Hattingen. 50 Prozent weniger rassistisch motivierte Taten in Hattingen meldet die Polizei. Viele Bürger arbeiten gegen Rechts. Mahnwache organisiert.

„Hanau ist ein Angriff auf uns alle“, betont Anna Neumann, die die Mahnwache in Hattingen vor dem Rathaus mit organisiert hat. Mit beinah 200 Teilnehmern kamen fast doppelt so viele wie erwartet.

Hand-in-Hand stehen bewusst die drei Bürgermeisterkandidaten zusammen. Weiße Rosen legen sie nieder. Bürger zünden Kerzen an. Bürgermeister Dirk Glaser ruft hörbar bewegt auf, sich die Demokratie nicht nehmen zu lassen. Parteiübergreifend haben Anna Neumann von den Jungen Liberalen und Leon Reinecke (SPD) spontan eingeladen.

200 Menschen kommen zur Mahnwache in Hattingen nach Morden von Hanau

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Der Imam der türkisch-islamischen Gemeinde ist gekommen, dankt den Hattingern, Faruk Inci von der Gemeinde übersetzt und unterstreicht die Bedeutung des friedlichen Zusammenlebens und die Verbundenheit mit Hattingen.

Die gute Nachricht: Um 50 Prozent zurückgegangen ist in Hattingen die Zahl der Kriminalfälle, die 2018 durch eine politisch rechte Gesinnung motiviert waren.

Hattingen selbst sehen viele gut aufgestellt für Demokratie. Und wissen doch: „Das kann überall passieren“, sagt Angélica Urrutia vom Internationalen Frauencafé Hattingen. Isolde Füllbeck vom Interreligiösen Gesprächskreis: „Dass ein Durchgeknallter irgendwo reingeht und Leute erschießt, kann man wahrscheinlich nicht verhindern.“

In Hattingen engagieren sich Bürger sehr viel für Demokratie und gegen Rechts

Zumal solche Menschen ja nicht mal aus der eigenen Stadt, sondern auch aus Nachbarstädten kommen könnten, sagt Yalcin Dogru vom Integrationsrat. Es gebe viele Anstrengungen in der Stadt für Demokratie. Dennoch, so das Mitglied der türkisch-islamischen Gemeinde, nehme die Angst zu – bis hin zur Überlegung, beim Freitagsgebet vor der Moschee Wachen aufzustellen.

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Zwar gibt’s die Polizei-Kriminalstatistik 2019 erst im März, aber 2017 und 2018 zeigen: „In Hattingen wurden 2018 sieben Straftaten der politisch motivierten Kriminalität-Rechts bekannt, 2017 waren es 14“, sagt Ramona Arnhold, Sprecherin des Polizeipräsidiums Hagen, das sich um diese Fälle kümmert. Gewaltdelikte, ausgeübt durch politisch Rechte, gab es in beiden Jahren keine.

Erinnerung an das Bündnis „Buntes Hattingen gegen Rechts“

Propaganda-Delikte und Fördermittel für Demokratie

Einen hohen Anteil der politisch motivierten Kriminalität-Rechts macht jährlich wiederkehrend die Gruppe der Propagandadelikte, also Straftaten der §§ 86 und 86 a des Strafgesetzbuches, aus. Aber auch hier ging laut Polizei in Hattingen die registrierte Zahl von zehn Straftaten in 2017 auf sechs in 22018 zurück.

In Hattingen können Bürger, die Ideen für Bildung, Beteiligung und Begegnung haben, Fördermittel für die Realisierung bekommen. Dafür gibt es das Projekt „Partnerschaft für Demokratie“ im Rahmen des Bundesprogrammes „Demnokratie leben!“ Info über Piotr Suder, 0175 82 02 624.

Als ein Beispiel für schnelles Engagement gegen Rechts nennt Füllbeck das 2013 spontan gegründete Bündnis „Buntes Hattingen gegen Rechts“, als Pro-NRW gegen den geplanten Moschee-Neubau demonstrierte und das Bündnis eine Gegendemonstration ins Leben rief.

„Wir versuchen gegen rechte Tendenzen anzuarbeiten. Die Vorzeichen in Hattingen stehen gut.“ Seit über 30 Jahren würde in Hattingen interreligiös gearbeitet. Über „Demokratie leben!“ laufen Aktionen, der pensionierte Bernd Baumhold von der VHS stieß viel an, dem durch die Stadt rollenden „Engel der Kulturen“ folgten viele. „Hattingen hat Haltung“, ein Stein-Mal, das Menschen aller Religionen verbinden soll: Die Liste ließe sich fortsetzen.

Organisationen in Hattingen haben sich gleich nach Hanau kurz geschlossen

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Aber Füllbeck sagt auch, dass sie sich vor 15 Jahren nicht habe vorstellen können, dass heute der Hass so, wie sie es wahrnehme, geschürt würde. „Ich befürchte, da ist das Ende noch nicht erreicht.“

Jeder würde in der Nachbarschaft jemanden kennen, der nach rechts drifte, meint Yalcin Dogru. Dagegen helfe nur, sich gegenseitig besser kennen zu lernen, erklärt Angélica Urrutia. Sie gehört zum Internationalen Frauencafé Holschentor in Hattingen, das gleich nach den Ereignissen in Hanau – wie auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen – entsetzt Stellung bezog gegen Hass und für ein gutes Miteinander.

Nur das gegenseitige Kennenlernen hilft – Aktive machen weiter

„Wir haben uns sofort mit anderen Organisationen ausgetauscht. Ich habe mich in Welper unter nicht organisierten Bürgern umgehört: Alle sind entsetzt.“ Das Problem: Viele säßen alleine daheim, entwickelten wirre Gedanken. „Wir müssen sie immer wieder einladen, zum Beispiel zum Tag der offenen Tür – oder zur Diskussion am Internationalen Frauentag am 8. März im Industriemuseum. Wir machen weiter“, verspricht Urrutia.