Heiligenhaus. . Ein Aufzugdefekt hält gehbehinderte Bewohner eines achtstöckigen Hochhauses in Heiligenhaus seit Wochen davon ab, ihre Wohnungen zu verlassen. Seit einem Eigentümerwechsel 2007 geht es nach Mieterangaben bergab, das Haus ist zur Schrottimmobilie verkommen. Die Mieter fühlen sich von Besitzern und Verwaltern im Stich gelassen.

Der Blick aus dem sechsten Stock ist in der Tat beeindruckend. Manfred Hesse steht vor seinem Fenster im Esszimmer und beugt sich leicht nach vorne, um auch nach links und rechts schauen zu können. Über die hügelige Landschaft des Niederbergs hinweg, mit kilometerweiter Sicht. „Wegen dieser Aussicht“, sagt er, „wegen dieser Aussicht will ich hier nicht weg.“ Das Hier ist in Heiligenhaus, an der Hauptstraße 5 genauer gesagt. Jenes Haus, von dem die Nachbarn im Wohnzimmer als Schandfleck sprechen, vom Schrotthaus. Nun, Manfred Hesse ja auch.

Seit mehr als vier Jahrzehnten lebt Manfred Hesse mit seiner Frau Christa schon in dem „hohen Haus“, wie es einst genannt wurde, als der Eingang noch am Ehemannshof 16 lag. Doch inzwischen ist es in die Jahre und damit heruntergekommen. „Wir haben mittlerweile Angst davor, wie es ist, wenn die Blätter von den Bäumen gefallen sind“, sagt seine Frau, „dann sieht man nämlich, wie sehr das Haus verkommen ist. Man traut sich kaum zu sagen, dass man hier wohnt.“

Farbe und Fassade platzen ab

So denken und fühlen auch Hesses Tochter Anja Frank sowie deren Mann Götz oder Helmut Dittmar und Karina Gawron. Von außen platzen die Farbe und Teile der Fassade ab, besonders einladend ist das achtstöckige Gebäude an der Hauptstraße nicht, selbst wenn Nachbar Rolf Heimann auf eigene Kosten Blümchen pflanzt, damit wenigstens der Eingangsbereich halbwegs gastfreundlich aussieht. Im Keller sind die Bewohner nie alleine, da warten schon die Mäuse auf sie, heißt es in der Runde. Und seit dem 28. Juli ist nun auch schon der Aufzug kaputt, was besonders für Unmut sorgt. „Der Hausmeister, den wir alle Jubeljahre mal sehen, sagt dann immer: Ich gebe das weiter“, berichtet Götz Frank.

100 Stufen bis ins Erdgeschoss

So wie Rentner Manfred Hesse wohnen noch viele ältere Personen in den obersten Stockwerken, einige von ihnen sitzen im Rollstuhl oder können nur ganz schlecht laufen, sind somit seit Wochen in ihren eigenen Wohnungen gefangen. Helmut Dittmars Frau Edelgard ist dement, geht zweimal in der Woche zur Tagespflege – für beide ist es ein großer Akt, die rund 100 Stufen herunter ins Erdgeschoss zu gehen. „Aber wir kriegen ja keine Unterstützung, es passiert ja nichts“, ärgert sich Helmut Dittmar, „als ich bei der Hausverwaltung angerufen und gesagt habe, ich würde demnächst einen Krankentransport bestellen und ihnen die Rechnung schicken, bekam ich nur eine patzige Antwort.“

Mittlerweile haben Hesses, Franks, Dittmars und Gawrons schon die Miete um 15 Prozent gekürzt, sich bei Rechtsanwälten und dem Mieterverein Velbert Hilfe geholt. Denn immer wieder lägen im Briefkasten Rechnungen mit satten Forderungen, die auf Nachfrage den Mietern allerdings niemand erklären könne. Auch im Falle des defekten Fahrstuhls „kommt da nichts Substanzielles“, berichtet Rechtsanwalt Jürgen Hübinger vom Mieterverein von zahlreichen Schreiben an die Essener Treureal, die das Haus verwaltet, „und wenn Sie anrufen, werden Sie weitergeleitet und hängen den Hörer von alleine nach etlichen Minuten in der Warteschleife ein. Das ist Zermürbungstaktik.“

Schrottimmobilie

Auf zweifache Nachfrage der WAZ hat die Hausverwaltung erklärt, dass der Aufzug in der 43. Kalenderwoche in Ordnung gebracht werden soll. „Der insolvente Besitzer vorher hat offenbar nur kurzatmige Reparaturen durchführen lassen“, so Heinz Colligs aus der Treureal-Zentrale in Mannheim. Nun sei die gesamte Steuerung des Fahrstuhls defekt.

Nach der Ausfallmeldung sei sofort reagiert worden: Ein Kostenvoranschlag ergab eine Investitionssumme von 35 bis 40 000 Euro. „Der Eigentümer erklärte dann, dass er sich selbst darum kümmern möchte. Am 16. August hat er uns mitgeteilt, dass der Auftrag erteilt ist, für dieses alte Modell aber lange Lieferfristen vorlägen.“

Besitzer ist eine Gesellschaft in Luxemburg

Das Gebäude ist nun seit Jahresbeginn im Besitz einer in Luxemburg niedergelassenen Gesellschaft. „Seit 2007 geht’s bergab“, stöhnt Karina Gawron. Als das Haus noch im Besitz eines Heiligenhauser Privatmanns war, gab’s keine Klagen. Der hatte auf alles geachtet, es als seine Altersvorsorge betrachtet, von der er bis zu seinem Tod aber leider nicht viel hatte. Der folgende Eigentümer hat dem Vernehmen nach nichts mehr investiert, ging in die Insolvenz, die noch ausstehenden Rückzahlungen aus der Betriebskostenabrechnung haben alle abgeschrieben, nun gehört das Haus den Luxemburgern.

In diesen Spalt passt ein Brotmesser.
In diesen Spalt passt ein Brotmesser. © WAZ FotoPool

Immer mehr Erstmieter wollen nicht mehr an der Hauptstraße 5 bleiben. Anja Frank schon, trotzdem seufzt sie: „Ich bin hier aufgewachsen. Früher war es schwierig, hier eine Wohnung zu bekommen, heute hat man hier Leerstand.“ In ihre Küche ist der Schimmel eingezogen, neben der Heizung befindet sich ein zentimeterbreiter und tiefer Spalt, in dem ein Brotmesser verschwindet. Außen auf dem Balkon ist zu sehen: Die komplette Wand ist nass, die Feuchtigkeit ist runtergezogen bis in die vierte Etage. „Hier“, sagt Anja Frank und geht über die feuchten Stellen, „die Farbe kann man abrubbeln.“ In dieser Woche jährt sich das Datum der ersten Beschwerde. „Wir kriegen immer nur zu hören, wir wären die einzigen, die jammern.“ Das gleiche in anderen Anliegen haben offenbar auch schon Helmut Dittmar und Karina Gawron gesagt bekommen.

Manfred Hesse kommt nicht mehr häufig vor die Türe, sechs Stockwerke sind einfach zu viel nach einer Lungen-Operation kürzlich. „Ende September soll alles fertig sein mit dem Aufzug“, sagt und runzelt die Stirn. Hingehalten und vertröstet wurden die Bewohner etliche Male. Hesse hat keine Probleme damit, so schnell wie möglich die Mietkürzung zurückzunehmen. „Was nutzt das alles, wenn man die Treppen nicht mehr herunterkommt?“ Da ist selbst sein Blick aus dem Esszimmer heraus über das Niederbergische nur ein schwacher Trost.