Gladbeck. Jahr für Jahr sehen sich die Veterinäre im Kreis Recklinghausen mit viel Tierleid konfrontiert. Spektakuläre Fälle nicht nur aus Gladbeck.
Die Geschichte von Twingo, dem Hund der in Gladbeck an eine Laterne angebunden und seinem Schicksal überlassen wurde, hat ein gutes Ende gefunden. Das Veterinäramt des Kreises Recklinghausen konnte das Tier jetzt zur Vermittlung freigeben, weil es mit der Besitzerin offensichtlich zu einer Einigung gekommen ist. Fast sechs Monate hat dieser Fall nicht nur das Kreisveterinäramt beschäftigt, ebenso lange musste „Twingo“ auch im Tierheim ausharren.
Ein Fall unter vielen: Man ist erstaunt, wie viele Beschwerden über Missstände bei der Haltung von Tieren den Tierärztinnen und Tierärzten im Recklinghäuser Kreishaus jährlich auf den Tisch flattern: sage und schreibe 1200! Allein in Gladbeck gab es, neben der Rettung von Twingo, noch zwei weitere schlagzeilenträchtige Fälle für das Kreisveterinäramt. Anfang November 2022 befreiten die Veterinäre ein Rudel türkischer Herdenschutzhunde von einem Firmengrundstück an der Haldenstraße. Monate hatte es gedauert, bis die Kangals endlich aus der schlechten Haltung gerettet werden konnten. Der Besitzer war immer wieder auch gerichtlich gegen die Auflagen vom Kreis Recklinghausen vorgegangen war.
Tierischer Einsatz im Gladbecker Problemhochhaus an der Steinstraße 72
Und dann, nur vier Monate später, der Einsatz am Problemhochhaus Steinstraße 72. Hier hatte der Gladbecker Tierschutzverein von einem jungen Hund erfahren, der von seinen Besitzern im tiefsten Winter völlig schutzlos ausschließlich auf dem Balkon gehalten wurde. Auch in diesen Fall war das Veterinäramt involviert. Das Leiden des kleinen Pite, so hieß der Mischling damals, dauerte aber zum Glück nicht so lange wie das der Kangals von der Haldenstraße. Die Halter von Pite erklärten sich nämlich schnell damit einverstanden, den Mischling den Gladbecker Tierschützern zu überlassen. Mittlerweile hat Pite ein tolles neues Zuhause gefunden.
„Die Einsatzzahlen für die Veterinäre sind seit Jahren konstant“, erklärt Kreis-Sprecherin Svenja Küchmeister. Und es gibt immer wieder schier unglaubliche Fälle. Aus einem Einfamilienhaus in Marl zum Beispiel haben die Veterinäre 50 (!) Hunde geholt. Man hat ungefähr eine Ahnung, wie es dort ausgesehen haben muss. Auch 30 Katzen und mehr, die in einer Wohnung gehalten werden, sind den Kontrolleuren schon des Öfteren und in mehreren Städten untergekommen. In Dorsten wurden von der Behörde mehrere hundert Farbratten aus einer Privathaltung „befreit“.
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Einsätze der Veterinäre finden oft sogar unter Polizeischutz statt
Erreichen das Veterinäramt Beschwerden, fahren die Tierärzte in der Regel zur Kontrolle raus – und stoßen vor Ort nicht selten auf Widerstand. Selbst bei einem vereinbarten Termin werde der Zutritt zur Wohnung verweigert. Mehrere Kontaktversuche oder sogar richterliche Durchsuchungsbeschlüsse seien erforderlich, bis das Tier amtsärztlich untersucht werden könne. Manche Kontrolle müsse sogar unter Polizeischutz stattfinden. „Die Aggressionen nehmen zu“, berichtet Svenja Küchmeister. Überraschend sei diese Entwicklung nicht, wenn selbst Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst bei ihren Einsätzen mit verbalen und körperlichen Attacken konfrontiert seien.
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Hunde und Katzen, die ihren Besitzern weggenommen werden müssen, konnten nach Darstellung des Veterinäramtes früher problemlos in Tierheimen im Kreis Recklinghausen untergebracht werden. Seit Corona platzen jedoch alle Einrichtungen im Vest und darüber hinaus auch in ganz NRW aus den Nähten. Viele Menschen hätten sich während der Pandemie „leichtfertig“ ein Haustier angeschafft und schließlich gemerkt, dass der Vierbeiner nicht in den Alltag zu integrieren sei. Ergebnis: Endstation Tierheim. Für die Veterinäre des Kreises hat das die unbefriedigende Konsequenz, dass sie Tiere zunehmend in Situationen zurücklassen müssen, die von den Fachleuten selbst als mangelhaft eingestuft werden. Das, so der Kreis, mache häufige Nachkontrollen erforderlich – bis die Tiere dann irgendwann anderweitig untergebracht werden können.
>> Im Kreisveterinäramt sind sechs Tierärztinnen und Tierärzte schwerpunktmäßig mit dem Kontroll-Thema befasst. Um das Pensum bewältigen zu können, müssen die Fälle nach Darstellung des Kreises priorisiert werden. Ein zu kleiner Zwinger für einen Hund zum Beispiel müsse nicht unbedingt sofort bearbeitet werden, wenn parallel dazu eine Meldung über Tiere eingehe, die im Sommer zu verdursten drohten.
Außerdem gibt es auch noch 500 landwirtschaftliche Nutztierhaltungen, die in Intervallen von drei bis sieben Jahren vom Veterinäramt kontrolliert werden müssen – „risikoorientiert und unangekündigt“, wie es heißt. Im vergangenen Jahr haben 152 derartige Kontrollen stattgefunden.