Herne. 400 Menschen haben in Herne beim Gottesdienst und beim bunten Protest ein Zeichen gesetzt. Bei den „besorgten Bürgern“ gab es neue Töne.

Herne steht auf: Insgesamt rund 400 Menschen haben am Dienstagabend erneut ein starkes Zeichen gegen Rechts gesetzt. Zunächst an der Kreuzkirche und anschließend auf dem Robert-Brauner-Platz demonstrierten sie gegen die sogenannten „besorgten Bürger“. Diese liefen zeitgleich auf neuer Route durch Herne - diesmal ohne Zwischenfälle, vorbestrafte Neonazis oder „Heil Hitler“-Rufe, aber dafür mit neuen Tönen.

Auf dem Europaplatz hatten sich etwa 150 Menschen zum gemeinsamen Gottesdienst vor der Kreuzkirche versammelt. Während E-Scooter zur U-Bahnstation preschten und Passanten Richtung Apotheke eilten, positionierte sich Pfarrer Jens-Christian Nehme deutlich: „Ich bin gegen den völligen Egoismus und das Verständnis von dem, was mein Land ist.“ Der Gottesdienst wurde gemeinsam von der evangelischen Kreuzkirchengemeinde, dem Kirchenkreis und der katholischen St. Dionysius-Gemeinde organisiert.

Stimmung mit „Schwarz-Rot Atemgold 09“

Der Pfarrer kündigte an, die Open-Air-Gottesdienste fortsetzen zu wollen: „Ich will hier weiter stehen, so lange es möglich ist. Nächste Woche und übernächste Woche. Wir stehen für Respekt, Miteinander und das Grundgesetz. Das ist unverhandelbar“, sagte Pfarrer Nehme. Er appellierte an die Zuhörer, auch selber im Kleinen Zeichen zu setzen. „Freundlichkeit und Liebe werden den längeren Atem haben.“

Auf dem Robert-Brauner-Platz wurde der farbenfrohe Protest von mehr als 300 Menschen von Musik untermalt, darunter auch Teilnehmer des Gottesdienstes. Die Band „Schwarz-Rot Atemgold 09“ sorgte für Tanz-Stimmung. An einem kleinen Stand feierte der interkulturelle Verein „Gemeinsam für Herne“ das islamische Aschura-Fest.

Eine Rüge für Verdi und MLPD

Mit weiß-buntem Riesen-Schirm zeigte auch Heidemarie Deutsch Flagge. Die Hernerin ist seit dem ersten Gegenprotest dabei und zeigt sich „erschrocken von den rechten Spaziergängern“. „Ich möchte ein Zeichen setzen, deshalb bin ich hier“, sagt die 58-Jährige. „Wahrscheinlich sind gar nicht alle der besorgten Bürger so weit rechts. Aber mit Nazi-Größen darf man einfach nicht mitlaufen. Es gibt in einer Demokratie andere Wege, etwas zu ändern. Dafür braucht man halt leider oft einen langen Atem.“

Keine „Steeler Jungs“ in Herne

Auch von den „Steeler Jungs“ - eine Art rechte Bürgerwehr aus Essen, die vor zwei Wochen noch in Herne präsent war - war diesmal nichts zu sehen.

Die T-Shirts einiger „besorgten Bürger“, die Männer waren deutlich in der Mehrheit, ließen sich jedoch der rechten beziehungsweise der Hooligan-Szene zuordnen. Eine Teilnehmerin erschien allerdings im klassischen „linken“ Outfit: Sie trug ein St. Pauli-Totenkopf-T-Shirt.

Vertreter der Gewerkschaft Verdi und der linksradikalen MLPD wurden von den Veranstaltern des Protests gerügt. Die Politiker und Gewerkschafter waren mit großen Fahnen zum Robert-Brauner-Platz gekommen. Das Bündnis Herne jedoch versteht sich als parteiübergreifend. „Das wollen wir der Gesellschaft auch zeigen“, so die Botschaft.

Teilnehmer will Neonazi „wegjagen“

Nicht wie zuletzt am Netto-Markt, sondern am Busbahnhof versammelten sich kurz vor 18 Uhr die „besorgten Bürger“. Knapp 80 Teilnehmer liefen von dort über Bahnhofstraße, Poststraße und Von-der-Heydt-Straße und Westring zum Zielpunkt Netto-Markt. Plakate und Reden gab es auch diesmal nicht, aber am Rande des Demonstrationszuges vereinzelt neue Töne.

Die sogenannten „besorgten Bürger
Die sogenannten „besorgten Bürger" starteten ihren „Spaziergang“ diesmal nicht am Netto-Markt, sondern am Bahnhof. Begleitet wurden sie von einem großen Polizeiaufgebot. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

„SS-Siggi wollen wir hier nicht haben. Wenn der das nächste Mal kommt, jagen wir ihn weg“, sagte ein Herner Teilnehmer zur WAZ. Hintergrund: Der vorbestrafte Neonazi Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt war vor drei Wochen zur Kundgebung der „besorgten Bürger“ gekommen.

Sie seien ganz normale Bürger, die ihrer Besorgnis über die Entwicklung in Deutschland Ausdruck verliehen. Und was sagen „besorgte Bürger“ dazu, dass in ihrem Kreis in den vergangenen Wochen ein T-Shirt mit der Aufschrift „HKNKRZ“ getragen oder „Heil Hitler“ gerufen wurde? Das seien Ausreißer gewesen, so der Herner. „So etwas kann man nie verhindern.“

Um 18.34 Uhr löste sich die Demonstration am Netto-Markt auf, die Teilnehmer verabschiedeten sich. „Bis nächste Woche.“

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