Hattingen. Hattingens Senioren besorgt die aktuelle, politische Lage. Sie legen eine Erklärung zur Demokratie und gegen Auftritte der Montagstrommler vor.
Seniorinnen und Senioren mischen sich ein in die aktuelle, politische Lage. „Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich an der Europawahl am 9. Juni zu beteiligen und ihre Stimme den demokratischen Parteien zu geben“, erklärt Hans Hartung, stellvertretender Sprecher des Seniorenforums.
An den Demos gegen rechts teilzunehmen, sei das eine, aber seine Stimme bei der Wahl abzugeben, das andere. Und das sei unglaublich wichtig. Die Erklärung der Senioren soll am Mittwoch, 13. März, um 15 Uhr im Rathaus verabschiedet werden. Eingeladen sind alle interessierten Bürger.
Hattinger: „Wollen zeigen, dass wir für die Demokratie kämpfen, weil es sich lohnt“
„Wir wollen zeigen, dass die Demokratie etwas Positives ist, dass wir für die Demokratie kämpfen, weil es sich lohnt“, betont Hartung. Es reiche nicht, nur gegen rechts zu sein und zu demonstrieren, was auch er seit Weihnachten immer wieder tut. Man müsse bei der Europawahl sein Kreuzchen einer demokratischen Partei geben. Die Hattinger Seniorinnen und Senioren hätten zum Teil noch die Gräuel des von Deutschlands ausgehenden, verbrecherischen Zweiten Weltkriegs und die entbehrungsreichen Jahre des Wiederaufbaus miterlebt, heißt es in der Erklärung.
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Man habe für Gleichberechtigung und die Anerkennung der Diversität gekämpft und sei erschüttert, dass 75 Jahre nach Kriegsende wieder Gruppen entstehen, die „Rassismus, Unmenschlichkeit und ein zurücksetzendes Frauenbild“ verteidigten. Die Hattinger Seniorinnen und Senioren hätten ein dreiviertel Jahrhundert in Frieden mit den Nachbarländern gelebt. In fairen, demokratischen Auseinandersetzungen sei ein Miteinander gelebter Alltag gewesen. Die meisten hätten in ausreichendem Wohlstand gelebt, auch dank der Gastarbeiter, die dazu beigetragen hätten. „Wir befürchten, dass diese Vorzüge durch einseitiges, verrohendes Hetzen und Abwerten bis zum Ausgrenzen einzelner Personengruppen in Gefahr gebracht wird“, heißt es in der Erklärung.
Hattinger Senioren fordern einen toleranten Umgang miteinander
Die Seniorinnen und Senioren, die sich als Reisende in vielen Ländern hätten umsehen können, fordern alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, sich für einen toleranten Umgang miteinander einzusetzen. „Man muss Gastfreundschaft gegenüber Migranten zeigen, die wir auch als Arbeitskräfte weiterhin benötigen. Und wir müssen alle Religionen respektieren“, betont Hans Hartung.
Die älteren Hattinger sähen auch, dass die Stadt an ihre sozialen und finanziellen Grenzen stoße. „Dennoch sind wir überzeugt, dass eine Rückbesinnung auf ein geschöntes, national-beschränktes Weltbild keine Lösung ist. In einer digitalisierten und handelsverbundenen Welt hilft keine kleinstaatlich nationale, sondern nur eine europäisch orientierte Sichtweise. Deshalb rufen wir alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich an den Europawahlen zu beteiligen und ihre Stimme den demokratischen Parteien zu geben“, heißt es in der Erklärung des Hattinger Senioren-Forums zu den Auftritten der Montagstrommler in Hattingen.
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Die Erklärung soll im Rathaus an Bürgermeister Dirk Glaser übergeben und zudem auf vielen Wegen in die Bevölkerung hineingetragen werden. Auch über Social Media und auf der nächsten Demokratiekonferenz wird die Erklärung verbreitet.
Kriegserinnerungen: Russen helfen Hattinger auf der Flucht zum Überleben
Als ein Bombenteppich auf Berlin niederprasselt, ist Hans Hartung ein kleiner Knirps. Im Januar 1940 geboren, wird er mit den Eltern und den vier Geschwistern zweimal ausgebombt. Die Mutter tritt mit den Kindern die Flucht ins Sudetenland an. Danach geht’s wieder in die andere Richtung: Der Westen scheint die sicherere Zone. „Nur Punkte sind in meinem Leben aus der Zeit geblieben“, sagt der 84-Jährige. Aber die Fetzen, die sich ins Gedächtnis eingefressen haben, sind dauerhaft leuchtend hell.
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So hell wie ein Ereignis in Chemnitz schildert er die Bilder, die er noch lebendig im Kopf hat. „Es gab einen Großangriff auf die Stadt und der Himmel über Chemnitz war leuchtend rot und gelb.“
Und auch ein anderes Erlebnis wird der stellvertretende Sprecher des Seniorenforums nie mehr vergessen.
Kriegszeit war auch Hungerszeit
Kriegszeit war auch Hungerszeit. Hans kommt an einem russischen Soldaten vorbei, der gerade eine dicke Stulle mit einer ordentlichen Scheibe Speck drin essen will. Der Kleine schaut schmachtend den Russen an, und was macht der? Er holt ein Messer aus der Tasche, schneidet einen Streifen der Leckerei ab und gibt das Stück dem Knirps. „So etwas vergisst man nie“, sagt Hans Hartung.
Erinnern kann sich der 84-Jährige auch, dass er und andere Kinder „in Zügen durch die Fenster gereicht wurden“. Und ein weiteres Mal ist es ein Russe, der der Mutter mit ihren Kindern auf der Flucht zum Überleben hilft. „Wir waren an einem ganz kleinen Grenzübergang und wollten in den Westen. Da stand ein Russe und hat uns geholfen, dass wir unbeschadet rüberkommen.“
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Hartungs Vater gilt als vermisst - auf der Krim
Gelandet und gestrandet ist die Mutter mit den Kindern dann in der Nähe von Bremen. Die älteste Schwester, gerade mal eine Jugendliche, musste den Weg alleine Richtung Bremen antreten. „Was ihr dabei widerfahren ist, darüber hat sie ein Leben lang nicht gesprochen“, berichtet Hartung. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Er gilt als vermisst - auf der Krim. Was bleibt, sind Bilder vom Papa. Bis heute.