Hattingen. Kirchenmusik und Komponistenporträts hat Lore Goes aus Hattingen gemacht. Besondere Fügungen gaben ihrem musikalischen Weg die Richtung.
Natürlich greift Lore Goes an diesem Nachmittag, da die WAZ sie besucht für ein Porträt anlässlich ihres 90. Geburtstages am heutigen Donnerstag (19.1.), noch einmal zum Taktstock. Und natürlich auch setzt sie sich an ihr Klavier, an dem sie unzählige Stunden musiziert und öffentliche Auftritte vorbereitet hat. „Gott“, sagt sie, „hat mich mit der wunderbaren Gabe der Musik gesegnet.“ Dafür sei sie dankbar.
+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Hattingen verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. Jeden Abend schicken wir Ihnen die Nachrichten aus der Stadt per Mail zu. +++
Im Wohnzimmer ihres Hauses in Holthausen empfängt Lore Goes ihren Besuch. Im Bauernhaus nebenan sei sie aufgewachsen als Kind der Familie Potthoff, sagt sie. Und dort habe ihr ein von der Mutter Elfriede organisierter Privatlehrer das Klavierspiel beigebracht, als sie acht war. Seitdem begleitet die Musik Lore Goes durchs Leben.
Immer wieder besondere Fügungen, die ihrem musikalischen Weg die Richtung geben
Es sind dabei immer wieder besondere Fügungen, die ihrem musikalischen Weg die Richtung gegeben haben. Die erste: Der damalige Pfarrer August Graefe zu Baringdorf bittet ihre Mutter anno 1944, dass die damals elfjährige Lore in der Kleinkirche an der Behrenbeck den Organistendienst am Harmonium übernehme. „Ich kam kaum an die Pedale“, sagt Lore Goes rückblickend. Erzählt sodann vom Stolz der Mutter, aber auch davon, wie gefährlich ein Bekenntnis zur Kirche damals mitten im Zweiten Weltkrieg in Nazideutschland war. Und wie nah sie und ihre Familie den Krieg miterlebten – nicht nur, als sie sah, wie einmal ein Bombensplitter das Harmonium beschädigt hatte.
Auch Lore Potthoffs erste Schuljahre sind vom Krieg geprägt, acht Jahre nach dessen Ende absolviert sie mit Bravour ihr Abitur an der Waldstraße – „als erstes Mädchen aus Holthausen“.
>>> Mehr Nachrichten aus Hattingen und Sprockhövel
Musik, hätte man meinen können, würde die willensstarke junge Frau nun studieren. Doch die Hattingerin entscheidet sich anders, für Theologie und Französisch in Münster, Bonn, Lyon. Später kommt noch Textiles Gestalten hinzu, dann wird sie in Bochum Lehrerin. Der Musik bleibt sie indes verbunden, spielt weiter das Harmonium. Und gründet alsbald mit Rudolf Goes, der an der 1962 gegründeten Ruhr-Uni die Bibliothek aufbauen soll, einen Hausmusikkreis. In den Historiker aus Tübingen, den sie bei Verwandten kennenlernt, ist Lore Potthoff alsbald auch verliebt. 1963 heiraten sie, ihren Beruf als Lehrerin gibt Lore Goes auf. Einige Jahre später adoptieren sie und ihr Mann zwei Mädchen.
Ihr Nachbar animiert sie, sich kirchenmusikalisch ausbilden zu lassen
Und alsbald gibt es die nächste für Lore Goes’ musikalische Vita so wichtige Fügung: Ihr Nachbar, Prof. Henning Frederichs, Universitätsmusikdirektor in Bochum und Kirchenmusiker an der St.-Georgs-Kirche, animiert sie, sich kirchenmusikalisch ausbilden zu lassen, auch zur Chorleiterin. „Ich bin keine überragende Dirigentin“, sagt sie. Trotzdem wagt sie sich an die großen Werke heran. Auch in dem Wissen, dass „ich mit ganzem Herzen dabei bin, der Funke stets überspringt“.
>>> Folgen Sie unserer Redaktion auf Facebook – hier finden Sie uns
Nach Engagements in der Johannes-Kirchengemeinde und in Blankenstein übernimmt sie 1979 Frederichs Nachfolge als Kirchenmusikerin in der St.-Georgs-Kirche. Und baut dort nach jahrzehntelanger chorloser Zeit wieder einen Kirchenchor auf, daraus wird die St.-Georgs-Kantorei. Sie fesselt Mitglieder, Musiker, Mitmenschen weit über Hattingen hinaus. Bis ihr viel gelobtes Engagement 1997 nach drei Aufführungen der Matthäus-Passion jäh endet. Über die Gründe mag sie heute nicht mehr sprechen. Und lässt doch durchblicken, dass sie jener Abgang noch immer schmerzt.
Sie widmet Schütz keinen Vortrag, sondern ein Komponistenporträt mit Wort und Musik
Das Ende ihres musikalischen Wirkens indes ist dieser nicht, die Kantorei habe danach frei weitergemacht, erzählt Lore Goes. Dann, 2001, gibt es erneut eine wunderbare Fügung: Jürgen Wilbert, der damalige VHS-Leiter, bittet Lore Goes, einen Vortrag über einen Komponisten ihrer Wahl zu halten. Sie sagt zu, wählt ihren Lieblingskomponisten Heinrich Schütz. „Er hat die Bibel in Musik übersetzt, ist ein musikalischer Verkünder“, hat sie dies einmal begründet. Sie widmet Schütz keinen Vortrag, sondern ein Komponistenporträt mit Wort und Musik. Es ist das erste von insgesamt 40, die sie mit dem Hattinger Vokalensemble aufführt. Und 2022 ließ sie erneut mit einem Porträt über Schütz, jenen Komponisten aus dem Frühbarock, enden.
Auch interessant
Aufgenommen auf CD hat Lore Goes diese Darbietung – wie so viele davor. Ob sie sich diese nun ab und an anhört? Oder eine andere ihrer unzähligen Musik-CDs? „Ach“, sagt die Geburtstagsjubilarin da. „Musik zu hören, war für mich zuletzt stets damit verbunden, etwas vorzubereiten für ein Publikum. So weit, sie nur zur Entspannung zu hören, das bin ich noch nicht.“ Einige Choristen hätten sich zudem auch schon gewünscht, dass sie doch noch weitermache.