Hattingen. Ein Fall in den eigenen Reihen und der Fall Hengsbach schockierten. Hattingens Schutzkonzept gegen Missbrauch macht deshalb vor niemandem Halt.
2023 veröffentlicht das Ruhrbistum eine Missbrauchsstudie. Auch die Pfarrei St. Peter und Paul in Hattingen stellt ihre Standards auf den Prüfstand und entwickelt ein neues Schutzkonzept. Pfarrer Andreas Lamm erklärt, welche Auswirkungen das hat und wie das Thema Missbrauch plötzlich ganz nah an Hattinger Gemeinden heranrückte.
„Wir haben einen hohen moralischen Anspruch und haben eklatante Fehler auf uns geladen“, sagt Hattingens Stadtpfarrer über die Kirche. Das soll nie wieder möglich sein.
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Ein Schutzkonzept gibt es in Hattingen seit 2010. Jetzt aber wurde es komplett überarbeitet, „alle Selbstverständlichkeiten überprüft“. Das Ergebnis: „Es wird keine dunklen Ecken mehr geben, die Missbrauch möglich machen könnten“, betont Lamm.
Präventionsfachkraft
Mariella von der Burg ist ehrenamtlich als Präventionsfachkraft für die Pfarrei St. Peter und Paul in Hattingen tätig. Sie ist in Hauptberuf Lehrerin an der Franziskusschule in Hattingen und hat für die Pfarrei alte Umgangsformen auf den Prüfstand gestellt und neue geschaffen.
In Hattingen ist sie Ansprechpartnerin für den Bereich der Präventionsarbeit, zu dem unter anderem auch Schulungen zum Thema sexualisierte Gewalt gehören. Erreichbar ist sie per E-Mail an praevention@hattingen-katholisch.de.
Das geht teils mit baulichen Veränderungen einher. So werden Seelsorgeräume stets von zwei Seiten einsehbar sein. Auch von außen sind Räume jederzeit einsehbar - Plissees und Vorhänge Geschichte. Beichten finden offen statt, zum Beispiel im Pfarrgarten. „Bei Kindern können Eltern auch dabei sein“, sagt der Pfarrer. Wichtig ist, dass sie jederzeit das Geschehen sehen, aber nicht hören können, was das Kind erzählt.
Bei allen Veranstaltungen mit Kindern findet immer eine Risikoanalyse statt. Ziel ist, dass ein Separieren Einzelner nicht möglich ist. Dazu gehört auch ein sexualpädagogisches Konzept und eine gelebte Offenheit: „Keiner soll erfahren: ‚Du bist hier nicht gewollt, wie du bist‘“, unterstreicht Lamm.
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Aber er betont auch: „Nicht jeder Priester im Zölibat ist ein Missbrauchstäter.“ Vertrauen schaffen soll ein offenes Verhalten und keine Tabuzonen, auch für Priester, sondern intensive Aufklärungsarbeit. Dabei wird den Kindern das Bewusstsein vermittelt, dass sie „nein“ sagen dürfen und nichts verschweigen müssen.
Das neue Konzept strahlt in alle Bereiche. Nicht ohne Grund: „Bei einem Ehrenamtlichen gab es im privaten Bereich Missbrauch“, sagt Andreas Lamm. Die Gemeinde reagiert schockiert, auch wenn ausgeschlossen werden kann, dass innerhalb des Ehrenamts etwas passiert ist, betont der Pfarrer.
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Der Fall mache aber deutlich, „dass man jedem, ob Geistlicher oder Ehrenamtlicher, nur vor den Kopf schauen kann“. Deshalb gilt in Hattingen: Was transparent ist, da kann nichts passieren. Alle Räume sind deshalb auch jederzeit von jedem betretbar. So passiere es eben auch, dass überraschend mal jemand dazukommt.
„Natürlich vertrauen wir Menschen und sind dankbar für viele gute Ehrenamtliche, aber sie müssen belegbar machen, dass man ihnen vertrauen kann“, erklärt Lamm. Dazu gehört ein polizeiliches Führungszeugnis. Und jeder - haupt- und ehrenamtlich - durchläuft mindestens eine Schulung, um Sinne zu schärfen.
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Oft höre er Sätze wie: „Ich mache das doch täglich“ zum Beispiel von Erziehern oder Lehrern. Oder: „Bei uns kann doch nichts passieren. Da macht doch keiner was“ von alteingesessenen Helfern. „Das kann ich nicht mehr hören“, gesteht Lamm. Grundsätzlich stoßen die neuen Regeln aber auf „Beachtung und Interesse“.
Nicht zuletzt der Fall Kardinal Franz Hengsbach habe die Hattinger aufgewühlt. „Man kannte ihn als Kumpeltyp. Und dann hat er Dreck am Stecken. Da merkte man die Betroffenheit“. Eine 85-Jährige habe bitterlich geweint, so schockiert war sie. „Da merkt man, wie leicht so etwas institutionell passieren kann.“