Gladbeck. Zum 20. März sollen die Corona-Schutzbestimmungen weiter gelockert werden. Der Gladbecker Ärztesprecher rät davon ab. Er nennt eindeutige Gründe.

Er könne es verstehen, „dass sich auch die Menschen in Gladbeck weitere Lockerungen bei den Corona-Schutzverordnungen wünschen, die das Alltagsleben einschränken“, sagt Hausarzt Gregor Nagel. Der Sprecher des Netzwerkes der niedergelassenen Ärzte in Gladbeck schaut wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen aber mit einiger Sorge Richtung 20. März. Dann sollen alle tiefgreifenden Corona-Schutzmaßnahmen bundesweit auslaufen. Der Doktor hofft, dass der Bundestag am 16. und die Bund-Länder-Runde am 17. März die Lockerungen überdenkt. „Denn die zahlreichen Neuinfektionen und steigende Inzidenz zeigen noch keine Entspannung in der aktuellen Coronawelle.“

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Die Wartezimmer seien derzeit voll, „mit Patienten, die an Erkältungskrankheiten leiden“, berichtet der Arzt. Ein Fakt sei auch die Zunahme der erfassten positive Coronafälle. Denn auch geboosterte, also Personen mit vollständigem Impfschutz, erkrankten an Covid-19 „auch unter deutlichen Symptomen wie Husten, Schnupfen, grippeähnlichen Kreuz- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost und teils starkem Fieber“. Dies lege nahe, dass die zweite Omikron-Variante BA.2 zunehmend dominiere, sie ebenfalls deutlich ansteckender sei als die Beta- oder Delta-Mutationen. Und anders als bei den meist milden Krankheitsverläufen von Omikron BA.1, „wo Infektionen oft zunächst gar nicht körperlich bemerkt wurden“, führe der neue Typ BA.2 „auch zu schwereren Symptomatiken, Krankheitsverläufen von zwei bis vier Wochen und Krankschreibungen von Berufstätigen“.

Im Frühjahr 2021 waren die Wartezimmer in den Arztpraxen relativ leer

Dass schärfere Hygieneregeln und Schutzmaßnahmen gegenüber Infektionskrankheiten Wirkung zeigen, die sich über virushaltige Aerosolpartikel beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen ausbreiten, belege ein Rückblick ins Vorjahr. „Im Frühjahr 2021 waren die Wartezimmer relativ leer, weil die damaligen Corona-Schutzbestimmungen dafür gesorgt haben, dass sich auch die üblichen Erkältungskrankheiten kaum ausgebreitet haben“, erinnert sich Nagel. Mit den Lockerungen sei das Bild anders, die Inzidenz drastisch angestiegen und die Zahl der Coronatoten habe sich weiter erhöht. Und anders als bei Beta, Delta und Omikron BA.1 hätten auch junge Menschen jetzt vermehrt deutliche Krankheitsverläufe, so der Mediziner. Auch Tote sind nun bei jüngeren Altersgruppen stärker zu beklagen.

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„Die Zahlen zeigen, dass die Coronawelle und die Pandemie noch nicht vorbei sind“, sagt auch Svenja Küchmeister von der Pressestelle der Kreisverwaltung mit Blick auf die Corona-Statistik. Das Bild sei hier eindeutig. „Wir müssen feststellen, dass sich die Lagen nicht entspannt, sondern die Anzahl der Infizierten und Neuinfektionen weiter auf eine hohen Niveau bleiben.“ Dies belege die aktuelle Inzidenz von 1074,0 für das Kreisgebiet deutlich (Gladbeck 977,3). Vergleicht man die Inzidenz Anfang März 2021 im Kreis von 61,5, so hat sich dieser Wert im März 2022 um das 16-fache erhöht. In Gladbeck (80,7) um das Zehnfache.

Der Effekt der Corona-Lockerungen zum Jahreswechsel ist deutlich

Der Effekt, der nach dem Jahreswechsel 2022 erfolgten Lockerungen bei zugleich infektiöserer Omikron-Mutation, stelle sich deutlich dar. Denn im Vergleich sah die Corona-Lage im Januar 2022 zunächst ähnlich aus wie ein Jahr zuvor. Sogar etwas besser mit rund 100 Neuinfektionen im Durchschnitt über alle Altersgruppen und 115 im Januar 2021. Im Vorjahr waren indes die Altersgruppen der 20- bis 59-Jährigen mit im Schnitt 122 Erkrankten am stärksten betroffen und auch noch die von 80 plus (106). Wohingegen sich durch die Impfkampagnen zum Jahreswechsel 2022 die stärksten Infektionsanteile in die jüngere Altersklasse der 10- bis 49-Jährigen mit im Schnitt 158 Erkrankten verschoben hatten, und die Altersgruppe 80plus kaum noch betroffen war (18 Fälle).

Zahl der Coronatoten wächst weiter

Die Anzahl der Menschen, die im Kreis Recklinghausen an den Folgen einer Infektion mit Covid-19 sterben, steigt weiter. Für den 15. März wurden vier weiterer Todesfälle gemeldet, so dass sich die Gesamtzahl sei Statistikbeginn zur Pandemie auf 1193 erhöht hat.

Verteilt über die Altersklassen sind hochbetagte Menschen am stärksten betroffen. Deutlich die der über 80-Jährigen mit 739 Coronatoten. Gefolgt von den 70- bis 79 Jährigen mit 269 Verstorbenen und den 60- bis 69-Jährigen mit 115.

Aber auch bei den jüngeren Bürgern sind Todesfälle wegen Corona zu beklagen. Bei den 50- bis 59-Jährigen sind es 57 Personen. Bei den 40- bis 49-Jährigen acht Betroffenen und bereits fünf Menschen in der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen.

Das zum Jahresbeginn 2021 Festhalten an verschärften Schutzbestimmungen und Hygieneregeln auch in den Folgemonaten hatte eindeutige Wirkung. Die Zahl der Infizierten sank im Februar und bis zum Sommer 2021 kontinuierlich unter zehn Personen in allen Altersklassen. Der Blick auf den Vormonat Februar 2022 kann hingegen erschrecken. Denn durch die zum neuen Jahr erfolgte Lockerung der Coronaregeln sind die Zahlen der Neuinfizierten bis 1. Februar nahezu explodiert. Sie haben sich in der am stärksten betroffenen Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen in dieser kurzen Zeit verfünffacht. Und sogar versechsfacht in den Altersgruppen der unter 5- bis 9-Jährigen.

Die Schutzmaßnahmen aus ärztlicher Sicht beibehalten

Besorgen mag zudem, dass mit Stand März auch in der Altersgruppe 80plus die Infiziertenzahl wieder stark steigt. Dr. med. Gregor Nagel hat so vor den politischen Beratungen zu den für 20. März beabsichtigten auslaufenden Corona-Schutzregeln eine eindeutige Meinung: „Aus ärztlicher Sicht sollten Schutzmaßnahmen, darunter die allgemeine Maskenpflicht, beibehalten werden“.