Hattingen. Der Kuckuck ist aus Hattingen verschwunden. Er ist ein Indikator für Kleinvögelpopulation. Doch es gibt auch gute Nachrichten aus dem Vogelreich.
- Vogelexperte Thomas Griesohn-Pflieger sieht die Landwirtschaft als einen der Gründe
- Population der Mauersegler ist auf ein Viertel geschrumpft, früher waren sie schwarmweise unterwegs
- Den Waldvögeln geht es verhältnismäßig gut, sagt der Experte. Der Wanderfalke brütet an der Hütte
Der Kuckucksruf erklang vor 20 Jahren häufig in Hattingen. „Den Kuckuck gibt es nicht mehr auf Hattinger Stadtgebiet“, sagt der Vogelexperte Thomas Griesohn-Pflieger . Seit 1994 beobachtet er die hiesige Vogelwelt. Die hat sich mit den Jahrzehnten stark verändert. Etwa 20 Vogelarten, die vor 20 Jahren noch da waren, gibt es nicht mehr.
„Der Kuckuck ist beispielsweise ein guter Indikator für die Kleinvögeldichte, denn er braucht viele Kleinvögel, in deren Nester er seine Eier legen kann. Nach nur zwölf Tagen schlüpft ein Kuckucksküken, die Küken anderer Kleinvögel schlüpfen nach 14 Tagen.“
Und eben die Kleinvogelpopulation ist stark rückläufig. Generell – und besonders in diesem Jahr: „Das Frühjahr 2016 war wettermäßig für Vögel katastrophal. Viele Jungvögel sind gestorben, es fehlt fast eine Generation“, berichtet Griesohn-Pflieger vom Nabu Hattingen.
Intensive Landwirtschaft nimmt Lebensgrundlage
Ein Grund für den kontinuierlichen Rückgang macht Griesohn-Pflieger in der Landwirtschaft aus: „Durch die intensive Landwirtschaft gelangen viele Gifte auf die Felder, die Insektendichte nimmt ab, es gibt weniger Wiesen mit vielen blühenden Pflanzen. Damit ist den Vögeln die Grundlage entzogen“, sagt er.
Spatzen beispielsweise hätten früher sogar die Heggerstraße belebt, jetzt kämen sie fast nur noch da vor, wo Pferde oder Tauben gehalten würden. Mauersegler, die früher als große Wolke über der Stadt sichtbar gewesen seien, würden immer rarer. „Die Population ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf ein Viertel geschrumpft.“
Die Feldlerche war früher öfter zu sehen. Aus dem Ruhrtal sei sie ganz verschwunden, in Holthausen sei sie teils noch zu beobachten. Kiebitz, Rebhuhn, Bluthänfling, Gartenrotschwanz, Fliegenschnäpper, Wiesenpieper, Braunkehlchen – sie alle machen sich mehr als rar. „Es gibt zu wenig halboffene Landschaften mit Baumreihen und blühenden Grünstreifen.“ Die Wacholderdrossel sei selten geworden: „Es gibt nur noch am Haus Kemnade wenige Paare."
Wanderfalke brütet an der Hütte
Doch es gibt auch gute Nachrichten für Hattingen: „Den Waldvögeln geht es verhältnismäßig gut, weil es hier viel Wald gibt, der nicht so intensiv bewirtschaftet wird.“ Kleiber und Meisenarten sind beispielsweise häufig zu beobachten.
Der Wanderfalke – in den 1960er/1970er Jahren gab es nur noch 20 Brutpaare in Deutschland – zeigt sich inzwischen wieder häufiger. Er brütet an der Hütte am Kamin des Hochofens. „Es sind Brutplätze geschaffen worden. Und die Nahrungsbasis ist gut – er mag Tauben.“
Greifvögelpopulation nimmt gute Entwicklung
Greifvögel überhaupt hätten eine gute Entwicklung genommen. Auch der Schwarzstorch lässt sich in Hattingen beobachten, beispielsweise in Elfringhausen an Bächen. Er ist allerdings sehr scheu und darf beim Brüten keinesfalls gestört werden. Der Mittelspecht breitet sich immer weiter aus – auch weil in Wäldern wieder mehr Totholz liegt.
Ebenso ist es um die Wasservögel in der Stadt gut bestellt. „Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Wasserqualität verbessert hat.“ Graureiher, Silberreiher im Winter, Graugänse, Nil-, Rost- und Kanadagänse, Zwerg- und Haubentaucher fühlen sich heimisch. Und am Henrichsteich gibt es zudem Reiherenten. Und die Chance, sagt Griesohn-Pflieger, an der Ruhr einen Eisvogel zu sehen, die „liegt bei 70 Prozent“.
Auf eine Besonderheit weist der Experte noch hin: „In der Nähe von Airproducts treffen sich gegen Abend immer extrem viele Krähen. Das ist dort eine Infobörse und ein Verlobungsplatz. Man kann sie toll beobachten. Sie werden auch die gefiederten Primaten genannt. Sie sind hoch intelligent, können Menschen voneinander unterscheiden – und lügen. Wollen sie Futter verstecken, stoßen sie einen Warnruf aus, die anderen fliegen auf, die Krähe kann die Beute verstecken.“
Kooperation zwischen HWG und Nabu Hattingen
Thomas Griesohn-Pflieger vom Nabu Hattingen freut sich über Unterstützung : „Für Gebäudebrüter haben wir seit drei Jahren ein Programm mit der HWG. Es werden Nisthilfen aufgehängt für Mauersegler und Spatzen“, erklärt er. Beispielsweise an einem Hochhaus, das vom Ende der Heggerstraße aus sichtbar ist. Auch am Steinhagen sind Nisthilfen angebracht worden.
Auch interessant
Zudem hat die HWG dem Nabu Hattingen eine Ökozelle in Holthausen zur Verfügung gestellt. „Hier gibt es eine Struktur wie früher mit Steinhaufen, Hecken, Altholzhaufen, Wasserstellen, Obstbäumen, Sand- und Lehmflächen.“ 10 000 Quadratmeter groß ist das Areal, noch zwei Wiesen sollen folgen, „dann hätten wir 15 000 Quadratmeter Platz“. Im März soll ein Blühstreifen für Schmetterlinge eingesät werden. „Wir haben eine Gruppe von gut zehn Leuten, die sich um die Ökozelle kümmert, machen ein Mal pro Monat einen Aktionstag. Wir freuen uns über helfende Hände“, sagt Griesohn-Pflieger, der schwärmt, wie viele Lebewesen es dort zu entdecken gibt.
Nabu will Tage der Artenvielfalt anbieten
Zwei Tage der Artenvielfalt sollen hier angeboten werden, außerdem sollen Experten eingeladen werden, die die Tierwelt vor Ort unter die Lupe nehmen. Griesohn-Pflieger verweist auch auf die Vortragsreihe – monatlich gibt es einen Termin – des Nabu und auf eine kleine wilde Wiese am Teich im Henrichspark. „Es wäre schön, wenn noch mehr größere Flächen sich selbst überlassen und beispielsweise nur selten gemäht würden“, äußert Griesohn-Pflieger eine Hoffnung.
Er ist diesbezüglich auch mit der Stadt im Gespräch. Er ist für viele Ideen dankbar. Wiesenpaten – ähnlich der Spielplatzpaten – könnte er sich vorstellen. Oder das Pflanzen einer Bürgerhecke. „Vielleicht hat ja auch jemand ein Grundstück, das er uns zur Verfügung stellen kann.“
Gärten vogelfreundlich gestalten
Nur Nistkästen aufzuhängen, sagt Thomas Griesohn-Pflieger, bringe nicht viel, wenn dann beispielsweise Plastikplanen über die Erde gelegt würden, um darauf Granitschotter aufzubringen. „Da blüht ja nichts, das kann nicht funktionieren.“
Er rät zum Pflanzen unterschiedlicher Blühpflanzen– und spricht sich gegen englischen Rasen aus. Er weist darauf hin, „dass gefüllte Blüten keine Staubfäden enthalten – und somit für Insekten und Vögel uninteressant sind“. Ideal seien Obstbäume mit Obstbaumwiesen und ihrem schütteren Graswuchs. Durch zu dichtes Gras können beispielsweise Kiebitzküken gar nicht laufen.
Testen Sie in unserem Quiz, wie gut Sie die heimischen Vögel kennen
Auch interessant