Gladbeck. Auf den Romanen von Volker Kutscher basiert die TV-Serie „Babylon Berlin“. Für eine Lesung in Gladbeck hatte er sein aktuelles Buch im Gepäck.

Antje Deistler und Ronja Kokott vom Literaturbüro Ruhr waren sichtlich erleichtert. Ein Jahr lang mussten sie warten, damit ihr Traum von einem Tag mit 42 Veranstaltungen, 29 Autoren und Autorinnen an 26 Orten im Ruhrgebiet in Erfüllung ging – die „Literatour 100“. Für Gladbeck konnten die Organisatorinnen einen Mann gewinnen, auf dessen Kriminalromanen die TV-Erfolgsserie „Babylon Berlin“ beruht. Autor Volker Kutscher brachte sein aktuelles Werk „Olympia“ mit.

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Frische Brise, aber kein Regen, ab und an ein paar Sonnenstrahlen. Der Wettergott meinte es gut mit der „Literatour 100“. Etwa 50 Gäste im kleinen Amphitheater hinter der Mathias-Jakobs-Stadthalle waren gespannt auf den Kölner, der die inhaltliche Vorlage für die Fernseh-Produktion „Babylon Berlin“ geliefert hat. Im Theaterpark der Gladbecker Stadtbibliothek las eben jener Volker Kutscher eindrucksvoll aus seinem jüngsten Roman.

Wegen der Verschiebung des Literaturtages konnte das druckfrische Buch ins Programm aufgenommen werden

„Olympia“ ist der achte Fall des Kommissars Gereon Rath und spielt im Jahr 1936, als die deutsche Hauptstadt Austragungsort der olympischen Spiele war. Die „Literatour 100“ sollte eigentlich bereits im Jahr 2020 über die Bühne gehen, aber die Verschiebung des Literaturtages hatte es möglich gemacht, dass Kutschers erst im November 2020 erschienene Buch jetzt mit auf dem Programm stand. Sympathische Koinzidenz am Rande: Die Spiele in Tokyo liefen am Samstag noch.

Antje Deistler, Leiterin des Literaturbüros Ruhr mit Sitz in Gladbeck, hat die „Litera-Tour 100“ mitorganisiert.
Antje Deistler, Leiterin des Literaturbüros Ruhr mit Sitz in Gladbeck, hat die „Litera-Tour 100“ mitorganisiert. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

„Wer kennt die Romanfiguren?“, fragte Deistler in die Runde. Immerhin reckten sich etwa zehn Finger in die Höhe. „Jedes Buch ist ein abgeschlossener Fall, das man eigenständig lesen kann. Aber wenn Ihnen eins gefällt, dann sollten sie danach beim ersten anfangen“, riet Kutscher dem aufmerksamen Publikum. Die im Jahr 1929 beginnenden Geschichten bieten nämlich nicht nur packende Unterhaltung, sondern beschreiben anhand der fiktiven Protagonisten die gesellschaftlichen und psychologischen Veränderungen in Deutschland. Der Schriftsteller betonte: „Mir ist es wichtig zu zeigen, wie das Land in die Diktatur abrutschte.“

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Im Jahr 1936 war dies schon fast vollzogen, Kutscher las Passagen eines Verhörs durch SS-Offiziere. Kommissar Rath erinnert sich, wie in der Weimarer Republik die „Befragung 3. Grades“, sprich Folter, verpönt war, dann aber doch im Ermittlungsalltag ankam. Kutscher ließ die versteinernde Erkenntnis der Machtlosigkeit dieses Momentes ebenso schaudernd spüren wie den Schmerz und die Brutalität. Genau so intensiv zeigt der Kölner die Desorientierung des heranwachsenden Adoptivsohns auf, der seine kindliche Liebe zu Adolf Hitler nicht mit seiner ehrlichen Bewunderung des schwarzen 100-Meter-Läufer Jesse Owens in Einklang bringen kann.

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Hilfe für Buchhandlungen

Aus dem aktuellen Anlass der Flutkatastrophe bat Antje Deistler das Publikum um Spenden für das Sozialwerk des Deutschen Buchhandels. Dieses unterstützt die vom Hochwasser betroffenen Buchhandlungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Informationen dazu unter sozialwerk@boev.de

Kutschers Orts- und Personenbeschreibungen sind eingängig, bildhaft, leicht verständlich und fließend. „Die Zeit der 1920er und 1930er Jahre hat mich schon seit dem Studium interessiert, daran ist Erich Kästner schuld.“ Detaillierte Recherche kennt der einstige Lokaljournalist noch aus Rubriken wie „Heute vor 50 Jahren“, zu denen er bei der Tageszeitung Notizen aus dem Archiv suchen musste. „Neben der Begehung von Schauplätzen, wie sie heute aussehen, sind die Tageszeitungen von damals tatsächlich ein wichtiger Bestandteil der Forschung im Vorfeld eines Romans“, erklärte Kutscher.

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Zwei weitere Fälle wird es noch geben, verrät der Schriftsteller. Kommissar Rath wird voraussichtlich im Jahr 1938 seinen letzten Fall lösen. Ob er den Mord im olympischen Dorf aufklären wird? „Wie es ausgeht, müssen Sie natürlich selbst lesen“, verkündete Kutscher schmunzelnd dem sichtlich beeindruckten Auditorium.

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