Gladbeck. Die umstrittenen Pläne zum Bau eines Wohnheim für muslimische Jungen in Gladbeck wurden öffentlich diskutiert. Das sind die Standpunkte.
Viel Kritik, Sorgen und Ängste sind deutlich geworden, nachdem die Stadt schon Anfang 2020 Pläne zum Bau eines Wohnheimes für Jungen muslimischen Glaubens in Gladbeck-Brauck öffentlich gemacht hatte. Jetzt kam es endlich zu der auch von lokalen Politikern geforderten Bürgerversammlung zum Thema. Der Bauherr, der Gladbecker Moscheeverein Interkulturelles Bildungszentrum Gladbeck e. V. (IBG) stellte das Projekt mit Vertretern der Stadt vor und versuchte die Bedenken im Publikum zu zerstreuen.
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Mit 80 Teilnehmenden recht gut besucht war die Bürgerversammlung am Samstag in der Aula der Erich-Kästner-Realschule, die coronabedingt erst mit eineinhalb Jahren Verspätung stattfinden konnte. „Wir danken dem IBG, dass die Planungen so lange auf Eis gelegt wurden“, sagte Sozialdezernent und erster Beigeordneter Rainer Weichelt bei der Begrüßung. Man wolle das Vorhaben transparent für die Bevölkerung umsetzen. Ahmet Cetin aus dem Vorstand des IBG stellte zunächst das Projekt vor und erinnerte, „unsere Gemeinde ist seit 1976 Bestandteil der Gladbecker Stadtgesellschaft“. Bereits seit zehn Jahren betreibt das IBG eine vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe anerkannte Nachmittagsbetreuung mit Nachhilfe- und Religionsunterricht an der Breukerstraße 79, mit Übernachtungsmöglichkeit an Wochenenden und in den Ferien. Mit wachsender Nachfrage. Daher das Projekt, ein Wohnheim auf städtischem Pachtgrund an der Roßheidestraße, zwischen Sportpark Mottbruch und Roßheideschule, zu errichten. Für 28 Jungen im Alter von 12 bis 18, um den Schülern die besten Lernumstände zu ermöglichen, so Cetin. Mädchen in diesem Alter würden dann am alten Standort unterrichtet.
Monoedukative Erziehung bedeutet eine Trennung der Geschlechter
„Wir bekennen uns zur monoedukativen Erziehung im Alter der Pubertät, es gibt viele pädagogische Ansätze, die dem zustimmen, nicht nur bei Muslimen“, sagte Betül Coker. Die CDU-Fraktion kritisiert das als „integrationsfeindliche Pädagogik von Vorgestern“. Die 26-jährige Lehramtsanwärterin, gebürtige Gelsenkirchenerin, berichtete, einst selbst von den Fortbildungsangeboten profitiert, Abitur und Universität gemeistert zu haben. „Für die Altersgruppen bis 12 gibt es bei uns koedukative Angebote“. Außerdem erklärte Cetin, dass auch die Jungen im Wohnheim in die Regelschule gehen werden, in die Gladbecker Sportvereine, am Wochenende in die Familien. Gemeinsam mit Erol Pürlu, Dialogbeauftragter des Dachverbandes der islamischen Bildungszentren VIKZ aus Köln, bekräftigte Cetin, „Wir bekennen uns zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“. Dem Verband der Islamischen Kulturzentren sind rund 300 Gemeinden angeschlossen, es gibt bereits 22 Wohnheime der Art, wie es in Gladbeck geplant ist. In Gelsenkirchen scheiteret im Sommer das Vorhaben des VIKZ, auf dem alten Küppersbusch-Gelände ein Wohnheim zu errichten.
„Wir prüfen bei jeder privaten Trägerschaft eingehend, ob das Kindeswohl gewährleistet ist, bevor wir eine Betriebserlaubnis geben“, informierte Matthias Lehmkuhl vom LWL-Landesjugendamt Westfalen. „Schutzkonzept, Personal,- und Betreuungsschlüssel, Zuverlässigkeit, Einbeziehung der Sorgeberechtigten, Dialogbereitschaft“. Auch seien in Zukunft die 1991 abgeschafften „Spontanbesuche“ bei Einrichtungen nach neuer Gesetzeslage wieder möglich. Nach Prüfung der bisherigen Antragsunterlagen, insbesondere des pädagogischen Konzeptes und der Baupläne, sieht das Landesjugendamt (LWL) bislang keine Probleme, die Erlaubnis für den Betrieb der Bildungseinrichtung mit Jungenwohnheim. zu erteilen.
Die für die Bürger angesetzte Diskussionszeit reichte nicht aus
Nach der ausführlichen Vorstellung des Projektes gab es die Möglichkeit Fragen an das Podium zu stellen. Die angesetzten zwei Stunden reichten nicht aus, da sich zunächst Ratsmitglieder der verschiedenen Parteien zu Wort meldeten, das Vorgehen der Verwaltung kritisierten. „Wahlpolitik auf Kosten der Informationen bezüglich der Einrichtung“, nannte es ein Bürger gegen Ende der Veranstaltung. Besucher Falko König aus Witten, der wirr gegen radikal-islamische Standpunkte schimpfte, wurde das Wort entzogen. Einige Gäste verließen die Aula vorzeitig. „Ob es auch deutschstämmige Betreuer geben werde“, fragte Peter Rademacher von der CDU. „Wir sind Deutsche“, erinnerte Coker, die zuvor von anderer Seite wegen des Tragens eines Kopftuches angegangen wurde. „Das Ausüben meiner Religionsfreiheit erlaubt mir übrigens das Grundgesetz“, erinnerte sie charmant.
Jörg Baumeister (CDU) erkundigte sich nach dem „pädagogischen Mehrwert“ der Übernachtungsbetreuung. „Es gibt viele Familien mit beengten Wohnverhältnissen, in denen die Kinder nicht die optimalen Bedingungen zum Lernen hätten“, sagte Cetin. 134 Familien werden in Gladbeck betreut. Optimale Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Erfolg ihrer Kinder zu schaffen, sozialen Aufstieg ermöglichen, sei das Anliegen des IBG. Die letzte Wortmeldung, die berücksichtigt werden konnte, war der 22-jährige Hamza. Gladbecker Abiturient und Medizinstudent im vierten Semester, der im IBG einst „den Luxus der Betreuung“ genießen konnte. Den Religionsunterricht sprach er auch an. „Im Internet gibt es soviel Bullshit zum Islam, da ist es schwer was Vernünftiges zu finden, daher sind solche Einrichtungen wichtig“.
Unterricht und Predigt sollen in deutscher Sprache stattfinden
Thema auch im Integrationsrat der Stadt
Am 31. August wird das geplante IBG-Wohnheimes für muslimische Jungen Thema einer gemeinsamen öffentlichen Sitzung des Jugendhilfeausschusses und des Integrationsrates in der Mathias-Jakobs-Stadthalle. Interessierte Bürger können als Zuhörer an der Sitzung teilnehmen
Die Gladbecker CDU-Fraktion lehnt den Erbpachtvertrag mit dem sunnitischen Verein Interkulturelles Bildungszentrum Gladbeck e.V. (IBG) strikt als „integrationsfeindlich“ ab. Für den Hauptausschuss und den Rat wurde bereits beantragt, kein städtisches Grundstück zur Verfügung zu stellen. Die SPD äußert sich moderater, sieht aber noch offene Fragen.
Der IBG informierte weiter, dass in der geplanten Einrichtung Unterricht und Predigt in deutscher Sprache stattfinden. Die Gemeindemitglieder stammten aus verschiedenen arabischen Ländern und der Türkei, die deutsche Sprache sei der gemeinsame Nenner. Die vor Ort aktiven Imame hätten auf deutschen Universitäten Islamwissenschaft und Theologie studiert. „Wir sind immer offen für den Dialog, bitte besuchen Sie uns, am 3. Oktober zum Tag der Offenen Moschee, zu unseren Festen oder auch anderweitig“, so Einladung zum weiteren Kennenlernen von Ahmet Cetin.
„Diese Einladungen seitens der muslimischen Gemeinden hier in Gladbeck bestehen seit Jahren, aber werden viel zu wenig genutzt. Es wäre Zeit das zu ändern, um Ängste und Unsicherheiten auszuräumen“, forderte Weichelt die Bürgerschaft auf. Wie christliche Einrichtungen hätten auch muslimische das Recht, konfessionelle Angebote für ihre Kinder zu eröffnen, wenn von behördlicher Seite alle Auflagen erfüllt sind. „Wir sind auf private Träger in der Jugendhilfe angewiesen, die Schulen allein schaffen den Bildungsauftrag nicht“, so Lehmkuhl.