Hattingen. Hattingen im 18. Jahrhundert: Widerstand am laufenden Band – erst gegen die Preußen, dann gegen Franzosen Dafür müssen die Bürger teuer bezahlen.
Hattingen begehrt im 18. Jahrhundert auf: Weil die Bürger im Suff zu Soldaten gemacht werden sollen, haben sie die Schnauze voll – am 3. Oktober 1720 entlädt sich die angestaute Wut in einem gewaltsamen Aufstand gegen die Landesherren. Erst Pastor Kortum gelingt es, die Lage zu beruhigen.
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Der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm I. baut um 1710 ein großes Heer auf. Und viele Mittel sind ihm recht, dieses auch mannesstark zu machen. Junge Bauern und Handwerker werden mit Wein abgefüllt, es werden Bestechungsgelder gezahlt, Preußens Werber nutzen jede Gelegenheit, Männer zum Militärdienst zu verpflichten.
Bitte der Hattinger Klingen- und Messerschmiede
Das Murren darüber wird zum Maulen: Die Hattinger Klingen- und Messerschmiede etwa bittet die königliche Regierung, ihre Gesellen vor den Helfershelfern zu schützen. Einige gehen über die Wupper in die Grafschaft Berg, um sicher zu sein. Und sie werden erhört: 1712 gibt es den Erlass, dass in den Städten und auf dem platten Land in der Grafschaft Mark keine Rekruten mehr gestellt werden müssen.
Doch das interessiert die Werber nicht. Sie suchen weiter „lange Kerls“ und fallen im Oktober 1720 erneut ins Hattinger Land ein.
Jetzt reicht’s!
Am 3. Oktober 1720 gibt es einen massiven Volksaufstand, der sich weit über Hattingen hinaus über die südliche Grafschaft Mark zieht. Vermutlich ist es einzig Pastor Renatus Andreas Kortum zu verdanken, dass es nicht so blutig wird wie etwa in Hagen. Er beruhigt die Gemüter.
Hattinger lassen Preußen-König Friedrich Wilhelm zürnen
Nun aber zürnt der Preußen-König. Friedrich Wilhelm lässt sich den Widerstand nicht gefallen und greift hart durch: Gemeinsam mit dem Amt Wetter müssen die Stadt Hattingen, das Amt Blankenstein, die Freiheit Blankenstein und die Unterherrlichkeit Bruch ein Strafgeld über die unfassbar hohe Summe von 20.000 Talern an das Potsdamische Waisenhaus zahlen. Außerdem sollen sie die Kosten für 200 Soldaten tragen.
Pastor Kortum, der eine Bitt- und Beschwerdeschrift an den König verfasst, wird nicht etwa für seine Beschwichtigungen belobigt, sondern für zehn Wochen in der Festung Wesel gefangen gehalten – und anschließend von Hattingen nach Lebus versetzt.
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Die freie Meinung war nicht mehr gefragt, König und Staat stellen klar: Absoluter Gehorsam ist die erste Bürgerpflicht!
Und knapp ein halbes Jahrhundert später wird es wieder ungemütlich. Denn Hunderte Bauern und Bürger fallen am 31. März 1758 über ein abziehendes Feldlazarett der französischen Armee her. Die Soldaten wurden ausgeraubt und schwerst verprügelt.
Schwerste Übergriffe auf dem Hof Lembeck
Auslöser sind wieder einmal die Preußen, deren Husaren in Bochum ankommen. Deshalb brechen die Franzosen ihr Lazarett am Haus Kliff ab, wollen so schnell wie möglich nach Langenberg weiterziehen. Weil dies überstürzt geschieht und sie keine disziplinierte Marschkolonne einhalten, haben die Hattinger ein leichtes Spiel. Sie rächen sich für jahrelange Drangsalierungen und rennen mit Schüppen auf die Felder – auf dem Hof Lembeck kommt es schließlich zu den schwersten Übergriffen.
Zwei Tage später stehen die Franzosen vor den Stadttoren, und zwar mit 6000 Soldaten! Sie nehmen beide Bürgermeister, zwei Pfarrer und zwei Patrizier als Geiseln – und erpressen so ein Löse- und Wiedergutmachungsgeld von 10.000 Reichstalern. Dass die Stadt nicht auch in Brand gesetzt wird, ist das Werk des Kaufmanns Wülfing zu Elberfeld. Denn er beherbergt während dieser unruhigen Tage den französischen Feldmarschall, der Hattingen am liebsten in Schutt und Asche sähe. Wülfing aber gelingt es mit seiner Art, ein gutes Wort für die Hattingerinnen und Hattinger einzulegen.
Und die Stadt lebt weiter!
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>>> Deutschlands erste Eisenbahn rollt 1787 durchs Rauendahl
Friedrich August Alexander Eversmann schreibt in den Winzer Bergen Geschichte: Im Jahr 1787 lässt er einen eisernen Schienenweg anlegen, über den Pferde die Kohlenwagen ziehen – ja, es ist Deutschlands erste Eisenbahn!
Vier Jahre zuvor besucht Eversmann in seiner Funktion als preußisch-königlicher Fabrikkommissar England. In den Industrieanlagen auf der Insel entdeckt er eben eine solche Beförderungsneuheit. In seinen Memoiren schreibt er: „(...) die englischen Kohlenwege legte ich zuerst bei Hattingen auf den Baaker Gruben an. Alle nachherigen sind danach gebaut.”
Und deshalb gilt die Rauendahler Kohlenbahn wohl als erste Eisenbahn Deutschlands – andere und ältere Berichte sind nicht bekannt. Experten wie Walter Gantenberg („Auf alten Kohlenwegen“) vermuten sogar, dass sie die erste auf dem europäischem Festland ist.
Die etwa 1,6 Kilometer lange Schienenstrecke verbindet die vier Baaker Kohlegruben mit dem Ruhr-Hafen. Zehnmal am Tag ziehen Pferde die Wagen zum Kohlemagazin und wieder zurück.
Wiege des Ruhrkohle-Bergbaus
Die Grafschaft Mark ist die Wiege des Ruhrkohle-Bergbaus. Schon im Jahr 1730 fördern um die 30 Bergwerke in und um Hattingen das schwarze Gold – da wird jede Erleichterung bei der Beförderung dankbar angenommen. So natürlich auch die Kohlenbahn.
Und die Industrialisierung geht weiter: Die erste deutsche Dampf-Eisenbahn fährt am 7. Dezember 1835 von Nürnberg nach Fürth.
>>> Historie – Hattingen im Laufe der Jahre, 1700-1799
1703. An St. Georg wird der lutherische Pfarrer August Schlitte eingesetzt – erstmals ohne Rücksicht auf die alten Rechte der katholischen Abtei Deutz.
1709. Starker Frost lässt die Baumbestände im Hattinger Land größtenteils erfrieren.
23.6.1714. Die alten Hattinger und Blankensteiner Maße und Gewichte werden abgeschafft – und der Berliner Scheffel eingeführt.
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2.9.1718. König Friedrich Wilhelm I. lehnt die Hattinger Bitte ab, den Wochenmarkt in Witten zu unterbinden.
26.3.1722. In der Freiheit Blankenstein leben 267 Menschen, 87 Kühe, drei Pferde und ein Esel.
30.3.1722. In der Stadt Hattingen stehen 267 Häuser. Hier leben 1066 Menschen.
1728. Der Umbau des alten Weinhauses am Untermarkt zur reformierten Johannis-Kirche ist abgeschlossen.
29.4.1733. Bürgermeister und Stadtrat erneuern eine Verordnung gegen das Singen „üppiger Lieder“ und „unanständiges Geschrey“.
1743. Die „rothe Ruhr“ grassiert im Hattinger Land.
1750. Auf dem Rathaus wird eine Gerichtsstube eingerichtet.
1759. Im Sommer wird die Ruhrbrücke durch Kriegseinwirkungen viermal zerstört.
12.8.1763. Die Schulpflicht wird vom 5. bis zum 14. Lebensjahr festgesetzt. Unterrichtszeiten: täglich von 8 bis 11 Uhr sowie 13 bis 16 Uhr (Ausnahme Mittwoch und Samstag).
30.5.1767. Friedrich der Große genehmigt per Unterschrift die Bildung einer Gilde der Miscellan- und Flanellmacher in Hattingen.
1772. Auf der demolierten Burg Blankenstein lassen sich zwei Kolonisten nieder. Zudem wird der Leinpfad an der Ruhr zwischen Mülheim und Hattingen fertig – auf diesem „Lienegadd“ soll getreidelt werden.
1774-78. Bau der Ruhrschleuse auf Kosten des Besitzers von Haus Kliff. Sie kostet 8919 Taler.
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23.3.1776. Eine Räuberbande klettert mit Leitern über die Stadtmauer und richtet im „Cram Laden“ des Bürgers Bernd einen Schaden von mehr als 300 Reichstalern an.
9.8.1780. Die Ruhr ist schiffbar. Es gibt fünf Schleusen im Hattinger Raum: Kemnade, Blankenstein, Hattingen, Dahlhausen und Horst.
26.8.1781. Erster katholischer Gottesdienst durch Pfarrer Nicolaus Ortmann nach der Reformation in Hattingen.
1788. „Faules Fieber“ grassiert.
1792. Zeche Charlotte im Amt Blankenstein lehnt die Aufstellung einer Dampfmaschine zum Abbau tiefer liegender Kohleflöze aus Sicherheitsgründen ab.
(Quelle: „Hattingen Chronik“ von Thomas Weiß / Klartext-Verlag)