liegt in einem dynamischen Wirtschaftsraum
Luzhou liegt in einem dynamischen Wirtschaftsraum © OH

Ist es denn normal, dass die Städtepartnerschaft von der Zentralregierung genehmigt werden muss?

Ja, alle strategischen Partnerschaften bedürfen einer genauen Überprüfung durch die Zentralregierung, und sämtliche Partnerschaften brauchen eine Zustimmung. Deshalb hat die chinesische Seite ein sehr hohes Interesse daran, diese Partnerschaft zu einem Erfolg zu führen und mit Leben zu füllen.

Das China-Kompetenzzentrum ist ja vor allem dazu da, Unternehmen zu beraten. Wenn ein deutsches Unternehmen auf den chinesischen Markt möchte, welche Fehler kann es machen? Und welche Chancen bieten sich?

Die Chancen sind vergleichsweise hoch, das liegt an dem großen Markt in China, weil deutsche Technologien gefragt sind, aber auch deutsche Organisationsfähigkeiten sowie Ausbildungssysteme. Allerdings ist der Marktzugang nicht einfach. Deutsche Unternehmen aus der Automobilindustrie beispielsweise mussten bis in die jüngste Vergangenheit Joint Ventures eingehen, weil die chinesische Regierung immer mitbestimmen möchte. Vor allem mittelständische Unternehmen müssen einen langen Atem haben. Gerade den Mittelstand können wir als Kompetenzzentrum unterstützen, durch unser Know-how bei Sprach-, Kultur- und Marktkenntnissen. Dort sehen wir unsere Aufgabe.

Man sollte also nicht ohne Vorbereitung nach China fahren, sondern zuerst Sie ansprechen?

Genau. Wir versuchen, Türöffner und Brückenbauer zu sein und wir wollen dazu beitragen, dass diese Brücke dann auch möglichst stabil gebaut wird.

Gibt es denn schon Gespräche?

Ja, es gibt mittelständische Unternehmen aus der Region und aus Herne, die bereits in China aktiv sind. Aber auch welche, die noch nicht dort vertreten sind und sich mit dem Gedanken tragen, Verbindungen aufzunehmen. Die Firmen kommen aus ganz verschiedenen Branchen, die für die Region Luzhou hilfreich sein können. Wir analysieren dann den chinesischen Markt, um potenzielle Partner zu finden. Zur Beratung gehört aber auch, deutschen Firmen die chinesische Unternehmenskultur nahe zu bringen. Wenn man diese kennt, kann das zum Erfolg beitragen.

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Stehen Sie auch als Türöffner zur Verfügung, wenn chinesischen Unternehmen im mittleren Ruhrgebiet anklopfen?

Ja, dabei haben wir aber eine ganz bestimmte Tür im Blick. Auf der steht Arbeitsplatzsicherung und -schaffung. Wie das gehen kann, dafür ist die Übernahme von Schwing durch XCMG ein gutes Beispiel. Das Unternehmen ist gerettet worden, ein großer Teil der Arbeitsplätze wurde erhalten, und das Unternehmen arbeitet weitgehend unabhängig.

Gibt es schon Anfragen aus China?

Ja, wir haben vor wenigen Tagen gemeinsam mit der IHK den Dachverband der chinesischen Industrie getroffen und haben skizziert, welche Stärken es in Herne und im mittleren Ruhrgebiet gibt. Die Chinesen haben ihrerseits ihre Bereiche skizziert, zum Beispiel Medizintechnik, Biotechnologie, aber auch das Gesundheitswesen. Jetzt sind wir dabei, Unternehmen aus unserer Region und aus China herauszusuchen, die vielleicht Partner werden können. Herne ist in dieser Hinsicht mit der Partnerstadt ein Vorreiter, denn die anderen drei Städte im mittleren Ruhrgebiet haben keine chinesische Partnerstadt.