Gladbeck. Pandemiebedingt werden Früherkennungsuntersuchungen weniger wahrgenommen. Gladbecker Arzt erklärt, welche Gefahren hier lauern.
2067 Menschen starben im Jahr 2020 im Kreis Recklinghausen an einer Krebserkrankung – 274 pro 100 000 Einwohner. Das teilt Information und Technik Nordrhein-Westfalen als Statistisches Landesamt aktuell mit. In Folge der Corona-Krise wurden weniger Krebsdiagnosen gestellt. Daher hegen Fachleute die Befürchtung, dass pandemiebedingt die Zahl fortgeschrittener Tumore steigen könnte. Dr. Gregor Nagel, Sprecher des Ärztenetzes Gladbeck, erläutert die Hintergründe der derzeitigen Situation und welche Gefahren für Patienten lauern.
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Generell, so konstatieren die Kassenärztlichen Vereinigungen, werden in Deutschland „Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen immer noch zu wenig in Anspruch genommen“. Und in der Pandemie seien solche Termine zeitweise weiter zurückgegangen. Dr. Gregor Nagel sagt: „In der akuten Corona-Phase ist das sicherlich richtig. Es wurde aktiv dazu aufgefordert, verschiebbare Untersuchungen nicht wahrzunehmen. Mittlerweile nivelliert sich das wieder.“ Er bestätigt jedoch ebenfalls „eine gewisse Zurückhaltung“ in der Patientenschaft: „Die Nachfrage nach Früherkennungsuntersuchungen hat deutlich nachgelassen.“ Dabei stellt der Experte fest: „Männer nutzen auch außerhalb von Corona weniger Früherkennungsangebote als Frauen.“
Gladbecker Hausarzt Dr. Gregor Nagel: „Noch dramatischer sieht es mit der Nachsorge aus“
Dieses Thema geht nicht nur die jeweiligen Fach-, sondern auch Hausärzte wie ihn an, stellt Nagel klar. „Check-up, Hautkrebs- und Früherkennung bei Männern, Darmspiegelung – dieser ganze Strauß ist betroffen“, sagt der Ärztenetz-Sprecher. Es gelte das Prinzip, dass Hausärzte zunächst untersuchen und gegebenenfalls an Spezialisten überweisen – „die Fachärzte bekommen eine selektierte Patientenschaft.“ Bei der Früherkennung stehe nicht nur Krebs im Fokus. „Zucker, Cholesterin, Blut, Impfstatus“ – all das nehmen Hausärzte in den Blick. Nagel, Mediziner im Hausarztzentrum Butendorf, sagt mit Nachdruck: „Das ist wichtig. Nehmen wir zum Beispiel jemanden, der Diabetes hat, was Jahre nicht diagnostiziert wird.“ Das könne zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen.
„Noch dramatischer sieht es mit der Nachsorge aus“, sagt Nagel. Also jene Fälle, in denen bei Patienten nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung wieder ein Tumor auftaucht – womöglich unerkannt und unbehandelt bleibt.
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Während der Pandemie ist die Anzahl der Krebsdiagnosen im Jahr 2020 um neun Prozent gesunken, ist in der aktuellen Ausgabe des Ärzteblattes zu lesen, auf die Nagel verweist. Forscher hatten Daten aus insgesamt 1403 „als repräsentativ geltenden Arztpraxen“ – Hausärzte, Gynäkologen, Dermatologen, Urologen – analysiert. Resultat: „Ein Jahr vor der Pandemie diagnostizierten Ärzte erstmals eine Krebserkrankung bei 139.000 Patienten.“ Im ersten Corona-Jahr seien es nur noch knapp 127.000 betroffene Menschen mit diesem Untersuchungsergebnis gewesen – ein Minus von neun Prozent. Am stärksten sei die Zahl der Menschen zurückgegangen, bei denen neu Hautkrebs erkannt worden sei.
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Es seien insgesamt „weniger Patienten zur Abklärung einer Tumorerkrankung an Fachärzte und Kliniken überwiesen worden“. Die Forscher befürchten, dass „der pandemiebedingte Rückgang der Krebsdiagnosen in den kommenden Jahren mehr fortgeschrittene Tumore zutage fördern wird“.
In Nordrhein-Westfalen erlagen laut Statistischem Landesamt 51.917 Menschen im Jahr 2020 den Folgen einer Krebserkrankung, das sind 1,8 Prozent weniger als 2019 mit 52.858 Todesopfern. Bösartige Neubildungen sind damit die Ursache für fast ein Viertel aller Todesfälle (24,2 Prozent).
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Die höchste Sterberate im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung wies die Stadt Bottrop auf: Hier gab es 365 Sterbefälle je 100 000 Einwohner. Landesweit starben 289 Menschen je 100 000 Einwohner an den Folgen einer Krebserkrankung.
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Das durchschnittliche Sterbealter der Betroffenen lag im Jahr 2020 mit 74,9 Jahren um etwa vier Jahre niedriger als bei allen Gestorbenen (79,1 Jahre). Unter den krebsbedingten Todesfällen waren Krebserkrankungen der Verdauungsorgane die häufigste Todesursache (Männer: 31,0 Prozent, Frauen: 28,3 Prozent). Die zweithäufigste Todesursache waren Krebserkrankungen der Atmungsorgane und sonstiger Organe im Brustkorb (Männer: 25,8 Prozent, Frauen: 19,4 Prozent). Die dritthäufigste Form krebsbedingter Todesfälle unterscheidet sich bei Männern und Frauen: Bei Männern lagen bösartige Neubildungen der Genitalorgane (12,5 Prozent) auf dem dritten Rang; bei Frauen war es Brustkrebs (16,9 Prozent).