Gladbeck/ Gelsenkirchen. Umut starb als Zweijähriger nach einem langen Leidensweg. Seine Eltern und Schwestern mussten lernen, ohne ihn zu leben. So geht es ihnen heute.

Auch wenn Umut in diesem Monat schon zwei Jahre nicht mehr bei ihr ist, Rifki Korkut ist sich sicher, sein Sohn hat der Familie viel Zusammenhalt gegeben. „Er hat uns gezeigt, wie wertvoll die Zeit mit Menschen ist, die man liebt“, sagt der 42-Jährige. Denn wie schnell diese Zeit vorbei sein kann, das mussten er und seine Familie schmerzlich erfahren. Denn der kleine Umut starb – nach einem langen Leidensweg.

Familie Korkut möchte über ihre Erlebnisse und Erfahrungen sprechen, den Verlust nicht totschweigen. „Viele denken immer, sie sollten das Thema bei Betroffenen nicht ansprechen, um keine Wunden aufzureißen. Aber manchmal möchte man darüber reden“, so Korkut, der mit seiner Frau Fatma noch zwei Töchter hat. Die Familie lebt in Gelsenkirchen, Unterstützung bekam sie vom Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Emscher-Lippe mit Sitz in Gladbeck. Und das bis heute.

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Ein Schwangerschaftsabbruch kam für die Eltern nicht in Frage

Im sechsten Monat der Schwangerschaft mit Umut hieß es plötzlich bei einer Routineuntersuchung, das Baby im Bauch sei nicht gesund. „Uns wurde der Schwangerschaftsabbruch angeboten, es hieß, dass unser Sohn wohl schon die Geburt nicht überleben könnte.“ Doch das Paar entschied sich dagegen. „Und dann kam es auch anders, Umut überraschte uns alle“, berichtet sein Vater. Denn die Geburt überlebte das Baby – trotz der angeborenen Hirnfehlbildung.

Zuhause bekam die Familie Unterstützung von einem Pflegedienst, acht Stunden pro Tag begleitete eine Kraft die Korkuts. „Das war eine große Entlastung für meine Frau“, sagt der 42-Jährige. Denn auch nachts musste sie sich oft um den Sohn kümmern. „Auch die Ehe leidet. Man braucht viel Verständnis füreinander.“ „Wir haben selten eine Familie gesehen, die so geliebt hat“, sagt auch Kira Benz, Koordinatorin im Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst. „Umut war so geliebt von seiner Familie.“

Auch das Familienleben litt unter den Belastungen

Das Leben mit einem schwerkranken Kind bedeutet aber auch Einschränkungen. „Unsere Töchter waren viel bei Oma und Opa, es war auch eine schwere Zeit, wir konnten als Familie kaum etwas unternehmen.“ Denn Umut allein zu lassen, kam für Familie Korkut nicht in Frage. Im Gegenteil: Etwa während Umut in der Kinderpalliativ-Station in Datteln lag und die Familie zeitweise dort ebenfalls in einem Appartement lebte, ließ Fatma Korkut ihren Sohn nie allein, blieb immer bei dem Kleinkind im Zimmer. „Da war meine Frau die einzige, bei anderen Familien war das nicht so“, erinnert sich der Familienvater.

Aktion zum Tag der Kinderhospizarbeit

Deutschlandweit wird am 10. Februar der Tag der Kinderhospizarbeit begangen. Der Gedenktag soll auf die Situation von Kindern aufmerksam machen, die an lebensverkürzenden Erkrankungen leiden. Am Aktionstag sollen unter dem Motto „Lasst uns Deutschland grün erleuchten“ möglichst viele Gebäude, Geschäfte oder auch Fenster grün beleuchtet werden. Die Stadtverwaltung beteiligt sich, indem Fenster der Stadthalle und das Eingangsportal des Alten Rathauses sowie alle Fenster im Erdgeschoss grün leuchten. An der Aktion „Ein grünes Band, das verbindet!“ will sich auch etwa der Kotten Nie beteiligen, der Eingangsbereich des Kottens wird mit grünen Bändern – dem Symbol der Kinderhospizarbeit – versehen. Das Band der Verbundenheit wird auch an einigen städtischen Dienstwagen, an Feuerwehrfahrzeugen und an den Müllwagen des ZBG befestigt.

Sein Tod kurz vor seinem dritten Geburtstag kam für die Familie plötzlich. Während eines Aufenthalts in der Kinderklinik verschlechterte sich sein Zustand, der Zweijährige bekam Fieber – wie immer wieder auch davor mal. Nach ein paar Tagen stellten die Ärzte eine Blutvergiftung fest. „Möglicherweise von einer nicht austherapierten Lungenentzündung verursacht“, so sein Vater. Drei Tage kämpfte der Junge – vergebens. „Im Unterbewusstsein haben wir immer gewusst, dass Umut eines Tages sterben wird. Als Eltern will man das aber nicht wahrhaben, verdrängt die Vorstellung. Wir fühlten uns gut, wenn es dem Kleinen gut ging.“

Familie Korkut nahm sich viel Zeit zum Abschiednehmen

Kira Benz, Koordinatorin beim Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Emscher-Lippe mit Sitz am Kirchplatz in Gladbeck, sagt über Familie Korkut: „Wir haben selten eine Familie gesehen, die so geliebt hat“.
Kira Benz, Koordinatorin beim Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Emscher-Lippe mit Sitz am Kirchplatz in Gladbeck, sagt über Familie Korkut: „Wir haben selten eine Familie gesehen, die so geliebt hat“. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Nach dem Tod Umuts hatte die Familie die Möglichkeit, den Jungen noch ein paar Tage in seinem Krankenbett liegen zu lassen. „Das war sehr hilfreich für uns und schöner, als wenn er plötzlich komplett weg gewesen wäre. So konnten wir uns neben ihn legen, in Ruhe Abschied nehmen.“ „Das ist sehr wichtig, um den Tod zu begreifen“, sagt auch Kira Benz. Auch die Töchter Ceylin (9) und Tuana (13) konnten sich von ihrem Bruder verabschieden. „Sie haben kurz seine Hand gestreichelt, waren dann schnell wieder weg“, berichtet ihr Vater. „Es ist zwar ihr Bruder, aber der Tod ist etwas Erschreckendes“, weiß Benz. Einen Tag später kam die Große wieder, bat darum, allein Zeit mit ihrem toten Bruder verbringen zu dürfen. „15 Minuten war sie bei ihm, hat sich neben ihn gelegt und mit ihm gekuschelt. Das war sehr berührend“, erinnert Korkut sich mit Tränen in den Augen.

Die Eltern haben ihre Töchter immer mit einbezogen, offen über alles geredet. „Wir haben immer versucht, es kindgerecht zu erklären.“ Zwei Ehrenamtliche des Kinder- und Jugendhospizdienstes verbrachten ein bis zwei Mal in der Woche Zeit mit den Schwestern, es war ein Ausgleich für die beiden Kinder, gemeinsam konnten sie Ausflüge unternehmen. Bis heute engagieren sich die beiden Ehrenamtlichen in der Familie, nur coronabedingt aktuell nicht. „Die Begleitung hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass unsere Töchter ohne große Probleme die schwere Zeit überstanden haben.“

„Die Schmerzen kommen immer wieder hoch“

Das Leben nach dem Tod eines Kindes ist nicht mehr das, was es einmal war. „Man erlebt die Schmerzen immer wieder, sie kommen immer wieder hoch“, sagt der 42-Jährige. Den Alltag zu bewältigen fällt schwer. Auch wenn die Schmerzen mit der Zeit nicht mehr so intensiv sind wie am Anfang: „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke.“ Aber auch die Ehe wird vor Herausforderungen gestellt. „Mal leidet der eine mehr, mal der andere. Das kann manchmal zu Missverständnissen führen, wenn der eine gut drauf ist, der andere aber gerade sehr leidet.“ Dass der Verlust des Kindes eine große Belastung für Paare ist, weiß auch Kira Benz zu berichten.

Psychologische Unterstützung hat Familie Korkut sich nicht geholt. „Wir führen aber viele Gespräche, etwa mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben.“ Dass längst nicht jeder für die Trauernden da ist, musste die Familie aber auch erfahren. „Der Freundeskreis, den wir vorher hatten, der war weg.“ Aber auch das scheint normal. „Das kennen wir gar nicht anders von den Familien, die wir begleiten“, so Kira Benz. Viele könnten die Konfrontation mit der Sterblichkeit nicht mittragen. „Das ist wie ein Schutzreflex.“

Die Erlebnisse mit Umut haben einiges verändert im Leben der Familie Korkut. „Ich bin gelassen geworden, ärgere mich nicht mehr über ein Knöllchen, es gibt so viel Schlimmeres im Leben“, weiß Rifki Korkut nun aus eigener Erfahrung. Auch wenn er nicht mehr da ist, im Leben seiner Familie bleibt der Junge präsent: „Umut ist oben und schaut auf uns“, sagt die jüngste Tochter noch heute.