„Babylon Berlin“ zeigt die Stadt, die niemals schläft
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Lesezeit: 4 Minuten
Berlin. „Babylon Berlin“ ist die bis dato teuerste deutsche Serie – und das sieht man ihr auch an. Warum es sich lohnt, Sonntag einzuschalten.
Am Alexanderplatz knüppeln Polizisten die Mai-Demo nieder, im Tanzsaal des Varieté-Clubs Moka Efti zappelt die aufgepeitschte Party-Meute zwischen Champagnerglastürmen und sexuellen Exzessen im Kellerbordell dem Untergang der Weimarer Republik entgegen:
lüftet vor allem mit Wucht und Raffinesse den Mief eines routiniert dahindümpelnden TV-Programms kurz und kräftig durch.
Der mittlerweile hollywooderprobte Tom Tykwer sowie Achim von Boerries und Henk Handloegten haben gemeinsam ein pralles Sittengemälde im Gewand eines politisch aufgepumpten Krimis entworfen. Volker Kutschers Buch „Der nasse Fisch“ aus seiner Bestseller-Reihe, die zwischen den Weltkriegen spielt, diente als Vorlage.
So sieht die Serie „Babylon Berlin“ aus
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Hauptfigur Gedeon Rath gerät selbst in Verdacht
Im Hintergrund nimmt die braune Katastrophe bereits Konturen an, aber in diesem Frühling des Jahres 1929 ist die Stadt, die niemals schläft, auf allen Ebenen mit sich selbst beschäftigt. Der aus Köln hierhin versetzte Polizist Gedeon Rath (
) soll bei der Sitte gegen den Zerfall der öffentlichen Ordnung ankämpfen, sucht aber vor allem ein Schmuddelfilmchen, mit dem sein Oberbürgermeister daheim erpresst wird.
Rath ist selbst Kriegsopfer, betäubt seine Zitteranfälle mit schwerer Arznei. Dem spröden Ermittler zur Seite steht die bettelarme, aber stets aufgekratzte Überlebenskünstlerin Charlotte (Liv Lisa Fries), die sich als Aushilfe bei der Polizei über Wasser hält und nachts im Moka Efti anschaffen geht. Es dauert ein paar Teile, bis man beiden bereitwillig in die grellen Berliner Nächte folgt und mit ihnen fühlt.
Die (un-)heimliche Hauptfigur ist Raths älterer Kollege Wolter. Ein Koloss, der Verdächtige vermöbelt, Rath ausspioniert und den Antidemokraten der Schwarzen Reichswehr als Handlanger für einen Umsturz dienen soll. Peter Kurth veredelt ihn preiswürdig zum Raubein, bei dem kumpelhafter Charme und wölfische Absichten eine unberechenbare Beziehung eingehen. Das macht den Charakter zum spannendsten: Solche Typen finden sich in jedem Baukasten für jene hochwertigen Serien, die bislang nur im Ausland produziert wurden.
Auftritte von Lars Eidinger und Matthias Brandt werten Serie auf
Dass Bruch und die wunderbar frische Liv Lisa Fries von der deutschen Schauspielelite in fein gezeichneten Rollen flankiert werden – neben Kurth auch Matthias Brandt, Lars Eidinger, Thomas Thieme oder Günter Lamprecht –, wertet „Babylon Berlin“ auf. Doch das reichte nicht aus, gelänge es den Machern nicht, Liebe, Verrat, Party und Untergang in einer ebenso packenden wie kinoreif fotografierten Aufbereitung zu bündeln. Mit finsteren Bildern nimmt die Serie Anleihen bei der Ästhetik der uralten Angstmacher, den expressionistischen Stummfilmen. In Babelsberg wurde das alte Berlin mit prächtigen Straßen und heruntergekommenen Hinterhöfen erschaffen. Es riecht nie nach billiger Kulisse.
Die melancholische Musik von Johnny Klimek legt sich in kongenialer Harmonie zum Bild wie ein Schleier über das Geschehen und verstärkt die Sogkraft. Erzählt wird direkt, provokant, nichts erinnert hier an den Volkshochschulton, den deutsche Historien-Mehrteiler so gerne verbreiten, öde Klischees werden weitgehend umschifft.
Die Handlung freilich ist weit verzweigt, das haben Serien dieses Kalibers gemein. Man muss sich gedulden, ehe alle Fragen beantwortet sind – auch was dieser russische Zug voll Gift und Gold bedeutet, der gen Berlin rollt. Aber es lohnt sich. Bleibt nur noch die Frage: Können die Deutschen hochwertige Serien machen? Können sie. Und wie.
„Babylon Berlin“, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste (drei Folgen, dann jeden Donnerstag)
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