Gladbeck. Auch in Gladbeck wird am Tag der Auschwitz-Befreiung der Nazi-Opfer gedacht. Viele junge Leute machen mit. Sie putzen die 118 Stolpersteine.
118 Stolpersteine – 118 Schicksale in Gladbeck. Erwachsene und gut 150 Jugendliche wollen am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz, die Opfer des Nationalsozialismus einmal mehr in Erinnerung rufen. Wer an sie denken will, besucht insbesondere zu diesem Datum die Stolpersteine. Manche Gladbecker gehen in die Knie, um gebückt die Plaketten, die in nüchternen, dürren Daten Biografien skizzieren, zu reinigen und eine weiße Rose niederzulegen.
Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, Pfarrerin im Ruhestand und Mitglied des Bündnisses für Courage, weiß an manchen Stationen, was hinter den Namen und Jahreszahlen steckt. Wie bei der Familie Perl, an die Stolpersteine vor dem Gebäude Horster Straße 3 erinnern. Eckdaten sind auf den kleinen quadratischen Messingtafeln zu lesen: Hier lebte Phoebus Perl, Jg. 1877, deportiert 1942, ermordet in Riga. Hier lebte Martha Perl, geb. Neuwahl, Jg. 1879, deportiert 1942, ermordet 1943 in Riga. Hier lebte Margot Philipps, geb. Perl, Jg. 1908, deportiert 1941, ermordet im Ghetto Lodz.
Das Gladbecker Paar Phoebus und Martha Perl wurde in Riga umgebracht
- Künstler Gunter Demnig, der Schöpfer der Stolpersteine, hat die Plaketten eigenhändig verlegt. Die drei Namen sind seit 2009 sichtbar in der heutigen Stadtgesellschaft. Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup: „Unter den Arkaden war das Geschäft des Kaufmanns Phoebus Perl, das er mit seiner Frau Martha gemeinsam betrieb. Das Geschäft, mitten in der Stadt, warb als größtes und leistungsfähigstes Spezialgeschäft für Herrenkonfektionen und Berufskleidung.“
- Gedenktag ruft jüdische Schicksale in Gladbeck in Erinnerung
- Wie jüdische Geschichte in Gladbeck ihren Anfang nahm
- Antisemitismus: Juden sind wieder stärker Hass ausgesetzt
- Gladbecker warnt: „Wir müssen die Demokratie verteidigen!“
Die Recherche des Courage-Mitglieds ergab: „Phoebus Perl wurde am 4. Juni 1877 in Memel geboren, seine Frau am 31. Mai 1879 in Gelsenkirchen, ihre einzige Tochter Margot am 25. Juli 1908 in Gladbeck. Sie waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde.“ Er gehörte zu dem Vorstand in der Untergemeinde der Synagogenhauptgemeinde in Dorsten. „Nachdem diese 1932 selbstständig wurde, wurde er zum Gemeindevorsteher gewählt. Phoebus Perl war Mitglied in der SPD.“
+++ Folgen Sie der WAZ Gladbeck auch auf Facebook+++
Eine engagierte Persönlichkeit der Gladbecker Gesellschaft also. Hildebrandt-Junge-Wentrup: „ Von ihm wurde berichtet, dass er sich für arme Familien einsetzte und den Kontakt zu den Kirchen suchte.“ Das Perl’sche Geschäft, mittlerweile am Schenkendiek, wurde in der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 zerstört und geplündert. Noch im selben Jahr sei das Ehepaar aus Gladbeck vertrieben worden: „Es wurde zwangseingewiesen in ein sogenanntes ,Judenhaus’ in Gelsenkirchen.“ An der Adresse von-der Recke Straße 9 mussten die Perls „auf engstem Raum mit 19 anderen Personen zusammenleben“. Es kam noch schlimmer: „Am 27. Januar 1942 wurden Phoebus und Margot Perl von Gelsenkirchen, in Viehwaggons gepfercht, nach Riga deportiert. Sie waren zwei von 350 Personen aus Gelsenkirchen.“ In Riga wurden das jüdische Ehepaar aus Gladbeck ermordet.
Auch interessant
„Margot Perl war Schülerin des Lyzeums Gladbeck, heute Riesener-Gymnasium. Sie heiratete mit 20 Jahren den 15 Jahre älteren Viehhändler Hugo Philipps aus Oberhausen. Am 27.10.1941 wurde sie von Düsseldorf aus der Strickerstraße 9 nach Lodz deportiert und dort ermordet“, weiß Hildebrandt-Junge-Wentrup zu berichten. Hugo Philipps wurde am 9. September 1942, ebenfalls in Lodz, umgebracht. Schicksale, die nicht in Vergessenheit versinken sollen, so das Anliegen der Aktiven am Gedenktag.