Gladbeck. Impfzentren sollen nach dem Willen des Ministers Spahn für Booster-Impfungen wieder öffnen. Fachleute in Gladbeck reagieren erstaunt.
Erst Ende September haben Impfzentren in Nordrhein-Westfalen ihre Tore geschlossen – auch das in Recklinghausen, das für Menschen in Gladbeck erste Anlaufstelle war. Und nun? Gesundheitsminister Jens Spahn verlangt, eben diese Zentren wieder zu öffnen, um die Drittimpfungen zum Schutz gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu beschleunigen. Ein Vorstoß, der vor Ort Erstaunen hervorruft. Denn darauf sind die Verantwortlichen aus mehreren Gründen nicht eingestellt.
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So einfach auf Knopfdruck lasse sich solch eine Forderung nicht umsetzen, macht Lena Heimers deutlich. Die Sprecherin der Kreisverwaltung Recklinghausen sagt: „Die Frage ist ja, in welcher Form ein Impfzentrum bei uns wieder an der Start gehen soll. In Leichtbauweise wie das bisherige auf dem Konrad-Adenauer-Platz? Das konnten wir in gut zwei Wochen aufstellen.“ Aber dieses Impfzentrum ist nach dem Aus abgebaut. „Es waren damals auch andere Immobilien in der Prüfung“, so Heimers.
Einen Standby-Betrieb, der sich schnell wieder hochfahren lässt, gibt es nicht
Müsste die Kreisverwaltung wieder bei Null anfangen? Die Sprecherin: „Vielleicht nicht bei Null, wir haben ja inzwischen Erfahrungen. Aber wir müssten komplett neu aufbauen.“ Denn einen Standby-Betrieb, wie in anderen Bundesländern, gibt es nicht. Heimers erläutert: „In NRW ist die Struktur umgestellt worden auf mobile Impftrupps. Ich könnte mir vorstellen, dass wir diese verstärken sollen, um mit den Booster-Impfungen voranzukommen.“ Pro Schicht seien in Spitzenzeiten ein 30-köpfiges Team im Einsatz gewesen: „Woher sollte jetzt das Personal kommen?“
Diesen Aspekt führt auch Dr. Gregor Nagel, Sprecher des Ärztenetzes Gladbeck, an. Der Mediziner erklärt: „Die Ärzte, die im Impfzentrum im Einsatz wären, fehlen in den Praxen.“ Vor Monaten sei es eine andere Situation gewesen. „Zu der Zeit war in den Praxen weniger zu tun, weil die Menschen wegen Corona nicht gekommen sind“, so Nagel. Er meint: „Die niedergelassenen Ärzte kriegen die Booster-Impfungen gut hin, auch neben dem allgemeinen Praxis-Betrieb.“ Und zwar selbst, wenn eine weitere Forderung des Gesundheitsministers greift: die Auffrischungsspritze für alle, nicht nur wie derzeit nach Empfehlung der ständigen Impfkommission (Stiko) für ältere Menschen. Nagels Begründung: Da eine Booster-Impfung nach sechs Monaten erfolgen soll, werden die Zielgruppen aufgrund dieses Rhythmus’ zeitlich entzerrt.
Dr. Hans-Ulrich Foertsch, Vorsitzender des Verwaltungsbezirks Recklinghausen in der Ärztekammer Westfalen-Lippe, sagt ebenfalls: „Die niedergelassenen Ärzte – und das sind nicht nur Hausärzte, sondern unter anderem auch Haut- und Frauenärzte – können diese Aufgabe bewältigen. Sie müssen nur dazu in die Lage versetzt werden, indem Impfstoff möglichst schnell geliefert wird.“ Der Experte gibt gleichfalls zu bedenken: „Wo soll das Personal in Impfzentren herkommen?“ Zum jetzigen Zeitpunkt hält er, der am Standort Recklinghausen eigenhändig zur Spritze gegriffen hat, es „für indiskutabel, abgebaute Zentren neu aufzubauen“.
Weitere Impfaktion
Die Stadtverwaltung Gladbeck fasst eine weitere große Impfaktion ins Auge, um noch nicht immunisierte Menschen zu erreichen. Allerdings waren aus dem Rathaus bisher auf Anfrage keine konkreten Angaben zu Ort und Zeit zu bekommen.
Nur soviel: Die Aktion soll noch in diesem Jahr laufen, wahrscheinlich in diesem Monat. Wegen der Witterung ist sie nicht – wie in der Vergangenheit beispielsweise auf dem Platz vor dem Rathaus – unter freiem Himmel geplant, sondern in einem Gebäude. Denkbar wäre die Mathias-Jakobs-Stadthalle.
„Aktuell befinden wir uns noch in enger Abstimmung mit dem Kreis über die nächste Sonderimpfaktion und werden sicherlich kurzfristig etwas zu den Details sagen können“, so Verwaltungssprecher David Hennig. Dies sei aufgrund mehrerer offener Fragen derzeit noch nicht möglich.
Vanessa Pudlo, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), die wie die medizinischen Fachleute das personelle Problem sieht, ist der Überzeugung: „Es wird viel in den Praxen geboostert, und es funktioniert.“ Sie räumt zwar ein, Arztpraxen „sind keine Impfzentren“, sieht aber aktuell keinen Grund, am derzeitigen Vorgehen etwas zu ändern. Sie stimmt zu: „Das können die Praxen leisten.“ Schritt für Schritt seien Fortschritte bei den Drittimpfungen festzustellen: „In der Kalenderwoche 42 hatten wir 26.000 Impfungen, in der 44. Woche schon 46.000.“ Kreissprecherin Heimers meldet für den Kreis Recklinghausen – Stand vergangene Woche – knapp 12.000 Booster-Impfungen.
Stadtteilscharfe Impfquoten liegen in der Gladbecker Verwaltung nicht vor
Erst- und Zweitimpfungen sind zudem immer noch ein Thema. Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen fordert stadtteilscharfe Zahlen zu Ungeimpften, um gezielt ansetzen zu können. David Hennig, Sprecher in der Gladbecker Stadtverwaltung: „Entsprechende Daten liegen uns nicht vor, so dass wir keine Aussage zu den Impfquoten in den einzelnen Stadtteilen treffen können. Hier wären wir letztlich auf Informationen der KVWL angewiesen – dies ist nichts, was der Kreis Recklinghausen oder die Stadt Gladbeck leisten könnten.“ Sicherlich wären diese Daten hilfreich, um über weitere gezielte Aktionen nachzudenken.