Gladbeck. NRW hat einen Einstieg in die Entschuldung der Städte angekündigt. Kritik zum geplanten Vorgehen komm vom Landrat des Kreises Recklinghausen.

Jahrelang haben die Städte im Kreis Recklinghausen darauf gewartet, dass sich Bund und Land des Problems der kommunalen Überschuldung annehmen. Nun hat das Land einen „Einstieg“ in die Entschuldung der Städte angekündigt. Doch die Begeisterung hält sich NRW-weit in Grenzen. Auch Bodo Klimpel (CDU), Landrat des Kreises Recklinghausen, spricht von einem „vergifteten Geschenk“.

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Hälfte der kommunalen Altschulden sollen in Landesschulden überführt werden

Nach den Plänen, die Ministerpräsident Hendrik Wüst und Kommunalministerin Ina Scharrenbach (beide CDU) jetzt vorgestellt haben, soll ab Mitte 2024 die Hälfte der kommunalen Altschulden von fast 20 Milliarden Euro in Landesschulden „überführt“ werden. Die zehn Städte des Kreises RE wären auf diese Weise 666 Millionen Euro an Verbindlichkeiten los. Dabei handelt es sich ausschließlich um sogenannte Kassenkredite, die vergleichbar sind mit dem Dispo für Privathaushalte, und nicht um Darlehn, mit denen bleibende Werte geschaffen werden.

Auf anhaltende Kritik stößt, dass das Land die übernommenen Schulden nicht mit eigenem Geld aus dem Landeshaushalt abzahlt, sondern es dem Kommunalanteil an der Grunderwerbssteuer entnimmt. „Die Entschuldung wird damit von den Kommunen selbst bezahlt“, konstatiert Landrat Bodo Klimpel. Von der Initiative könnten am Ende 199 der 429 Kommunen in NRW profitieren. Doch für welche Städte im Vest sich das tatsächlich rechnet, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abzusehen, so der Landrat weiter.

Zweifel: Übernimmt der Bund tatsächlich die andere Hälfte der Altschulden?

Auch zweifelt der Kommunalfinanzexperte daran, dass der Bund die andere Hälfte der Altschulden, wie vom Land NRW gefordert, übernehmen wird. Dazu bedürfe es einer Verfassungsänderung, sagt Klimpel. Die erforderliche Mehrheit dafür sehe er nicht, zumal Bundesländer wie Hessen und Rheinland-Pfalz mit ebenfalls hoch verschuldeten Kommunen längst eigene Lösungen umgesetzt hätten. Auf der anderen Seite haben allerdings sowohl Schwarz-Grün in NRW als auch die Ampel im Bund die Entschuldung der Kommunen in ihre Koalitionsverträge geschrieben.

1,331 Milliarden Euro beträgt die Schuldenlast der zehn Städte im Kreis Recklinghausen allein bei den Kassenkrediten. Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt im vierstelligen Bereich. Seit rund 20 Jahren sehen die Kommunen sich gezwungen, zunehmend Kassenkredite aufzunehmen, um vor allem die Sozialausgaben zu finanzieren. Der NRW-Stärkungspakt Stadtfinanzen hat zwar vorübergehend Entlastung gebracht, aber die Folgen der Sparzwänge lassen sich heute unter anderem an maroden Straßen, Brücken und Schulen ablesen. Zudem werden Bürger und Unternehmen im Vest mit überdurchschnittlich hohen Grund- und Gewerbesteuern belastet.

Landrat: Der richtige Zeitpunkt zur Entschuldung wurde verpasst

Bund und Land hätten den richtigen Zeitpunkt zur Entschuldung verpasst, sagt Bodo Klimpel und verweist auf die Jahre, als die Zinsen bei Null lagen. „Alle haben damals vor der Gefahr eines Zinsanstiegs gewarnt“, so der Landrat. Jetzt sei dieser Fall eingetreten und ein Ende nicht abzusehen. Die Folgen zeichnen sich bereits ab: Die ersten Städte im Vest (Herten, Dorsten, Gladbeck) haben die Grundsteuern erhöht. Es sei schwierig, unter solchen Umständen als Region für junge Familien attraktiv zu sein, betont Klimpel.

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Damit die Negativspirale sich nicht weiterdreht, hält der Landrat eine wirkungsvolle Altschuldenregelung für zwingend erforderlich; ebenso wie eine Finanzausstattung, die die Kommunen in die Lage versetzt, „Ganztagsbetreuung und ausreichend Schulraum zu finanzieren sowie ihre Infrastruktur in Schuss zu halten“. Alles andere würde auf steigende Defizite und am Ende nicht mehr genehmigungsfähige Haushalte hinauslaufen. Daran könne niemand in Bund und Land Interesse haben, betont Klimpel.