Bernd Baumhold von der Volkshochschule Hattingen kümmert sich seit 1979 um das Thema Integration. Er erinnert sich an Skurriles und Rückschläge.

Der Anruf aus der Botschaft in Oslo in Zeiten, wo Bernd Baumhold im damaligen Haus Burgeck nur einen Telefonanschluss ohne Fernamtsberechtigung hatte, kam überraschend. Die Anfrage an ihn: Ob denn die Nichte einer tamilischen Familie, die ein Visum für Deutschland wolle, um nach Hattingen zu kommen, wirklich ihre erste Regelblutung hätte.

Geschichten wie diese kann Bernd Baumhold zahlreiche erzählen. Und er nimmt sie mit, wenn er jetzt in den Ruhestand geht – nach 40 Jahren mit „vielen Höhen und Tiefen“. Die Arbeit mit und für Zugewanderte in Hattingen hat er ab dem 1. März 1979 – da engagierte die Stadt ihn als Sozialarbeiter – entscheidend mitgeprägt. Mit Begeisterung und Engagement. Er ist das Multikulti-Gedächtnis der Stadt.

Eigentlich wollte er im Haus der Jugend anfangen

Dabei hatte er sich eigentlich als Mitarbeiter im Haus der Jugend beworben. Denn Jugendliche im Obdach und Jugendarbeitslosigkeit waren seine Themen. „Aber im Bewerbungsgespräch fragte man mich dann, ob ich nicht im Bereich Ausländerarbeit aktiv sein wollte. Hattingen war ja damals eine der wenigen Gemeinden überhaupt, die sich um das Thema kümmerte.“ Eher zufällig kam er so zu einem Arbeitsgebiet – so wie zu anderen im weiteren Berufsleben auch.

Für andere Kulturen hat sich Baumhold immer interessiert. „Ich bin schon mit zwölf Jahren nach Paris und Budapest gereist, hatte im Studium Freunde in und außerhalb Europas. Ich war die erste Generation Interrail. In meiner Volksschule war ich in einer Versuchsklasse Englisch.“ Und es gab kein „Kemnade international“ ohne ihn. Dass er das einmal mit organisieren würde, daran dachte er auch 1979 noch nicht.

Zufällig landete Baumhold bei der Volkshochschule

Das Haus Burgeck in Hattingen Anfang der 2000er Jahre. Es half Menschen bei der Integration und bei der Brauchtumspflege, war Treffpunkt für Menschen mit Migrationshintergrund.
Das Haus Burgeck in Hattingen Anfang der 2000er Jahre. Es half Menschen bei der Integration und bei der Brauchtumspflege, war Treffpunkt für Menschen mit Migrationshintergrund.

Dass Baumhold bei der Volkshochschule landete Anfang der 1980er Jahre, auch das war irgendwie Zufall. „Die VHS brauchte noch Mitarbeiter, mein Vorgesetzter Klaus Sager ging zur VHS, ich mit.“ Baumhold leitete das Haus Burgeck mit internationaler Bibliothek und vielen Veranstaltungen bis 1996. „Es war eine spannende Zeit mit vielen inspirierenden Menschen. Manchmal frage ich mich selbst, ob die skurrilen Geschichten, an die ich mich erinnere, alle stimmen.“

Anfang der 1990er Jahre kam für Baumhold dann der Bereich Gesundheitsbildung hinzu. „Auch da bin ich gefragt worden.“ Eine gewisse Affinität war da – im Studium hatte Baumhold einen Schwerpunkt Sozialmedizin.

Baumhold kümmert sich gleich um den Ausländerbeirat

Dann keimte die Initiative für den damaligen Ausländerbeirat. „Ich konnte wählen, ob ich mich um den Verein zur Förderung der Ausländerarbeit kümmern oder die Geschäftsführung des Ausländerbeirats machen wollte, da habe ich den genommen.“ Spannend fand er das, weil das „damals eine Initiative eher konservativer Zugewanderter war“. Die seien bis dato in der Arbeit selten aufgetaucht. Für den Integrationsrat war er seit seiner Etablierung zuständig.

Beim Altstadtfest, das damals noch die VHS Hattingen mit organisierte, betreute Baumhold die Bühne im Krämersdorf. Und organisierte auch „Kemnade international“ mit.„Bewegte Zeiten“ seien das gewesen mit viel Arbeit – und „meiner Familie habe ich einiges zugemutet“.

Zuletzt kam der Bildungscheck als Aufgabe dazu

Eben erst habe er seine Überstundenzettel aus 40 Jahren weggeschmissen, sagt Baumhold, der auch mal als kaufmännische Aushilfe bei Aral gejobbt hat. Das letztes Aufgabengebiet, das hinzukam: der Bildungsscheck und die Eltern- und Familienbildung.

Erinnerungen nimmt Baumhold an viele Menschen mit – von Stadtobersten bis hin zu den Mitarbeitern aus dem Fuhrpark, die er noch aus den Zeiten der Bühnenorganisation kennt.

Seine Kontakte brachten Aziz Nesin nach Hattingen

 
  © HB

Unvergessen: die Lesung des türkischen Erfolgsautors Aziz Nesin (1915-1995). Gute Kontakte zu den Fernsehjournalisten Jürgen Roth und Kamil Taylan hatte Bernd Baumhold damals. Eines Sonntags kam der Anruf von Taylan, dass Nesin in Deutschland sei, noch einen Termin frei hätte. „Er fragte, ob wir in Hattingen eine Lesung machen wollten. Als ich das erzählte, sind alle ausgeflippt“, sagt Baumhold.

Der damals schon ältere Autor wurde mit dem Wagen des Bürgermeisters aus Köln abgeholt und las. „Am nächsten Morgen nach der Lesung haben unser damaliger Praktikant und ich ihn dann abgeholt und zu seinem Zug nach Süddeutschland begleitet. Der Praktikant wusste, dass Nesin nie frühstückte, die Fahrt aber lang sein würde – und machte ihm ein Carepaket. „Denn er sprach nur gebrochen Englisch und es wäre ihm Speisewagen für ihn schwierig geworden.“

Erinnerung an den Brand eines Hauses in Hattingen

Baumhold erinnert sich auch an Rückschläge wie den Brand an der Unionstraße, wo 1993 das Haus einer siebenköpfigen türkischen Familie ausbrannte.

Seiner Meinung nach fehlt in der Stadt ein Raum für etwa 200 Gäste für interkulturelle Veranstaltungen – was das angeht verweist Baumhold auf einen Bericht des Arbeitskreises Bürgerhaus von 2001, der noch heute aktuell sei. „Elemente daraus sind im Holschentor und in der Stadtbibliothek umgesetzt, aber da ist noch Luft nach oben.“

Sein Büro in Blankenstein ist ungünstig gelegen

Die prekäre Raumsituation der VHS beschäftigt ihn. Der Umzug nach Blankenstein fiel ihm schwer – und er war ungünstig. „Denn in Hattingen gab es, wenn man durch die Innenstadt ging, viele anregende informelle Kontakte, die oft mehr Wert waren als viele Konferenzen.“ Und er zitiert aus einem Kulturmanagement-Bericht: „Der Kulturbetrieb muss raus aus dem Haus, wenn er das Publikum drinnen haben möchte.“

Baumhold übergibt geordnet: Die Geschäftsführung für den Integrationsrat macht der Fachbereich K01, um die Gesundheitsbildung kümmert sich Ana Cabello-Gonzàles, die auch sein Büro übernimmt. Und die Aufgaben des Bildungschecks liegen bei der VHS-Leiterin. Alle interessanten Dokumente und Akten zum Multikulti-Leben in Hattingen und das Haus Burgeck hat er an das Stadtarchiv übergeben. „Es ist alles geregelt.“

Tamilische Gemeinde ist aktiv im Haus Burgeck

Und auch das Ende der Geschichte des Anrufs bleibt er nicht schuldig: „Die Tamilen wollten zu einer Familienfeier nach Hattingen. Die Tamilen hatten einen Tempel im großen Saal dafür aufgebaut – morgens um vier Uhr. Familienmitglieder aus aller Welt kamen nach Hattingen. Auch die aus Oslo haben es dann geschafft.“ Überhaupt sei die tamilische Gemeinde damals sehr aktiv gewesen mit Tanz-, Lese-, Rechtschreib-Kursen, mit einer tamilischen Schule und einem Elternverein. „Sechs Stunden haben sie dann gefeiert.“