Berlin. Die teuerste deutsche TV-Produktion geht in die nächste Runde: “Babylon Berlin“ kehrt diesen Sonntag mit zwölf Folgen ins Erste zurück – und wie!

Nazi-Schläger verwüsten die Zeitungsredaktion und verprügeln den Chefredakteur, Gangsterbosse waschen ihr Geld im Filmgeschäft, in den Bars tanzt die Party-Meute ihre Sorgen weg, in den Hinterhöfen wird gehungert, und die Weimarer Republik taumelt ihrem Untergang entgegen: „Babylon Berlin“ ist mit zwölf Folgen zurück, das millionenschwere Megaprojekt der deutschen Fernsehunterhaltung, und um es gleich an dieser Stelle zu sagen: Ja, es lüftet erneut mit Wucht und Raffinesse im Mief eines routiniert dahindümpelnden TV-Programms kurz und kräftig durch.

 Tänzerinnen proben am Set des Films
Tänzerinnen proben am Set des Films "Dämonen der Leidenschaft" in den Babelsberger Filmstudios – bis die Hauptdarstellerin ermordet wird. © Frédéric Batier/X Filme Creative | ARD

Es regnet Aktienpapiere vom Börsenhimmel

Der hollywooderprobte Filmemacher Tom Tykwer und seine Mitstreiter Achim von Boerries und Henk Handloegten, die Volker Kutschers Bestseller-Reihe ins Bild setzen, steigen mit einem finsteren Blick in die Vorhölle ein. Tausende Aktienpapiere regnen von der Galerie auf den Saalboden, Männer stolpern mit schreckgeweiteten Augen breite Treppen herauf und kippen um, von der Decke baumelt die Leiche eines Erhängten, und draußen trommeln die Kleinaktionäre an die Pforte: der Börsenzusammenbruch als infernalischer Albtraum und Vorgeschmack auf den Abgrund, der sich dahinter öffnen wird.

Als Team wieder vereint: Gereon Rath (Volker Bruch) und Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries).
Als Team wieder vereint: Gereon Rath (Volker Bruch) und Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries). © dpa | Frederic Batier

Das braune Unheil ist auf den Straßen zu wittern

Der politische Kontext der wilden Spätzwanziger bleibt auch dieser Staffel jederzeit erhalten. Bürgerlich-Konservative und Militaristen schmieden mit Antidemokraten Pläne für den Umsturz, das braune Unheil ist auf den Berliner Straßen schon zu wittern, und der Finanzkapitalismus saugt die Republik aus. Natürlich, wer will, darf Parallelen zur Gegenwart ziehen, aufdringlich serviert werden sie indes nicht.

Anders als in den ersten beiden Staffeln konzentriert sich Tykwer diesmal stärker auf den Krimi an sich.

Der Industrielle Nüssen (Lars Eidinger) hat finstere Absichten.
Der Industrielle Nüssen (Lars Eidinger) hat finstere Absichten. © Frédéric Batier/X Filme Creative | ARD/ X Filme

Auch sein trauriger Held, der kriegstraumatisierte Kommissar Gedeon Rath (Volker Bruch) ist nicht mehr auf seine Medikamente fixiert, sondern eher auf die Ermittlungen. Seine Ehe allerdings geht gerade in die Brüche. Zur Seite steht ihm wieder die aufgekratzte Kriminalassistentin Charlotte, die Liv Lisa Fries als wunderbar trotzige Überlebenskünstlerin anlegt.

Filmschauspielerin wird ermordet

Eine Schauspielerin wird mitten in den Dreharbeiten zu einem expressionistisch überfrachteten Spielfilm ermordet, was nicht nur für den Produzenten ein Drama ist, sondern auch für die Unterweltbosse, die eine Million Reichsmark investiert haben. Ein Mörder im schwarzen Phantomkostüm verschwindet in der Berliner Nacht.

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Die Überwältigungskraft mag nicht mehr ganz so groß sein wie in den ersten beiden Staffeln, immerhin war das pralle Sittengemälde inmitten einer Bilderästhetik der Stummfilm-Angstmacher bis dahin einzigartig. Doch auch hier gelingt es, Tod und Verderben, Lust und Liebe in kinoreifen Bildern und einer in jedem Detail stimmigen Ausstattung zu bündeln. Die melancholische Musik von Johnny Klimek legt sich wie ein Schleier darüber und verstärkt die Sogkraft.

Die Gangsterabteilung in
Die Gangsterabteilung in "Babylon Berlin": Mišel Matičević (links) und Ronald Zehrfeld © Frédéric Batier/X Filme Creative | ARD/ X Filme

Ein großartiges Ensemble verdient sich Bestnoten

Und natürlich lebt „Babylon Berlin“ – trotz des handlungsbedingten Verlusts zweier Schwergewichte wie Peter Kurth und Matthias Brandt von einem erlesenen Ensemble, das sich durchweg Bestnoten verdient:

Regisseur Tom Tykwer setzt Volker Kutschers Romane in Szene
Regisseur Tom Tykwer setzt Volker Kutschers Romane in Szene © dpa | Caroline Seidel

Lars Eidinger als geschmeidiger Industrieller am Rande des Größenwahns, Benno Fürmann als eiskalter Strippenzieher im Regierungsapparat, Mišel Matičević als Gangsterboss, Martin Wuttke als unbiegsamer Zeitungsmacher, Thomas Thieme, Fritzi Haberland, Meret Becker, Ronald Zehrfeld, Hannah Herzsprung und und und.

Eine gut geölte Erzählmaschine

Ohne Effekthascherei schnurrt die gut geölte Erzählmaschine, und immer wenn Tykwer tief ins Milieu eintaucht, wird die Kraft deutlich, die dieser politisch aufgeladene Thriller aus seiner Authentizität zieht. Kein Volkshochschulton, wie man ihn aus historisch angelegten Fernseh-Mehrteilern kennt und fürchtet, sondern pralles, aufregendes Kino.

Und das im Fernsehen.

INFO: Kann man die dritte Staffel ohne Vorkenntnisse gucken?

Ja, das funktioniert im Prinzip schon. Allerdings werden in horizontal erzählten Serien auch in folgenden Staffeln nicht nur Figuren, sondern auch Handlungsstränge übernommen. So muss man wissen, dass Greta Overbeck (Leonie Benesch), Charlottes Freundin, im Gefängnis sitzt, weil sie eine Bombe in der Wohnung von Regierungsrat August Benda (Matthias Brandt) platziert hatte. Die Nazis hatten sie hereingelegt und ihr vorgegaukelt, Benda sei am Tod ihres Geliebten schuld – der aber lebt. Gereon Rath versucht auch das aufzuklären.


ARD, ab Sonntag, 20.15 Uhr, drei Folgen.