Gladbeck. DRK und Feuerwehr in Gladbeck stehen zunehmend vor dicken Problemen wegen übergewichtiger Patienten. Neue Technik soll Entlastung schaffen.

Der Anblick hat sich Stefan Walter ins Gedächtnis gebrannt. Der Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Gladbeck erinnert sich: „Eine 230 Kilo schwere Person mussten wir durchs Fenster transportieren, um sie ins Krankenhaus bringen zu können.“ Belastende Umstände für alle Beteiligten, und solch eine Lage ist längst kein Einzelfall für Einsatzkräfte. Helfer stehen mehr und mehr vor schwergewichtigen Problemen.

„Die Fettleibigkeit steigt, das ist auch dem veränderten Lebenswandel geschuldet“, stellt Walter fest. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind zwei Drittel der Männer (67 Prozent) in Deutschland übergewichtig, bei den Frauen sind es 53 Prozent. Als adipös, also vereinfacht gesagt „krankhaft fettleibig“, wird statistisch jeweils rund ein Viertel der Männer und Frauen geführt.

Gladbeck: Die Rettungsdienste sind für Schwergewichtige nicht gerüstet

Für diese Menschen sind die Rettungsdienste in der Regel nicht ausgerüstet. Der Fachmann erzählt: „Alle fünf Jahre wird der Bedarf errechnet und ein Plan aufgestellt.“ So sei im Jahr 2017 angemeldet worden, dass ein Rettungswagen für übergewichtige Menschen notwendig sei. Aber: „Der Antrag ist bis jetzt noch nicht entschieden.“ Immerhin geht’s bei dieser Anschaffung um keinen Kleckerbetrag: Mit 160.000 bis 200.000 Euro ist laut Stefan Walter zu rechnen.

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Er betont: „Wir als Rotes Kreuz sehen ein zunehmendes Problem.“ Nicht nur, dass die vorhandenen Tragen nicht stabil und breit genug für diese Klientel sind. Ausweichmöglichkeiten stehen kaum zur Verfügung. „Die Leitstelle muss uns ein geeignetes Fahrzeug vermitteln“, sagt Stefan Walter. Sei eine Beförderung in ein Krankenhaus oder zurück in die Wohnung des Patienten absehbar, werden die speziellen Anforderungen mitgeteilt. Da könne es einige Tage dauern, bis ein entsprechendes Gefährt verfügbar sei. Bisweilen rollt es beispielsweise aus Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund nach Gladbeck.

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Hydraulische Trage kann Gewichte bis 395 kg heben. Rettungsdienst, Probleme mit Übergewichtigen. am Freitag, 09. Oktober.2020 in Gladbeck.
 Foto: Christoph Wojtyczka / Funke Foto Services
Hydraulische Trage kann Gewichte bis 395 kg heben. Rettungsdienst, Probleme mit Übergewichtigen. am Freitag, 09. Oktober.2020 in Gladbeck.
 Foto: Christoph Wojtyczka / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

„Im akuten Fall kann es um Leben und Tod gehen, weil wir wertvolle Zeit verlieren“, so der Experte. Dem stimmt Georg Fragemann zu. Der Leiter des Sachgebietes Rettungsdienst bei der Feuerwehr Gladbeck weiß um die Problematik: „Es besteht ein erhöhter Bedarf an speziellen Schwerlast-Rettungswagen. Das kann auch zu Verzögerungen beim Hersteller führen.“

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Fragemann erläutert das derzeitige Prozedere: „Der Kreis Recklinghausen beschafft als Träger des Rettungsdienstes einen speziellen Schwerlast-Rettungswagen.“ Der Kreistag habe die Beschaffung der Sonderanfertigung – Kosten: etwa 350.000 Euro – im September 2018 beschlossen. Standort dieses Fahrzeugs: die Feuerwehr Recklinghausen. „Dort befindet sich im Knappschafts-Krankenhaus eine Station für adipöse Menschen“, erklärt der Brandamtsrat.

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In Notfällen leisten die Kollegen aus Herne, Essen und anderen Kommunen Amtshilfe, doch das bedeutet: Warten. Außerdem haben „die Feuerwehren in den betreffenden Städten ihre eigenen stark übergewichtigen Patienten“. Die Zahlen der Rettungseinsätze und Krankentransporte mit Patienten, die mehr als 200 Kilogramm auf die Waage bringen, steigen nicht nur im Kreis Recklinghausen (siehe Grafik). Dellen in der statistischen Kurve können auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein: „Das Wetter spielt eine Rolle. Manche Patienten sterben, kommen in Pflegeeinrichtungen oder in spezielle Therapien.“

Die Feuerwehr Gladbeck setzt hydraulische Technik in den Rettungswagen ein

Fragemann sagt: „Wir führen in Gladbeck keine eigene Statistik.“ Er überschlägt zehn bis 20 derartiger Fahrten im Monat. Hauptbrandmeister Jürgen Braukmüller ergänzt: „Das sind nicht immer Notfälle, sondern auch Stammkunden, die wir beispielsweise in Pflegeeinrichtungen bringen.“ Situationen, in denen es, wie von DRK-Mann Stefan Walter geschildert, eng wird, kennen auch die Feuerwehrmänner. Bei höchstens 150 Kilogramm klappt ein Tragestuhl, der aus Stabilitätsgründen sein Eigengewicht hat, zusammen. Fragemann: „Brauchen wir ein Tragetuch mit acht Griffen, müssen wir Verstärkung anfordern.“

Kreis Recklinghausen: Rettungseinsätze mit Übergewichtigen Patienten.
Kreis Recklinghausen: Rettungseinsätze mit Übergewichtigen Patienten. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Eine Drehleiter sei ausgelegt für maximal drei Personen à 85 Kilogramm. „Im Zweifelsfall muss ein Kran eingesetzt werden, um einen Patienten aus einer Wohnung zu holen“, so Fragemann. Erschwerend komme hinzu, dass Schwergewichtige nicht mitwirken können. Die Helfer müssen also bei solchen Einsätzen sämtliche Kräfte aufbringen – eine enorme körperliche Belastung.

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Die Ausrüstung ist ebenfalls gewichtig: EKG mit acht Kilogramm, Beatmungsgerät zwölf Kilogramm und so weiter. Der Rettungsdienstleiter: „Bei teilweise zweistelligen Einsatzzahlen pro Schicht über zwölf oder 24 Stunden kommen nahezu 50 Hebe- und Senkvorgänge der Trage auf den Rücken der Mitarbeiter.“

Fahrdienst der Malteser

Auch der Malteser Hilfsdienst Gladbeck bekommt die Probleme mit Schwergewichtigen zu spüren, bestätigt Sabine Prittwitz. Die Stadtgeschäftsführerin weiß von Situationen, die den ehrenamtlichen Kräften zu schaffen machen.

Da wäre beispielsweise der Fall, dass ältere Menschen gerne zum Café Malte, dem Mehrgenerationen- und Seniorentreff, gefahren werden möchten. Sabine Prittwitz: „Da haben manche Besucher schon ein gutes Gewicht. Und Zwei-Zentner-Menschen sind nicht beweglich.“ Also müssten die Malteser schon einige Kraft aufbringen, um die Gäste ins Auto zu bekommen. Denn: Ein Spezialfahrzeug steht dem Hilfsdienst nicht zur Verfügung.

Um die Einsätze zu erleichtern, setzt die Feuerwehr Gladbeck eine so genannte Schwerlastfahrtrage mit breiterer Patientenliegefläche – 74 Zentimeter bei 2,03 Metern Länge – im Rettungswagen ein. Per Hydraulik können Notfallsanitäter Oliver Guenster und Sanitäter André Simon sowie Kollegen die Liege bewegen. Das Übergrößenmodell „hebt Patienten und Zubehör mit einem Gewicht von bis zu 318 Kilo auf Knopfdruck an“, führt Fragemann aus. Diese Technik aus den USA erleichtern den Einsatzkräften die Arbeit. Doch das hat seinen Preis: Allein die Trage mit Schlitten kostet 40.000 Euro. Mit Ausstattung sind knapp 260.000 Euro fällig.