Herne. Seit zwei Wochen stellt sich das Bündnis Herne gegen die „besorgten Bürger“. Mitorganisator Jacob Liedtke spricht über seine Motivation.
Das Bündnis Herne hat sich in den vergangenen zwei Wochen gegen die Spaziergänge der „besorgten Bürger“ gestellt. Einer der Mitorganisatoren ist Jacob Liedtke (31). Er berichtet, welche Ideen das Bündnis für die Zukunft hat.
Was war Ihre Motivation, um einen Gegenprotest zu organisieren?
Jacob Liedtke: Im Grunde entspricht es dem Antrieb, warum ich überhaupt angefangen habe, mich politisch zu engagieren. Noch vor allem anderen würde ich mich politisch als Antifaschist bezeichnen, weil ich in der Schulzeit mit dem Gräuel des Nationalsozialismus konfrontiert wurde. Seit dem Zeitpunkt war mein politisches Denken davon geleitet, was dort passiert ist und was man tun muss, damit so etwas nicht nochmal passiert.
Wie ist das Bündnis Herne entstanden?
Als eine Freundin vor einigen Wochen erstmals eine Gruppe Rechter in der Innenstadt gesehen hat, dachten wir erst, dass diese einen Ausflug zur Cranger Kirmes machen. Als sie eine Woche später wieder durch Herne liefen, ließ sich erkennen, dass eine Struktur dahintersteckt. Ich war noch in einer Facebook-Gruppe, die aufgrund der AfD-Veranstaltung mit Hans-Thomas Tillschneider gegründet wurde. Der Gewerkschafter Norbert Arndt hat direkt eine Einladung zu einem Treffen rausgeschickt, bei dem wir die Gegenveranstaltung organisiert haben. Dort bin ich für die Grünen hingegangen und der Raum ist aus allen Nähten geplatzt.
Haben Sie sich vorher schon für die Thematik stark gemacht?
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Ja, ich wurde 2006 das erste Mal damit konfrontiert. Ich bin in Rheda-Wiedenbrück geboren und in der Nachbarstadt Gütersloh gab es eine größere Neonazi-Demonstration. In meiner Position als Schülervertreter war mir klar, dass wir dagegen auch etwas machen müssen. Ich habe dann erfahren, dass ein breites Bündnis namens ‚Courage gegen Rechts‘ Gegenaktivitäten plant. Seitdem hat mich das nicht mehr losgelassen.
Warum sind solche Gegenveranstaltungen in Herne wichtig?
Ich glaube, dass jede Stadt, die in den Fokus einer rechtsextremen Mobilisierung rückt, so etwas dringend braucht. In Städten, wo von Anfang an ein spektrenübergreifender Widerstand stattfand, war der Spuk relativ schnell vorbei. Genauso war es 2010 in Dresden oder eben in Gütersloh.
Warum sollte ein Gegenprotest parteiübergreifend sein?
In gesellschaftspolitischen Fragen haben wir total unterschiedliche Einstellungen. In einer demokratischen Gesellschaft sollte man aber gerade den Streit über Inhalte suchen, der zielgerichtet und problemorientiert sein sollte. Den Konsens, miteinander über Inhalte streiten zu wollen und akzeptieren zu können, wenn die eigene Position nicht mehrheitsfähig ist, muss man verteidigen.
Wie hat es funktioniert, die Gegenveranstaltung mit mehreren Parteien und Organisationen zu organisieren?
Die Planung hat gemeinsam mit den Grünen, den Linken und der SPD sehr gut funktioniert. Natürlich haben wir auch unterschiedliche Analysen, was dem Problem der aktuellen rechtsextremen und rechtspopulistischen Tendenzen in der Gesellschaft zugrunde liegt, aber wir können uns das sagen und gemeinsam produktiv mit diesen Differenzen umgehen. Wir wünschen uns, dass sich die Parteien aus der bürgerlichen Mitte noch mehr miteinbringen.
Ist das Bündnis aktuell mit weiteren Parteien im Gespräch?
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Wir hoffen bei den nächsten Aktionen des Bündnisses auf eine noch breitere Beteiligung der bürgerlichen Parteien. Einzelne Mitglieder von CDU und FDP waren ja bereits bei den Kundgebungen und wir sind mit diesen selbstverständlich auch in Gesprächen.
Sollte sich das Bündnis Herne noch breiter aufstellen?
Ja, absolut. Beim letzten Treffen waren auch Vertreter der christlichen Kirchen dabei. Es werden gerade auch Kontakte zu Gemeinden und Vereinen der migrantischen Selbstorganisation aufgebaut. Wir versuchen auch, den Kontakt zu ähnlichen Bündnissen aus anderen Städten aufzubauen. Am Dienstag war auch jemand von „Aufstehen gegen Rassismus Essen“ da. Er sagte: „Es ist absurd, dass die Nazis durchs Ruhrgebiet touren, sich gegenseitig bei ihren Aktionen unterstützen und der Gegenprotest in der eigenen Stadt bleibt“. Sie versuchen den Gegenprotest mürbe zu machen, indem sie regelmäßig irgendwo auflaufen. Für die Gegenproteste ist es noch besser, wenn Unterstützung aus anderen Städten kommt.
Kann man mit den Veranstaltungen die Herner Bevölkerung erreichen?
Ich glaube, dass man das schon gut sehen kann. Es gibt natürlich immer die Vorwürfe, dass sich solche Aktionen in einem luftleeren Raum abspielen und man die sogenannten einfachen Leute nicht erreicht. Das glaube ich aber nicht. Ich bin richtig begeistert von vielen aus der Zivilgesellschaft, die gekommen sind. Teilweise haben sie sich vorher noch nie politisch engagiert und leisten von jetzt auf gleich eine tolle Arbeit.
Was plant das Bündnis Herne für die Zukunft?
Wir versuchen, uns noch breiter aufzustellen und eine regelmäßige Struktur zu etablieren. Wir wollen auch handlungsfähig sein, wenn die Mobilisierung vorbei ist und proaktiv arbeiten. Wir sind da aber noch ganz am Anfang. Wir bleiben in der nächsten Woche bei dem Motto „Nehmt Platz“ und laden wieder auf den Robert-Brauner-Platz ein. Besucher sollen nach Möglichkeit Picknickkörbe mitbringen. Für uns ist das gemeinsame Essen kulturübergreifend und kommunikativ.
Sie sind seit 2017 im Kreisvorstand der Grünen. Was sind Ihre parteipolitischen Ziele?
So etwas habe ich eigentlich nicht. Ich habe mich immer von Aufgabe zu Aufgabe treiben lassen. Währenddessen hatte ich immer das Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Das war mit der Kandidatur für den Kreisvorstand auch so. Ich hatte das Gefühl, dass ich in eine Position gehe, die mir ausreichend Raum gibt, um meine Themen einzubringen. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit, dem Gehör zu verschaffen. Da fühle ich mich jetzt erstmal wohl.
Wäre es für Sie eine Option, Mitglied des Stadtrates zu werden?
Ich bin städtischer Mitarbeiter. Deswegen ist es juristisch nicht möglich, dafür zu kandidieren. Ich finde es wichtig, dass nicht jeder Mensch, der sich parteipolitisch organisiert, in der Fraktion mitarbeiten muss. Bei den Grünen gibt es die angestrebte Trennung von Amt und Mandat. In unseren kleinen Kreisverbänden können wir das nicht immer aufrechterhalten. Es ist wünschenswert, dass einzelne Personen nur Parteiarbeit machen. Man kann dadurch nochmal andere politische Akzente setzen. Die Partei muss auch in den gesellschaftlichen Diskurs gehen.