Gladbeck. Die einstige Kulisse des Gladbecker Geiseldramas, das Hochhaus an der Schwechater Straße, wird abgerissen. Gigantischer Abrissbagger im Einsatz.
Mit kurzen Bewegungen der Finger gigantische Gebäude zum Einsturz zu bringen, das klingt nach Harry Potters Zauberschule und kräftiger Magie. Thomas Oertelt ist zwar sportlich, er hat aber sicher keine übernatürlichen Kräfte. Der 43-Jährige ist gleichwohl ausführende Hauptfigur, um das Problemhochhaus Schwechater Straße 38 verschwinden zu lassen.
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Grund: Der Maschinist steuert den gigantischen Abrissbagger, der die einstige „Kulisse“ des Gladbecker Geiseldramas derzeit dem Erdboden gleich macht. Noch ragt der Kern der leergezogenen Schrottimmobilie an der Schwechater Straße mächtig in den Himmel. Doch bald wird auch der höchste Gebäudeteil in 46 Metern Höhe, das Maschinenhaus der Aufzuganlage, verschwunden sein. Oertelt hat dafür seinen Longfront-Bagger aufs Maximale aufgerüstet, um dessen lange Arm bis auf 50 Metern Höhe ausfahren und Mauerwerk wie Beton wegknabbern zu können. Eine drei Tonnen schwere Betonzange aus Stahl, die an eine gigantische Krebsschere erinnert, und mit einem Druck von 320 Bar zupacken kann, durchtrennt auch harten Beton scheinbar mühelos.
Das mächtige Gerät wird mit kleinen Joysticks gesteuert
Um so hoch sicher arbeiten zu können, ist Fingerspitzengefühl im Sinne des Wortes gefragt. Oertels rechte und linke Hand liegen auf kleinen Joysticks, über die er den mächtigen Ausleger und das zupackende Arbeitsgerät nahezu filigran bewegt. „Mit dem rechten Joystick wird zum Beispiel die Zange gesteuert, so dass sie sich hebt oder senkt und über die kleine Wippe auf dem Stick oben schließt oder öffnet sie sich“, erklärt der Experte. Sein gesamtes Führerhaus hat er etwas in die Waagerechte abgekippt, um bequemer in die Höhe blicken zu können. Eine Kamera könnte oben auch laufen, er komme aber besser ohne zurecht. Mit seinen Füßen kann Oertelt über Pedale die Raupen des 150 Tonnen schweren Baggers bewegen. Ein Spezialgerät, von dem es in Deutschland nur eine Handvoll gebe. Das mit dem Abriss beauftragte Unternehmen Linkamp hat daher Dienste und Gerät von Oertels Arbeitgeber (Kafril) angemietet.
Fährt Maschinist Oertelt die Longfront bis auf 50 Meter aus, so muss er den Bagger bis auf nur acht Meter ans Gebäude heranrücken, um in der Balance zu bleiben. Dann gelte es besonders umsichtig zu arbeiten, damit die Abbruchstücke kontrolliert senkrecht zu Boden stürzen, nicht über Gebäudekanten wie über eine Rampe waagerecht wegkatapultiert werden, und so ihn und seine Kollegen, die mit Schläuchen Wasserfächer gegen den Staub setzen, gefährden könnten. Sie schützt auch nur ein Bauhelm, derweil Oertelt von drei Zentimeter dickem Panzerglas und einem Stahlgitter über der Führerkanzel abgesichert wird. Nötige Vorkehrungen, wenn man sieht, wie beim beherzteren Zupacken und mit mehr Abstand vom Gebäude ein bis zwei Tonnen schwere Bruchstücke aus der Höhe zu Boden donnern.
Sensoren in umliegenden Gebäuden messen die Erderschütterung
Ein imposantes Schauspiel, das täglich große und kleine Zuschauer an den Absperrzaun der Baustelle in Rentfort-Nord lockt, um Fotos zu machen, oder nur staunend zuzusehen. Der Baggerführer sei aber auch gehalten, „die Erschütterungen durch die am Boden einschlagenden Bruchstücke in Grenzen zu halten“, erklärt Moritz Wienken vom Ingenieurbüro Dr. Stefan Henning, das das Abrissvorhaben für den Investor Implementum I ausgeschrieben hat. „Denn wir wollen natürlich nicht, dass umliegenden Gebäude dadurch Schaden nehmen“, so der Ingenieur. Vorteil des relativ offenen Areals wäre, dass dies nicht so viele seien, darunter der Kindergarten, der verbleibende Gebäuderiegel F mitsamt Arztpraxen, die Kirche oder Bereiche der Gesamtschule. „In den Kellern haben wir Erschütterungssensoren angebracht, um die Bodenbewegung zu erfassen“, so Wienken. Ein Gutachter habe vor Abrissbeginn zudem den Zustand der Gebäude geprüft und dokumentiert, als Grundlage bei eventuellen Regressansprüchen.
Der Investor Implementum I sei hochzufrieden mit dem Verlauf der Arbeiten. Moritz Wienken: „Wir liegen sehr gut im Zeitplan, wenn alles weiter so läuft wie bisher, ist vom Hochhaus in spätestens drei Wochen nichts mehr zu sehen.“ Auf der bald zur Verfügung stehenden Fläche ist ein Geschäftszentrum geplant. Mietverträge sind für einen Rewe-Supermarkt und vom Drogeristen Rossmann bereis unterschrieben.