Hattingen. Das 19. Jahrhundert ist in Hattingen die Zeit der großen Gründer: Weygand brennt Schnaps, Hill verkauft Colonialwaren – und die Hütte wächst.

Als der Steiger Friedrich Helmich am 28. Februar 1848 gemeinsam mit dem Kaufmann C. Seibels ein Späteisenflöz in Winz entdeckt, hat er noch keine Ahnung, welche Bedeutung dies für seine Heimatstadt haben wird. Der Rohstoff ist die Grundlage für einen bahnbrechenden Strukturwandel im Hattinger Land, der alles verändern wird – die Henrichshütte wird das neue Herzstück der Stadt Hattingen.

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 Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode (1772-1854).
 Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode (1772-1854). © WAZ | Repro, mb

Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode tritt am 30. September 1853 auf die hiesige Landkarte, als er zwischen Steele und Witten 60 Eisensteinfelder kauft. Nur einen Monat später kommen 76 Morgen vom Rittergut Bruch in Welper hinzu – hier will er sein Hüttenwerk bauen! Doch noch während der Bauzeit stirbt der Graf – ihm zu Ehren wird das neue Werk am Haus Bruch fortan Henrichshütte genannt.

Der erste Hochofen wird am 20. Juli 1855 angeblasen. Ein Schichtmeister, drei Steiger und 326 Arbeiter sind im Dienst, erste Arbeitersiedlungen entstehen am Loh und Haidchen in Welper. Es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

Kornbrennerei auf dem Rittergut Kliff gegründet

Generell ist das 19. Jahrhundert die Zeit der großen Gründungen in der Stadt. Etwa die der Kornbrennerei, die der Landwirt August Weygand im Jahr 1805 auf dem Rittergut Kliff vorantreibt – seine Feuerwasser werden zum Markenzeichen.

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Weygand gehören jede Menge Ländereien – er baut seinen wertvollsten Rohstoff auf den eigenen Äckern an, die sich vom Beul bis zum Rosenberg erstrecken. Er bewirtschaft mehr Fläche als es später die Henrichshütte macht. Bis zu zwölf Gebäude stehen auf dem Kerngelände, das bekannteste ist wohl der 48 Meter hohe, rote Schornstein – zugleich eines der Wahrzeichen für die ganze Stadt.

Heinrich Hill eröffnet am 30. November 1855 sein Geschäft für Colonial­waren in Bredenscheid.
Heinrich Hill eröffnet am 30. November 1855 sein Geschäft für Colonial­waren in Bredenscheid. © WAZ | Archiv

Jacob Urias indes macht sich am 29. Oktober 1826 im Steinhagen mit der „Manufaktur- und Waaren-Handlung“ selbstständig, die zum größten Kaufhaus der Stadt wird. Der jüdische Kaufmann ist eine Persönlichkeit im politischen, sozialen und kulturellen Leben.

Heinrich Hill eröffnet am 30. November 1855 sein Geschäft für Colonialwaren in Bredenscheid. Er ist gerade einmal 29 Jahre alt, seiner Zeit jedoch um einige Jahre voraus – was er natürlich noch nicht weiß: Der Hill’sche Betrieb wird sich zu einem der bedeutendsten der Branche in Deutschland entwickeln.

Puth gilt als besonders filigran arbeitender Seildreher

Heinrich Puth ist ein sorgfältiger und fleißiger, ein besonders filigran arbeitender Seildreher. Nach einem Streit mit seinem Chef stellt ihm der Landwirt Haarmann-Drenhaus ein Grundstück zur Verfügung – und der 15. Februar 1848 geht als Gründungstag der Seildreherei Heinrich Puth in die Geschichte ein. Hanfseile, die vor allem der Bergbau braucht, sind sein erstes Produkt, 1852 kommen Drahtseile hinzu. Beliefert werden viele Branchen, mit Tauen vorwiegend die Schifffahrt. Heinrich Puth stellt auch das Förderseil für die Zeche Nachgedacht im Hammertal her, seine Firma wächst schnell.

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Zurück auf die Hütte, auf der schon nach einem Jahr 25 Tonnen Roheisen am Tag produziert werden – so viel wie sonst nirgends im Ruhrgebiet. Deshalb wird 1856 bereits der zweite Hochofen angeblasen. Karl Roth ist erster Hüttenmeister, er wird der erste Direktor. Und so entfaltet sich das Leben: In Sichtweite der Hütte etwa spülen die Arbeiter nach der Schicht in einem Bruchsteinhaus am Büchsenschütz ihren Alltagsärger herunter. Und der Schnaps kommt in 200-Liter-Fässern aus der Kornbrennerei Weygand – woher sonst?

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>>> Carl Friedrich Gethmanns großes Geschenk an Blankenstein

„Zur Freude und Erholung seiner Mitbürger und aller Besucher des Städtchens Blankenstein“ hat Carl Friedrich Gethmann im Jahr 1808 seinen imposanten Landschaftsgarten anlegen lassen. Er gehört zu den ersten öffentlichen Gärten des Landes, der für jedermann frei zugänglich ist – und bietet einen umwerfenden Ausblick ins Ruhrtal.

Umwerfender Ausblick aus dem Belvedere im Gethmannschen Garten.
Umwerfender Ausblick aus dem Belvedere im Gethmannschen Garten. © Heimatverein

Gärten sind die Leidenschaft der Gethmanns. Der eigene Hausgarten etwa, der liebevoll in eine blühende Pracht verwandelt wird. Doch weil ihm der nicht ausreicht, will er etwas Größeres schaffen, etwas Bleibendes.

Im Jahr 1807 pachtet er die an seinen Besitz angrenzende „Rampel­duse“, ein Jahr später startet der Bau der romantischen Gertrudengrotte. Was folgt: Obstbaumallee vom Friedrichsberg mit Schneckengang zur Wilhelmshöhe; Tannenkabinett und Belvedere – Ausblick inklusive.

1833: Aristokratischer Besuch durch Preußens Kronprinz

Und es gibt aristokratischen Besuch: Im Jahr 1833 schaut Preußens Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., hier vorbei. Eine Gruppe festlich gekleideter Damen tritt dem beliebten wie begehrten Prinzen gegenüber – sie schenken ihm einen Kranz und die gerade erst 15 Jahre alte Franziska Giesler trägt ein Gesicht vor.

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Als Mathilde Franziska Anneke wird sie später zu einer der ersten Feministinnen der Weltgeschichte, die Deutsche Post widmet ihr 1988 im Rahmen ihrer Serie „Frauen der deutschen Geschichte“ sogar eine Briefmarke. Als sie drei Jahre alt ist, kommt Franziska nach Blankenstein – und bleibt mit ihrer Familie bis zu ihrem 16. Lebensjahr.

In ihrer letztlich unvollendeten Autobiografie schreibt Anneke dazu: „In stiller Abenddämmerung, in heiliger Sonnabendfeier habe ich Dich erreicht, liebliches Blankenstein, Eldorado meiner glücklichen Kindheit, Ziel meiner träumerisch-dichterischen Sehnsucht.“

>>> Historie – Hattingen im Laufe der Jahre, 1800-1899

1807-10. Um- und Ausbau der St.-Georgs-Kirche, die nun über 1300 Sitzplätze verfügt.

April 1808. Hochwasser reißt einen Bogen der Ruhrbrücke mit.

1.4.1813. Der Kirchplatz wird nicht mehr als Friedhof genutzt – Beisetzungen nun am Bruchtor.

1817. Pocken-Epidemie!

1820. Bau der acht Meter breiten Chaussee von Hattingen nach Blankenstein.

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1828-30. Ausbau der Straße von Hattingen nach Sprockhövel über die Friedrichshöhe.

1830-33. Ausbau der Straße von Hattingen nach Langenberg.

15.9.1837. Carl Hundt gründet eine Buchbinderwerkstatt. Schon bald folgt eine eigene Druckerei und eine Buchhandlung.

7.10.1838. Mit „Quittierungsbüchern“ nimmt die Hattinger Sparkasse als eine der ersten in Westfalen den Betrieb auf.

1845-47. Nahrungskrise und Teuerungswelle sorgen für soziale Spannungen – ein Drittel aller Diebstähle im Bezirk Arnsberg wird in Hattingen verübt.

Dezember 1847. Baubeginn für das Gerichtsgebäude an der Bahnhofstraße.

22.3.1848. 300 Arbeiter aus der Winzer Mark ziehen durch die Straßen und stoßen Drohungen aus. Der Hattinger Magistrat fordert 50 Soldaten an.

19.2.1849. Carl Hundt gibt die erste Ausgabe der Lokalzeitung „Märkische Blätter“ heraus.

24.12.1860. Genehmigung für den Bau einer Holzbrücke über die Ruhr an der Kost in Welper.

18.10.1861. Die Gasanstalt an der Wülfingstraße nimmt ihren Betrieb auf. Hattinger Straßen erhalten nun eine Gasbeleuchtung.

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15.12.1864. Die Stadt bewilligt den Bau einer Eisenbahnlinie von Dahlhausen nach Witten und gibt 20.000 Taler Kapital dazu.

1.12.1867. Hattingen bekommt seine erste Telegraphenstation.

1868. Drei Franziskanerinnen richten in Niederwenigern ein Krankenhaus ein.

11.3.1870. Armen-Ordnung regelt Unterstützung Bedürftiger.

1885. Rektor Conrad Bühse bringt Reliquien der Windeln Jesu nach Niederwenigern.

1890. Die Ruhr-Schifffahrt bei Hattingen wird eingestellt.

1.7.1892. Hattingen wird Sitz eines Bergreviers mit 34 Zechen und 8478 Bergleuten.

3.12.1894. Der Schlachthof am Beul nimmt seinen Betrieb auf.

3.2.1895. Landwirte aus Bredenscheid gründen eine Molkerei-Genossenschaft.

(Quelle: „Hattingen Chronik“ von Thomas Weiß / Klartext-Verlag)