Hattingen. Die Pfarrei Hattingen verzeichnet die zuletzt meisten Austritte. Evangelischen Gemeinden verlieren noch mehr. Warum Corona eine Chance ist:
Die Katholische und Evangelische Kirche verlieren in Hattingen weiter massiv Mitglieder. Die Stadtpfarrei St. Peter und Paul verzeichnete 2019 die meisten Austritte seit Jahren. Hinzu kommt die hohe Zahl von Bestattungen. Die evangelischen Gemeinden in der Stadt verlieren sogar noch mehr Mitglieder.
Viele Austritte und Bestattungen bei Stadtpfarrei Hattingen
256 Katholiken und sogar 590 Protestanten weniger als im Vorjahr zählten die beiden Konfessionen Ende 2019. Damit bestätigt sich in Hattingen der landesweite Trend.
Für die Stadtpfarrei teilt das Ruhrbistum in seiner Jahresstatistik mit, dass 162 Menschen ausgetreten sind. Der Blick auf die vergangenen Jahre zeigt, dass diese Zahl kontinuierlich und und zuletzt deutlich ansteigt – von 95 Austritten in 2016 über 111 und 123 in den Folgejahren bis zum jetzigen Höchstwert. Außerdem gab es 195 Bestattungen – etwa so viele wie im Vorjahr.
Erneut weniger Gottesdienstbesucher
Dem gegenüber steigt die Zahl der Eintritte in die Katholische Kirche nur wenig – auf drei. In den Vorjahren war es höchstens je eine Person. Vier Hattinger sind 2019 Kirchenrückkehrer, 98 wurden getauft. Das sind zwar 18 weniger als im Jahr zuvor, dennoch steht Hattingen damit besser da als andere Pfarreien des Bistums (Platz 10 von 42).
Obwohl die Zahl der Messen im vergangenen Jahr geringfügig erhöht wurde, sank die Zahl der Gottesdienstbesucher 2019 erneut leicht. 1166 Menschen besuchten danach die Feiern, vier Jahre zuvor waren es noch 500 mehr. Allerdings hatte es da auch noch mehr Sonntagsgottesdienste gegeben.
Blankenstein ist beliebt für Hochzeiten
Überdurchschnittlich beliebt sind die katholischen Kirchen als Trauort. Erneut sticht dabei besonders St. Johann Baptist heraus. Die Blankensteiner Kirche erreichte den vierthöchsten Einzelwert aller Bistumstrauorte. Bei den Erstkommunionen führt St. Peter und Paul an der Bahnhofstraße sogar die Rangliste des Ruhrbistums an.
Städteüberegreifende Gemeinden
Der Evangelische Kirchenkreis zählt für Hattingen zwei Gemeinden, die Stadtgrenzen überschreiten. So gehört die Gemeinde Nierenhof zu zwei Dritteln zu Hattingen. Ein Drittel liegt auf Velberter Gebiet.
Auch die Gemeinde Bredenscheid-Sprockhövel zeigt, wie eine städteübergreifende Zusammenarbeit funktioniert. Die Gemeinde entstand 2015 durch Fusion der Gemeinden Bredenscheid-Stüter und Sprockhövel. Bei der Fusion kamen aus Hattingen gut 2000 Mitglieder, aus Sprockhövel etwa 5400.
Für die evangelischen Gemeinden gibt es keine ausführliche Aufschlüsselung. Klar ist, dass auch sie mit Mitgliederschwund kämpfen. Bis zum Jahr 2060 könnte sich die Zahl der Mitglieder halbieren. Auch Pfarrer werden Mangelware.
Zwangsdigitalisierung der Kirche
Die aktuellen Daten stammen aus der Zeit vor Corona, doch für die Kirchen ist die Pandemie-Zeit auch eine der Innovationen. „Es ist eine Zwangsdigitalisierung“, sagt Nicole Schneidmüller-Gaiser, Sprecherin des Evangelischen Kirchenkreises. Und ergänzt: „Das hat uns als Kirche gutgetan.“ Es gebe eine Offenheit gegenüber neuen Ideen. Mit Erfolg: „Wir haben so auch Leute erreicht, die nicht in die Kirche kommen“, bemerkt sie.
Ähnliche Beobachtungen hat Pfarrgemeinderatsvorsitzende Marlies Meier in St. Peter und Paul gemacht. So habe man mit der Fronleichnams-Rallye und Online-Angeboten viele junge Familien erreicht.
Überlegungen zu Zeiten, Events und Kontakt
Beim Kirchenkreis nimmt man die Corona-Zeit auch als Lehrstück. So seien Online-Angebote gut nachgefragt – auch, weil man die Zeit wählen kann, vermutet Schneidmüller-Gaiser. Entsprechend könnte man überlegen, auch mit Gottesdiensten auf passendere Zeiten auszuweichen. Zudem stehe immer mehr das „Event“ im Mittelpunkt – beide Konfessionen versuchen diesen Weg etwa mit Angeboten an ungewöhnlichen Orten zu gehen.
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Superintendentin Julia Holtz sieht nicht zuletzt in der „Selbstsäkularisierung der Kirche“ einen Grund für die Entfremdung. Kirche habe sich jahrelang zurückgenommen, um Menschen nicht zu nahe zu treten. „Das fällt uns jetzt auf die Füße“, ist Nicole Schneidmüller-Gaiser sicher. Man werde als nüchterne Verwaltung wahrgenommen, deshalb müsse man Menschen emotional in das Gemeindeleben einbinden. „So, wie es die Gemeinde Nierenhof macht, die sehr offensiv und leidenschaftlich auf die Menschen zugeht und die ist, die am wenigsten Mitglieder verliert.“
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