Gladbeck. Blinde Menschen in Gladbeck wissen es aus eigenem Erleben: Die Schutzmaßnahmen wegen des Coronavirus’ bergen für sie Probleme. Das sind einige...

Wie leicht kommt es vielen Menschen mittlerweile in Corona-Zeiten über die Lippen: Haltet Abstand! Setzt einen Mund-Nasen-Schutz auf! Stellt Euch vor Geschäften an, so dass nicht zu viele Kunden in einem Laden zusammenkommen! Schneller gesagt als getan, denn mancher kann diese Vorgaben aus gesundheitlichen Gründen kaum oder überhaupt nicht umsetzen. Beispielsweise sehbehinderte und blinde Gladbecker.

Gladbeck: Eine Begleitperson an der Seite kann in Corona-Zeiten so manche Situation erleichtern

Marvin Kamrath kennt die alltäglichen Probleme aus eigenem Erleben. Der Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins Gladbeck/Dorsten ist froh, dass er seine Frau zur Seite hat: „Sie geht mit mir zusammen in die Stadt.“ Sie könne ihn darauf hinweisen, wenn ihm Menschen zu nahe treten – oder umgekehrt. „Wenn jemand mit einer Sehbehinderung allein in der Stadt unterwegs ist, kann das schon zu einem Problem werden“, weiß der 71-Jährige.

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Von Von Svenja Suda

Denn wie sollen Blinde Abstände erkennen? „Das können wir nicht, höchstens wenn jemand spricht“, so Kamrath. Dann habe das feine Gehör die Möglichkeit, Distanzen einzuordnen. Er erzählt: „In der Verwaltung sind Streifen, die Abstände kennzeichnen, auf dem Boden geklebt. Mit einem Stock, der eine Rolle am Ende hat, kann man sie erkennen. Ich bemerke diese Streifen nicht, da ich einen Taststock benutze.“ Auch in solchen Situationen ist der Gladbecker, der mit 23 Jahren sein Augenlicht verlor, also auf Unterstützung angewiesen.

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Aber selbst wenn Betroffene einen Leitstreifen ausfindig machen können, bleibe die Frage: „Wo ist das Geschäft?“ Ist das Limit der erlaubten Kundenanzahl erreicht? Wo ist das Ende der entsprechenden Warteschlange? „Es ist immer besser, man nimmt eine Begleitperson mit“, rät Kamrath, der stets seinen Blindenausweis in der Tasche hat.

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Josi Marten vom Behindertenbeirat in Gladbeck gibt den Tipp, sich Unterstützung zu holen, wenn sich manche Situationen nicht aus eigenen Kräften meistern lassen.
Josi Marten vom Behindertenbeirat in Gladbeck gibt den Tipp, sich Unterstützung zu holen, wenn sich manche Situationen nicht aus eigenen Kräften meistern lassen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln könne ebenfalls wegen der Schutzvorkehrungen gegen die Verbreitung des Coronavirus’ eine Hürde darstellen: „Wie sollen wir wissen, wo wir sitzen können? Meine Frau sagt mir, wo frei ist.“ Doch eigentlich „fahren wir derzeit nicht mit dem Bus“. Seine Frau setze sich ans Steuer des Autos.

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Christoph van Bürk, Pressesprecher der Vestischen, empfiehlt: „Wer Hilfe braucht, beispielsweise mobilitätseingeschränkte Menschen wie Rollstuhlfahrer, sollte den Fahrer ansprechen.“ Allerdings werde für diese Klientel keine Ausnahme von einer Corona-Regel gemacht: Die Vordertüren der Busse bleiben für Kunden geschlossen. „Wir wollen unsere Fahrer schützen“, so van Bürk.

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Die meisten Mitglieder im hiesigen Blinden- und Sehbehindertenverein seien verheiratet und daher nicht auf sich gestellt, berichtet Kamrath. Wer sich nicht in dieser glücklichen Lage befinde, könne darum bitten, dass ihm unter die Arme gegriffen wird – indem ihm beispielsweise der Einkauf abgenommen wird. Diesen Tipp gibt auch Josi Marten, Vorsitzende des Behindertenbeirats. Wer nicht auf Angehörige, Freunde, Nachbarn oder andere im privaten Umfeld zurückgreifen kann, habe die Möglichkeit, offiziell Unterstützung zu beantragen, zum Beispiel Fahrdienste.

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Blinden- und Sehbehindertenverein

Der Gladbecker Marvin Kamrath hat vor 28 Jahren den Vorsitz im Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen (BSVW) übernommen. Nun möchte er dieses Amt abgeben. Der 71-Jährige stellt jedoch fest: „Es fehlt der Nachwuchs.“

Dem Verein gehören aktuell 27 Mitglieder aus Gladbeck und Dorsten an. Neben den regelmäßigen Treffen, die wegen der Corona-Krise bis auf weiteres ausgesetzt sind, stehen sonst Ausflüge, Feste und andere kulturelle Veranstaltungen sowie Bildungsangebote auf dem Programm.

Kontakt und weitere Informationen: Marvin Kamrath, 02043/45715, gladbeck-dorsten@bsvw.de

Marten appelliert an das Verständnis für einander. So müsse nicht jeder ohne Mund-Nasen-Schutz ein Maskenmuffel sein. Die 66-Jährige, selbst lungenkrank, verweist auf Menschen, die eine ärztliche Befreiung haben. „Diese werden schon schräg angesehen, wenn sie keine Maske tragen“, so Marten. Sollten Betroffene etwa ein Schild um den Hals tragen, auf dem „Asthma“ oder ähnliches steht? Die Beiratsvorsitzende weiß von Psychischkranken, die keinen Mund-Nasen-Schutz tragen könnten: „Sie verfallen dann in Panikattacken.“

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Vorübergehend auf eine Maske verzichten dürfen auch Hörgeschädigte und Ertaubte. Sie sind auf das Lippenlesen angewiesen. Daher dürfen sie zur Kommunikation die Bedeckung ablegen. „Gerade in diesen Zeiten ist alles nicht so einfach“, stellt Marvin Kamrath fest. Josi Marten denkt aber auch, „dass viele, die eine Beeinträchtigung haben, einfach nicht mehr ohne Grund ‘rausgehen“.

Für Nachfragen zu Hilfen, Ausweisen etc. steht Oliver Pietrzak vom städtischen Fachdienst „Behinderte Menschen im Beruf“ zur Verfügung. Kontakt: Fritz-Lange-Haus, Friedrichstraße 7, . Josi Marten vom Behindertenbeirat ist unter erreichbar.