Gladbeck. Tim Fähnrich (21) ist schwerstbehindert. Er gilt als gefährdet, eine Coronainfektion nicht zu überleben. So isoliert leben seine Mutter und er.
Tim Fähnrich ist ein aufgeweckter junger Mann, er geht gerne zur Schule, liebt es, wenn viele Menschen um ihn herum sind. Doch seit rund einem Jahr lebt der 21-Jährige mit seiner Mutter isoliert. Denn: Tim ist schwerstbehindert. Drei Tage nach seiner Geburt musste er aufgrund von Sauerstoffmangel reanimiert werden, seitdem hat er einen Hirnschaden. Seine Mutter ist in großer Sorge: Manuela Fähnrich wagt sich in Zeiten der Corona-Pandemie nur noch zum Spaziergang mit ihrem Sohn nach draußen.
Als Schwerstbehinderter gilt der 21-Jährige als extrem gefährdet, sollte er sich mit dem Virus infizieren. Ärzte rieten Fähnrich, selbst nicht mehr einkaufen zu gehen. „Ich habe mich an alles gehalten. Denn das Wichtigste für mich ist, dass mein Kind überlebt.“ Ein Bekannter geht seitdem für die Familie einkaufen, stellt die Lebensmittel vor die Tür.
Menschen mit erhöhtem Gesundheitsrisiko bevorzugt geimpft
Ab sofort sollen Menschen in NRW mit erhöhtem Gesundheitsrisiko bevorzugt gegen Corona geimpft werden. Dazu ist ein ärztliches Attest vom Hausarzt nötig.
Manuela Fähnrich sieht den Erlass als große Erleichterung für all diejenigen, die in einer Situation wie sie sind. Ursprünglich waren Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten in der Prioritätsgruppe 2 vorgesehen.
Alle Therapien abgesagt, seit gut einem Jahr geht der junge Mann nicht mehr zur Schule
Alle sieben Therapien, die ihr Sohn normalerweise bekommt, hat die 52-Jährige abgesagt. „Ich versuche es so gut es geht zu kompensieren, aber ich bin eben keine Physiotherapeutin.“ Seit fast einem Jahr geht der junge Mann auch nicht mehr zur Schule. Der Schulbesuch sei für ihren Sohn zu gefährlich. Wenn einer seiner Klassenkameraden nur einen Schnupfen habe, könne Tim gleich eine Lungenentzündung bekommen. „Ihm fehlt die Schule sehr. Mein Sohn will was sehen, seit einem Jahr aber sieht er quasi nur mich“, bedauert die Mutter. Zu der Sorge vor einer Ansteckung kommt nun noch die Sorge hinzu, dass ihr Sohn aufgeben könnte.
„Ich merke, wenn wir spazieren gehen geht es ihm besser.“ Früh morgens gehen die beiden meistens raus, an belebte Orte wagen sie sich nicht. Denn die Brauckerin erlebt immer wieder, dass Menschen auf der Straße nicht ausreichend Abstand halten. „Ich bekomme Schweißausbrüche, wenn wir anderen Menschen begegnen.“ Auch seinen Vater hat Tim nun schon lange nicht mehr gesehen. Vor Corona war er regelmäßig alle zwei Wochen bei ihm.
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Ein Lichtblick ist die Impfung gegen das Coronavirus
Ständig hat die Gladbeckerin Angst, dass etwas passiert, und sie doch den Notarzt rufen oder mit ihrem Sohn ins Krankenhaus muss, wo viele Menschen sind. Auch Manuela Fähnrich selbst steckt zurück. „Ich habe wahnsinnige Rückenschmerzen, weil ich meinen Sohn zwischendurch ja auch tragen und heben muss. Aber ich verzichte auf die Physiotherapie, um meinen Sohn zu schützen.“ Auch einen Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt sagte sie ab, denn dort hätte sie ihre Maske abnehmen müssen. „Und dann hätte ich wieder 14 Tage Angst gehabt, dass ich mich infiziert haben könnte.“ Soziale Kontakte habe sie nicht, der einzige Vorteil derzeit sei das Haus mit Garten, in dem sie leben.
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Ein Lichtblick: Nun sollen auch Menschen mit einem besonders hohen Gesundheitsrisiko in der Impfreihenfolge nach vorne rücken. „Es hilft uns sehr, wenn unsere Kinder geimpft werden. Die, die sowieso nicht viel vom Leben haben“, so Fähnrich, die auch in Kontakt mit anderen Eltern von schwerstkranken Kindern steht.
Trotz der Einschränkungen, bis zur Impfung bleibt sie bei ihrer Linie: „Ich weiß ja, wofür ich es mache. Ich möchte, dass mein Sohn noch ein paar gute Jahre hat.“