Hattingen. Messerangriff in einer Schule in Hattingen: Vor Gericht steht eine 17-Jährige. Trotz ihres Geständnisses könnte es einen Freispruch geben.
Es ist ein Tag im Januar, als die damals 16-Jährige ihre Schule, die Realschule Grünstraße, betritt. Im Klassenzimmer zückt sie ein Hackmesser und versucht, einen Mitschüler zu verletzen. Jetzt steht das Mädchen vor Gericht. Schon der erste Verhandlungstag kostet es vorläufig seine Freiheit – dabei ist noch kein Urteil gesprochen.
Ob die heute 17-Jährige verurteilt wird, ist ungewiss. Nach dem ersten Prozesstag am Landgericht in Essen steht fest, dass sie vorerst nicht auf freiem Fuß bleibt. Sie war als freier Mensch gekommen, nach Hause durfte sie aber nicht mehr.
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Die junge Hattingerin hat die Tat weitestgehend gestanden, berichtet Gerichtssprecher Dr. Thomas Kliegel. Eine Lehrerin hatte damals die Bluttat verhindert, weil sie der Schülerin das Messer aus der Hand schlagen konnte. Die Angeklagte betont vor Gericht, sie habe krankheitsbedingt gehandelt.
Strafmündigkeit von Jugendlichen
Strafmündig sind in Deutschland Jugendliche ab 14 Jahren. Dann wird davon ausgegangen, dass sie fähig sind einzusehen, dass sie ein Unrecht bzw. eine strafbare Handlung begangen haben. Sie können dann nach Jugendstrafrecht verurteilt werden.
Kinder unter 14 Jahren müssen für ihre Straftaten aber noch keine Verantwortung übernehmen. Sie gelten als strafunmündig. Der Mordfall Luise hatte zu Beginn des Jahres Diskussionen über die Strafmündigkeit ausgelöst. Auch unter 14 Jahren können Kinder, wenn von ihnen eine Gefahr ausgeht, schwerwiegende Maßnahmen angeordnet werden – zum Beispiel auch die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung.
Tatsächlich wurde bei dem Mädchen Schizophrenie festgestellt. Zu Wort kam deshalb auch eine Kinder- und Jugendpsychologin, die sich mit den Fall befasst hat. Ihre Einschätzung ist alarmierend: Die Schizophrenie des Mädchens habe sich deutlich verschlechtert, gibt Kliegel die Aussage der Expertin wieder. Schlussfolgerung: „Sie ist gefährlich für die Allgemeinheit.“
Deshalb wird für die junge Frau umgehend die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung beschlossen. Dort wartet sie nun auf die weiteren Verhandlungstage. Noch drei weitere Termine bis weit in den September hat das Gericht vorgesehen.
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Ob am Ende des Prozesses eine Verurteilung stehen wird, ist aber offen. Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet auf versuchte gefährliche Körperverletzung. In Frage käme gegebenenfalls aber auch eine Verurteilung wegen einer versuchten Tötung. Deshalb wird der Fall am Landgericht verhandelt statt in Hattingen am Amtsgericht.
Trotz ihres Geständnisses könnte am Ende der Verhandlung aber auch ein Freispruch stehen. Der wäre dann möglich, wenn die 17-Jährige aufgrund ihrer Krankheit als nicht schuldfähig betrachtet würde. Doch auch mit einem Freispruch wäre eine weitere Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung möglich. Jährlich würde dann geprüft, ob sich ihr Zustand verbessert hat und der Unterbringungsbeschluss aufgehoben werden kann.
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Ihre ehemalige Schule hat die Hattingerin seit dem Vorfall vor gut anderthalb Jahren nicht mehr betreten. „Wir haben damals den sofortigen Ausschluss aus der Schule ausgesprochen“, sagt Schulleiter Jürgen Ernst. Dieser Schritt erfolgt in Absprache mit der Bezirksregierung in Arnsberg.
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Zum Glück wird die Lehrerin nicht verletzt, als sie der Schülerin das Messer abnimmt. Dennoch löst die geplante Attacke die Notfallpläne der Schule aus. „Es gibt interne Pläne, wie mit Krisensituationen umgegangen wird“, erklärt Ernst. Nach solchen Fällen werden diese Pläne vom Krisenteam aus Lehrerkollegen und Schulleitung auch immer wieder überarbeitet. „Damit wir für das nächste Mal besser vorbereitet sind“, so der Schulleiter.
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Im Mittelpunkt steht immer die Opferbetreuung. Dafür holt sich die Schule Unterstützung von Experten der Kriminalpolizei. Die Aufarbeitung läuft auch durchaus länger, denn „jemand mag im ersten Moment stark erscheinen, aber es kann immer noch was nachkommen“, weiß Jürgen Ernst.
Die Verhandlung gegen die 17-Jährige wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der kommenden Woche fortgesetzt.