Gladbeck. 137 Kinder und Jugendliche sowie acht Volljährige leben in Pflegefamilien. Die Meldezahlen steigen seit Jahren. Weitere Familien werden gesucht.

Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung: Die Gründe, warum Kinder nicht in ihren Ursprungsfamilien leben, sind vielfältig. 137 Kinder und Jugendliche sowie acht Volljährige aus Gladbeck lebten zuletzt in Pflegefamilien. „Es gibt auch viele Eltern, die ihre Kinder freiwillig in Pflege geben“, weiß Lisa Tymann, Abteilungsleiterin Hilfen zur Erziehung bei der Stadt Gladbeck und dort unter anderem für den Pflegekinderdienst zuständig.

Die Zahl der Pflegefamilien ist rückläufig. „Früher hatten wir mehr Bewerbungen“, so Tymann. Das städtische Jugendamt sucht daher dringend Familien, die ein Kind bei sich aufnehmen möchten. Dazu müssen potenzielle Pflegeeltern einige Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen gesicherte finanzielle Verhältnisse und eine ausreichend große Wohnung haben, ihr Alter sollte zu dem der aufzunehmenden Kinder passen, sie sollten genügend Zeit mitbringen, das heißt, eine der Pflegepersonen sollte nicht oder nur teilweise arbeiten. „Zudem ist ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis und Gesundheitszeugnis nötig.“ Auch die Teilnahme an einem speziellen Seminar ist Grundvoraussetzung, um ein Kind bei sich aufnehmen zu können.

Viele Kinder bringen Verhaltensweisen mit, die schwer einzuordnen sind

Denn auf das Leben mit einem Pflegekind sollten Frauen und Männer gut vorbereitet sein. „Viele Kinder bringen Belastungen und somit Verhaltensweisen mit, die schwer einzuordnen sind.“ Zudem gibt es regelmäßige Besuchskontakte mit den leiblichen Eltern. „Auch dazu müssen die Pflegeeltern bereit sein“, sagt Tymann.

Interessierte können sich an das Jugendamt wenden

Eine Pflegefamilie muss nicht immer eine Familie im klassischen Sinne sein. Wer ein Kind bei sich aufnehmen möchte, kann dies auch als Einzelperson oder etwa als gleichgeschlechtliches Paar tun.

Mit Interessierten wird zuvor ein Gespräch über die Motivation geführt, ein Kind bei sich aufzunehmen. Weitere Info bei Lisa Tymann vom städtischen Amt für Jugend und Familie: 992698 oder per Mail: lisa.tymann@stadt-gladbeck.de.

Pflegefamilien haben die Möglichkeit, sich bei einem regelmäßigen Stammtisch mit anderen Pflegefamilien auszutauschen. Für die Kinder bekommen die Familien Pauschalbeträge. Für Kinder bis zum siebten Lebensjahr 814 Euro monatlich, für Kinder zwischen dem siebten und 14. Lebensjahr 891 Euro und für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren 1029 Euro.

Die Meldezahlen, die beim städtischen Jugendamt eingehen, steigen seit Jahren kontinuierlich an. „Das liegt auch daran, dass die Menschen sensibler geworden sind, genauer hinhören.“ Und das eben nicht erst seit dem großen Missbrauchs-Skandal in Lügde. Dass die Meldezahlen immer mehr werden, liege aber auch an einem anderen Verständnis. „Auch Partnerschaftsgewalt ist eine Form der Kindeswohlgefährdung.“ Zwar habe es die schon immer gegeben, heute aber sei die Wahrnehmung eine andere.

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Und nicht hinter jeder Meldung aus dem Umfeld der Betroffenen verbirgt sich tatsächlich die Notwendigkeit, Kinder aus der Familie zu nehmen. „Wenn wir gerufen werden, gibt es drei Möglichkeiten, auf die wir vor Ort treffen“, erklärt Lisa Tymann. Entweder finden die Jugendamt-Mitarbeiter gar keinen Hinweis auf eine Gefährdung, sie machen keine akute Gefährdung aus, aber treffen auf Menschen, die Unterstützung benötigen, oder aber die Situation ist so akut, dass die Kinder direkt aus der Familie genommen werden. „Das ist aber nur in seltenen Fällen nötig.“

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Lisa Tymann ist beim städtischen Jugendamt für den Pflegekinderdienst zuständig. Das Amt ist auf der Suche nach neuen Familien, die bereit sind, ein Kind bei sich aufzunehmen.
Lisa Tymann ist beim städtischen Jugendamt für den Pflegekinderdienst zuständig. Das Amt ist auf der Suche nach neuen Familien, die bereit sind, ein Kind bei sich aufzunehmen. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Zunächst wird geprüft, ob die Kinder bei Verwandten unterkommen können

Bevor die Jungen und Mädchen in die Bereitschaftspflege (bis zum sechsten Lebensjahr) oder in eine stationäre Einrichtung kommen, prüfen die Mitarbeiter, ob es Verwandte gibt, bei denen die Kinder unterkommen können. Ob die Unterbringung außerhalb der Familie eine Dauerlösung ist, hänge stark vom jeweiligen Fall ab, eventuell gebe es auch eine Perspektive, zurück in die Ursprungsfamilie zu kommen. „Der Wunsch der Kinder ist ein ganz wesentlicher Faktor.“ Je nachdem, welche Belastungen die Kinder mitbringen, werden sie auch in einer vollstationären Wohngruppe oder einer familienanalogen Wohngruppe untergebracht.

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Wer sich aber entschließt, ein Kind aufzunehmen, müsse viel Zeit und Geduld mitbringen. „Die Jungen und Mädchen testen viel aus, um zu erkennen, ob sie in der Familie sicher sind.“ Dazu zähle etwa, Essen zu bunkern und auch auf Distanz zu bleiben. Denn das mussten sie in ihrer alten Familie tun, „um zu überleben.“ „Die Kinder müssen erst lernen, dass sie immer versorgt werden. Sie brauchen eine Konstante, an der sie sich orientieren können.“

Für Lisa Tymann ist besonders schön zu sehen, wenn sich die Kinder gut entwickeln. Den Mitarbeitern des Jugendamtes gebe dies eine Menge zurück. „Es ist schließlich ein massiver Eingriff, ein Kind aus einer Familie zu nehmen.“