Gladbeck. Die großen Stadtkirchen in Gladbeck sorgen sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wie Propst Müller und Superintendent Riesenberg reagieren.
Die Corona-Pandemie drückt auch diesem Weihnachtsfest deutlich ihren Stempel auf. Mehr noch: Selten zuvor war das gesellschaftliche Leben – auch in Gladbeck – so aufgewühlt, die Stimmung teils so aufgeladen wie zu diesem Fest. Die beiden großen Kirchen äußern sich besorgt auch angesichts einer wachsenden Aggressivität in Teilen der Gesellschaft, ausgelöst durch Diskussionen und Proteste von Impfgegnern und Coronaleugnern. „Wir müssen uns aber weiter die Hand reichen können, neues Vertrauen aufbauen“, werben Propst André Müller und Superintendent Steffen Riesenberg um Annäherung und Versöhnung.
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Propst Müller: Wir sollten immer versuchen, aufeinander zuzugehen
„Ja, das ist der schwierigere Weg, aber wir sollten immer wieder versuchen, aufeinander zuzugehen“, mahnt Propst André Müller, Pfarrer der katholischen Propsteipfarrei St. Lamberti, im Gespräch mit der WAZ, nicht müde zu werden in dem Bemühen, die Gesellschaft zusammen zu halten. Er spüre ein zunehmendes Misstrauen gegenüber Politik, Parteien und Institutionen, nicht erst seit Corona, aber seitdem stärker. Dagegen müsse man angehen.
Die Unsicherheit der Menschen wachse, auch durch fehlendes soziales Miteinander, durch Einsamkeit in der Pandemie. „Abgrenzen nutzt aber nichts, auch wenn sich die überwiegende Mehrheit einig ist – sich annähern, die Kritik der Unwilligen ernst nehmen, zum Dialog kommen, auch wenn es wütend macht, das sollte der Weg sein.“ Er halte es da, so Müller, mit dem ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten Johannes Rau: versöhnen statt spalten.
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Superintendent Riesenberg: Zu den Menschen an den Rändern der Gesellschaft gehen
Pfarrer Steffen Riesenberg, Superintendent des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Gladbeck/Bottrop/Dorsten, sieht es ähnlich. „Wir müssen hingehen zu den Menschen, präsent sein und ein vertrauensvoller Partner auch und vor allem an den Rändern der Gesellschaft“, sagte er im WAZ-Gespräch. Vielen gehe die Geduld aus.
Oftmals fehle es den Menschen inzwischen an Vertrauen, sie seien nicht mehr erreichbar für staatliche Institutionen, nicht für Kirchen, nicht für die Gesellschaft. Nicht selten seien es Menschen aus Gesellschaftsgruppen mit geringem Einkommen, betont Riesenberg. Das falle jetzt auf: Bei den Ungeimpften seien diese Gesellschaftsgruppen überrepräsentiert. Riesenberg: „Wir haben aber auch vor Corona nicht viel getan, um diese Menschen einzubinden, und nun stellen wir fest, dass wir jeden brauchen.“
Geistliche: Handausstrecken stößt bei demokratiefeindlichem Handeln an Grenzen
Müller wie Riesenberg halten aber nur einen kleinen Teil der Impfskeptiker und Coronaleugner für gefährlich, für demokratiefeindlich, wenn auch viele der anderen, der Verunsicherten anfällig sein könnten für einschlägige Parolen aus dem Internet. Riesenberg: „Es ist aber nur eine kleine Gruppe, denen es aber nicht allein um Corona geht, die vielmehr den Staat und seine Ordnung in Frage stellt.“
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Nur weil diese Wenigen laut seien, seien sie nicht viele. Hier müsse die Politik ihre Samthandschuhe ausziehen, „das sind in meinen Augen Terroristen“. Auch für Müller wird bei dieser Minderheiten-Gruppe, „zwei bis drei Prozent der Bevölkerung“, ein „enormes Gefahrenpotenzial“ erkennbar. Das Handausstrecken stoße an seine Grenzen, wenn Proteste solcher Gruppen strafrechtlich relevant würden. „Wenn uns blanker Hass entgegenschlägt, Morddrohungen fallen, vermeintliche Demonstranten vor Politiker-Wohnungen mit Fackeln auflaufen – dann muss der Staat durchgreifen und sanktionieren.“
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Riesenberg: Derzeit keine Spaltung – Müller: Der Riss ist da
Riesenberg will nicht von einer Spaltung der Gesellschaft durch die heftigen Corona- und Impfdiskussionen sprechen. „80 Prozent sind geimpft, das ist für mich keine Spaltung. Eine Spaltung gibt es durch die Armutsschere, die immer größer wird.“ Die größte Corona-Demo finde für ihn Tag für Tag in den Impfzentren statt. Die Gesellschaft sei allerdings „durchwühlt“, das Verständnis für viele Corona-Maßnahmen, für Einschränkungen sei begrenzt. Das sei durchaus eine Gefahr für das gesellschaftliche Miteinander, aber längst keine Spaltung.
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Propst Müller sieht die Probleme um Corona dagegen auf allen gesellschaftlichen Ebenen – auch in Familien, Freundeskreisen, Vereinen und Büros: „Ein kleines Virus ist dabei, eine große Zerreißprobe herbei zu führen.“ Der Riss sei da, „es gibt eine Menge zu tun.“ Müller appelliert, die alten Werte hoch zu halten, mehr in Bildung zu investieren, die demokratischen Institutionen zu stärken. Dennoch sieht er, wie auch Superintendent Riesenberg, noch Chancen, „das Ruder herumzureißen“. Toleranz, vergeben, versöhnen und trotz allem die Hand reichen – das sei der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhalte. „Aber dazu bedarf es großer Anstrengungen.“
Thema in den Weihnachtsgottesdiensten
Propst André Müller (53) ist seit 2005 in Gladbeck, zunächst als Pfarrer der damals noch selbstständigen Pfarrei St. Johannes. 2009 wurde er Propst der Großpfarrei St. Lambert. Seit 1. Oktober 2021 ist Müller zusätzlich auch Propst und Pfarrer der Großpfarrei St. Clemens in Oberhausen. Dort war er bereits seit dem 1. Mai als Pfarradministrator tätig – zusätzlich zu seinen Aufgaben in St. Lamberti.
Superintendent Steffen Riesenberg (38) ist seit August 2020 als Nachfolger von Dietmar Chudaska leitender Geistlicher des evangelischen Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten. Seit 2014 war er Pfarrer an der Bottroper Martinskirche.
Beide Geistliche werden in ihren Gottesdiensten an Heilig Abend auch über das Thema der gesellschaftlichen Herausforderung durch die Pandemie reden: Superintendent Riesenberg um 18 Uhr bei einer Open-Air-Christvesper auf dem Hof der August-Everding-Schule in Bottrop-Fuhlenbrock, Propst Müller um 17 Uhr in der Christmette in St. Lamberti und um 20 Uhr in der Christmette in St. Clemens Oberhausen (beide nur mit Voranmeldung).