Gladbeck. Die Frauenberatungsstelle und der Kinderschutzbund in Gladbeck erwarten mehr Gewalt im Privaten. Grund: das Kontaktverbot wegen des Coronavirus’.
Menschen befinden sich in Corona-Zeiten räumlich eng beieinander – enger, als sie es sonst gewohnt sind und als ihnen vielleicht manchmal lieb ist: Eltern haben ihren Nachwuchs rund um die Uhr bei sich; Paare arbeiten im Homeoffice in einer Wohnung, begegnen sich auf Schritt und Tritt. Das Kontaktverbot, um die Verbreitung des Virus’ zu kontrollieren, krempelt den Alltag vieler vollkommen um. Nährboden für häusliche Gewalt, befürchten die Fachleute von Frauenberatungsstelle und Kinderschutzbund.
Gladbeck: Fachleute rechnen mit einem sprunghaften Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt
Erfahrungen aus anderen Ländern lassen Saskia Meyer und Miriam Schmikowski Böses ahnen. Die Expertinnen von der Frauenberatungsstelle rechnen mit einer Verdoppelung oder Verdreifachung von Gladbeckerinnen, die in der derzeitigen Ausnahmesituation Opfer häuslicher Gewalt werden und um Hilfe bitten. Meyer und Schmikowski verweisen auf eine Statistik in China während der Corona-Krise. Sie berichten: „Eine Frauenrechtsorganisation hat in Peking einen Anstieg von 47 Meldungen auf 142 in einem Monat registriert.“ Es sei daher auch in Deutschland mit einem sprunghaften Anstieg der Fallzahlen zu rechnen. Aktuell beobachte das vierköpfige Team noch nicht überdurchschnittlich viele Anrufe. Doch „nach der Lockerung des Kontaktverbotes“ sehen Susanne Dillner, Saskia Meyer, Sarah Sandi und Miriam Schmikowski verstärkt ihr Beratungs- und Hilfsangebot gefragt.
Auch interessant
Denn wenn erst einmal die Menschen wieder mehr vor die Tür gehen dürften, „haben Frauen die Chance, sich unbemerkt“ Unterstützung zu holen. Meyer sagt: „Würde ein Partner das mitbekommen, wäre wohl eine größere Eskalation denkbar.“ Sie und ihre Kolleginnen gehen davon aus, dass in der weitgehenden Isolation nicht nur mehr Menschen aggressiv und handgreiflich werden, sondern auch mehr zu Alkohol greifen, psychische Erkrankungen wie Depression zunehmen.https://interaktiv.waz.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit/#regio
„Wir beraten Frauen in allen Problemlagen“, betont Schmikowski. Derzeit bemerken die Expertinnen: „Frauen wenden sich häufiger an uns, weil sie Existenzängste haben – finanzielle und materielle Sorgen.“ Bürokratie und Technik stellten unüberwindbare Hindernisse dar.
Mit Blick auf all solche Herausforderungen bietet die Frauenberatungsstelle auch weiterhin ihre Hilfe an. In zweiköpfigen Teams haben sie sich die Arbeit vor Ort aufgeteilt, so dass sie bei einer eventuellen Corona-Infektion handlungsfähig bleiben. Schmikowski und Meyer: „Unser allergrößter Tipp: bei uns anrufen. Schon Reden kann zu Entlastung führen.“ Wer Opfer von Gewalt ist, sollte sich nicht scheuen, die Polizei anzurufen: „Auch in Zeiten von Corona muss keine Frau in einem gewalttätigen Umfeld leben.“
Kontakt und Informationen
Im Jahr 2019 erreichte das Team der Frauenberatungsstelle, Grabenstraße 13, durchschnittlich 17 Gladbeckerinnen pro Woche und insgesamt 495 Einzeltermine. Susanne Dillner, Saskia Meyer, Sarah Sandi und Miriam Schmikowski haben in dieser Zeit 245 Frauen betreut. Für Gruppen, Veranstaltungen und Workshops gingen 652 Kontakte in die Jahresstatistik ein.
Die Frauenberatungsstelle ist zu folgenden Zeiten unter der Rufnummer 02043/66699 (Fax 02043/929795) zu erreichen: montags, mittwochs und freitags von 9 bis 13 Uhr sowie nach Anfrage. Ratsuchende können auch per Email über „team@frauenberatungsstelle-gladbeck.de“ Kontakt aufnehmen. Weitere Informationen: www.frauenberatungsstelle-gladbeck.de
Peter Fischer, Vorsitzender des Kinderschutzbundes Gladbeck, geht ebenfalls davon aus, dass Gewalt im Privatraum zunehmen wird. „In den vergangenen eineinhalb Wochen hat sich niemand bei uns gemeldet, aber es herrschte schönes Wetter, so dass die Menschen auch mal rausgehen konnten“, meint er. Aber: „Das kann sich ganz schnell ändern, denn die Situation ohne soziale Kontakte ist für die gesamte Familie eine Herausforderung.“
Auch interessant
Der Verein mit seinen 140 Mitgliedern, darunter knapp 30 ehrenamtlich Aktive, sei auf ein Plus an Nachfrage vorbereitet. Unter der Telefonnummer 02043/28888 können sich Ratsuchende melden, der Kinderschutzbund arbeite mit der Sozialpädagogin Brigitta Blomberg-Gerwert als Expertin zusammen, die Mitglieder einzelner Gruppen sind über WhatsApp vernetzt. Beispiel: das Bildungsprogramm Opstapje. Fischer: „Drei Hausbesucherinnen betreuen 20 Familien.“
Diese Frauen würden merken, wenn irgendetwas bei den Eltern und Kindern im Argen läge, aber in Corona-Zeiten musste dieser Kontakt eingestellt werden; ebenso Angebote wie Hausaufgabenbetreuung und sexuelle Aufklärung. „Was uns derzeit fehlt, sind Regulative von außen“, so Fischer. Blutergüsse, Striemen und andere Hinweise auf Gewalt gegen Kinder würden häufig im Turnunterricht oder in Kitas festgestellt – diese sind jedoch geschlossen.