Hattingen. Einst mit Pissoir, jetzt mit Trinkstele: Hattingens Obermarkt ist ein nettes Spiel-Plätzchen mit Geschichte, Charme, netter Botschaft und Wasser.
Daniel (4) aus Wetter entert das Schiff des Treidelbrunnens, grinst vergnügt, während Emilie (17) und Kristina ihm von der halbrunden, meterlangen Bank aus zusehen. Dort sitzt auch Detlev Paetsch (75), weil „es hier nett ist“. Dabei zieht es viele einfach nur vorbei am Obermarkt in Hattingen. Doch wer aufmerksam verweilt, entdeckt die Möglichkeiten, die Botschaft und den Charme „der platzartigen Erweiterung der Heggerstraße“.
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So definiert ihn die hiesige historische Tafel. Hier, wo einst Krämer auf der Straße Bürsten, Beutel, Spiegel, Gewürze und anderen „Kram“ verkauften, muss es laut und wuselig zugegangen sein. Heute herrscht Ruhe. Von der Bank mit einigen modernden Holzelementen aus lässt sich trefflich auf die auf der Heggerstraße Bummelnden schauen. Sehen – ohne selbst wahrgenommen zu werden: Das bietet der Platz. Denn kaum jemand blickt hinüber zum Brunnen.
Der Obermarkt ist ein nettes Plätzchen in Hattingen
Es sei denn, ein Kind wie Daniel quietscht vor Vergnügen, weil es sich im Treidelbrunnenwasser erfrischt, mit dem Wasserrad spielt. Der Brunnen steht hier seit 1988. Geschaffen hat ihn der Aachener Bonifatius Stirnberg. Erinnern soll er an die Bedeutung der Ruhr als Transportweg für die Ruhrkohle. Der Gullydeckel davor trägt die Aufschrift „150 Jahre Sparkasse Hattingen – 10.6.1988“.
Für den Mann mit Sonnenbrille und Sträflingsanzug, der Handschellen im Brunnen versteckt, ist der „Vulkanbrunnen“, wie er ihn nennt, wichtig. Er duckt sich auf der Bank. „Die ist etwas schräg, irgendwie abschüssig“, stellen zwei Frauen neben ihm fest. Martin Maschka von der Wildnisschule Ruhrgebiet sagt: „Ich habe den Brunnen schon als Kind geliebt, bin hier geklettert. Ich war ein Dino-Fan, da passte der Vulkan toll.“ Heute spielen immer noch Kinder in, an und mit ihm. Mancher Hund stillt seinen Durst, mancher Passant steckt die Hände ins kühle Wasser, das laut Schild kein Trinkwasser ist. Ein Mann lehnt telefonierend an einer Laterne.
Platz mit Geschichte
Der Platz hat Geschichte. Auf ihm wird Neues probiert – wie 1905 das erste öffentliche Pissoir. In diesem Jahr haben die Stadtwerke den ersten öffentlichen Trinkwasserbrunnen aufgebaut – unweit vom Ständer mit Mülleimer und Aschenbecher. Paetsch trinkt. Seit Jahren radelt er drei Mal pro Woche von Wuppertal nach Hattingen, weil „die Strecke schön ist“. Oft verweilt er dann auf der langen Bank am Obermarkt. „Ich komme hier mit Leuten ins Gespräch, bummele durch die Buchhandlung.“
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Die hat er auf der Bank sitzend im Rücken. Im Angebotswagen unter der bunt gestreiften Markise finden sich Leseknochen, Bücher. Am Eingang informiert eine Tafel über die Biografie von J. A. Mayer, dem Namensgebers der Buchhandlung im Fachwerkhaus. Gleich daneben steht ein weiteres, dessen Balken teils Rankenschnitzereien in Grün zeigen. Dazwischen: der Eingang zum „Kunstrevier“ von Sonja Henseler.
Blick auf Einzelhandel
Geradeausblickend fällt ein Leerstand in den Blick, Mode von Ambiente, das Gardinen-Krieger-Schaufenster. Rechter Hand leuchten pinkfarbene Blüten in den Blumenkästen des griechischen Restaurants neben dem Telekom-Geschäft mit gleicher Farbgebung.
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Olivenbäumen zieren den Eingang zu Takis im Fachwerkhaus mit Bleiglasfenster im zweiten Stock. Bis auf den Platz haben Restaurant-Tische und große grüne Sonnenschirme Platz gefunden.
Schatten auf dem Platz mit dem schwarz-roten Kopfsteinpflaster, das das halbrund nachzeichnet, spenden außerdem drei im Dreieck gepflanzte große Sommerlinden. Nettes Detail: Mit roten Pflastersteinen eingefasst ist ein zweiter Gully.
Obermarkt hilft dem Wort „nett“
Unter dem Platzschild „Obermarkt“ hängt in luftiger Höhe – Lesewillige müssen den Kopf in den Nacken legen – unweit der Fahrradstellplätze die Infotafel über die Wort-Partnerschaft für das Wort „nett“ der Stadt Hattingen mit der Gesellschaft für deutsche Sprache. Beide möchten dem Wort, lange abgestempelt als Synonym für langweilig, zu neuem Geltung verhelfen.
Schließlich ist es doch auch das, wonach wir uns im Grunde alle sehnen. Wir möchten es uns nett machen, nette Leute treffen und nette Orte entdecken. Orte wie Hattingen, herzlich, weltoffen und authentisch – einfach nett eben.“ So nett wie die „platzartige Erweiterung der Heggerstraße“: der Obermarkt.
+++ Dieser Text wurde zuerst am 3. Juli 2023 publiziert +++
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