Gladbeck. Vom offiziellen Kriegsschluss am 8. Mai erfuhr die Stadt aus dem Radio. In Gladbeck, wo Ende März der Krieg endete, herrschten Mangel und Armut.

Als der 2. Weltkrieg am 8. Mai 1945, genau vor 75 Jahren, offiziell zu Ende ging, war Gladbeck bereits seit einigen Wochen vom Kriegsgeschehen befreit – seit Gründonnerstag, 29. März, schwiegen die Waffen und fielen keine Bomben mehr. Die Stadt, die in Schutt und Asche lag, litt unter den schrecklichen Nachwirkungen des verheerenden Krieges, die allerorten spürbar waren. Von der „bedingungslosen Kapitulation“ am 8. Mai, einem Dienstag, erfuhren viele Menschen vor dem Polizeigebäude am Jovyplatz, wo sich seit Tagen immer wieder Gladbecker einfanden, weil es dort eines der wenigen funktionierenden Radios gab, das Beamte ins geöffnete Fenster stellten. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom endgültigen Kriegsende durch die Stadt.

Schon am 21. April war ein Aufatmen durch Gladbeck gegangen, als die Menschen auf gleichem Weg von der Massenkapitulation deutscher Soldaten im Ruhrkessel erfahren hatten. Die ersten Nachkriegswochen waren für die meisten Gladbecker aber vor allem von Essensbeschaffung und Enttrümmerung geprägt. Der Hunger war groß. Das Brot, das von den Alliierten verteilt wurde – wie auch Maismehl, Soja und Hafer – reichte bei weitem nicht. Nur wenige Läden boten, wenn es zu Mehllieferungen kam, Brot an, das bei Schulte-Pelkum gebacken wurde. Dann bildeten sich lange Schlangen vor den Geschäften. Die Molkerei an der Sandstraße war die einzige, die Milch wenigstens für Schwangere hatte.

Menschen vegetierten noch lange in Kellern und Bunkern

Kinder putzten in Zweckel Steine von kriegszerstörten Häusern für den Aufbau der Overbergschule. Die Enttrümmerung ging mit Hilfe vieler freiwilliger Kräfte schnell vonstatten.
Kinder putzten in Zweckel Steine von kriegszerstörten Häusern für den Aufbau der Overbergschule. Die Enttrümmerung ging mit Hilfe vieler freiwilliger Kräfte schnell vonstatten. © Stadtarchiv

Viele hungerten über Monate, hatten nur Tagesrationen von nicht einmal 1500 Kalorien – weniger als in den letzten Kriegswochen, als Lebensmittel mit 2400 Kalorien pro Kopf zugeteilt worden waren. Viele Frauen gingen auf Hamsterfahrt, vor allem ins Münsterland, und versuchten dort bei Bauern Essbares im Tausch gegen das wenige Wertvolle, das den Familien geblieben war, zu organisieren. Bei der Rückkehr durften sie sich nicht erwischen lassen, denn „Hamstern“ war von den Alliierten strengstens verboten worden.

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Die Menschen vegetierten in den den ersten Nachkriegswochen häufig in den Kellern. Der Wohnraum – 44,8 Prozent aller Gebäude waren zerstört – war knapp, die wenigen noch funktionstüchtige Wohnungen wurden von den Alliierten beschlagnahmt. Gleichzeitig kamen immer mehr Evakuierte nach langen Fußmärschen in ihre Heimatstadt zurück. Folge: Die Wohnungsnot wurde immer schlimmer, unzählige Gladbecker mussten obdachlos auch weiter in Stollen und Bunkern hausen oder rückten in den wenigen unzerstörten oder noch halbwegs bewohnbaren Häusern enger zusammen. Es gab in den ersten Wochen kein Trinkwasser, da das Leitungsnetz an vielen Stellen zerstört war. Und nur mancherorts funktionierte das Licht.

Anfangs durften die Bewohner nur wenige Stunden aus dem Haus

Die Chefs der britischen Stadtkommandantur vor der Jovy-Villa, wo die Alliierten ihre Zentrale eingerichtet hatten.
Die Chefs der britischen Stadtkommandantur vor der Jovy-Villa, wo die Alliierten ihre Zentrale eingerichtet hatten. © Stadtarchiv Gladbeck

Anfangs durften die Menschen nur an wenigen Stunden am Tag wegen der verhängten Ausgangssperre zu Brunnen oder Pumpen, um Wasservorräte zu holen. Straßen- und Eisenbahnen fuhren nicht. Brauck drohte obendrein eine Überflutung, weil die Pumpen der Emschergenossenschaft zerstört waren. Die Amerikaner sorgten derweil in doppelter Hinsicht für Ordnung in den Ruinen: Sie fuhren mit ihren Jeeps Patrouille, suchten nach Nazis und brachten sie in Internierungslager. An vielen Straßenecken patrouillierten Posten mit umgehängten Gewehren. Auch an die Beseitigung der Trümmer machten sie sich. Erstaunt waren die Gladbecker, mit welchem Gerät und Material die Amerikaner dazu ausgerüstet waren. Selbst Bulldozer waren vorhanden, um die Straßen von Trümmern frei zu räumen.

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Dennoch wurden, auch von Kindern und vor allem von Frauen, lange Zeit Ziegelsteine von Hand geputzt und konnten so wieder genutzt werden. Handwagen, Pferdekarren – alles wurde zum Transport genutzt. Bergleute, die noch nicht wieder einfahren konnten, begannen mit der Trümmerbeseitigung und richteten Wohnungen notdürftig her. Auch Bombentrichter wurden zugekippt, Straßen passierbar gemacht, erste Vorfluter wieder hergestellt. Ganz zögerlich begann der Wiederaufbau, nachdem die Ausgangssperren gelockert wurden. Auch an die Herrichtung von Schulen wurde schnell gedacht.

Militärregierung berief Männer und Frauen der ersten Stunde

Kriegszerstört: Das Restaurant Dahmen an der Hochstraße. Das Nachbarhaus liegt heute an der Ecke Hoch-/Goethestraße. Dazwischen (links) zwischen Säulen: der Eingang zum Apollo-Theater.
Kriegszerstört: Das Restaurant Dahmen an der Hochstraße. Das Nachbarhaus liegt heute an der Ecke Hoch-/Goethestraße. Dazwischen (links) zwischen Säulen: der Eingang zum Apollo-Theater. © FFS | Repro: Lutz VON STAEGMANN

Die Amerikaner, die Ende März die Stadt besetzt hatten, richteten in der Jovy-Villa, bis dahin Dienstsitz des geflüchteten Nazi-OB Bernhard Hackenberg, ihre Kommandantur ein. Chef war Major Flatow. Zeitzeugen berichteten, dass die Amerikaner im Umgang mit der Bevölkerung recht höflich und konziliant umgingen. Die Engländer, die wenige Wochen später die Amerikaner als Stadtkommandanten ablösten, waren mit Major D. Knight an der Spitze dagegen eher streng. Knight hatte bis 1949 als Stadtkommandant das Sagen in Gladbeck.

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Eine von der Militärregierung zusammengestellte Gruppe von Nazi-Gegnern bildete eine erste neue (Selbst-)Verwaltung. Sie war anfangs nur mitarbeitend tätig für die Militärregierung. Zu den Männern und Frauen der ersten Stunde, die nach dem Krieg wieder Verantwortung für ihre Stadt übernahmen, zählten Johannes Schulte, der lange Verwaltungsdirektor war und von den Nazis wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen worden war, und Wilhelm Olejnik, der im KZ war, aber auch Hans Boden, Fritz Lange, Elisabeth Brune, Hans Wuwer und Artur Schirrmacher.

Die erste Verwaltung arbeitete in der Villa Peliceus

Das Rathaus war zum Kriegsende schwer zerstört.
Das Rathaus war zum Kriegsende schwer zerstört. © Stadtarchiv

Da das Rathaus schwer beschädigt war, fand die neue Verwaltung zunächst im Polizeigebäude am Jovyplatz einen Unterschlupf, wechselte wenig später in die Villa Peliceus, die gegenüber der Jovy-Villa lag, in der die Militärregierung saß. Hauptthemen anfangs: Einhaltung der Anordnungen der Militärregierung, Verringerung der Verbote, Schutz der Bevölkerung vor Raub und Plünderung, Versorgung der Bürger mit Lebensmitteln. Und: Wohnraumbeschaffung.

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Nur langsam sollte es bergauf gehen, auch wenn die neue Verwaltung von Juli bis September 1388 Bauanträge zählte. Im Spätsommer 1945 wurden wieder Gewerkschaften und Parteien zugelassen. Im Herbst 1945 konnte in elf Schulgebäuden wieder unterrichtet werden, dort wurden auch warme Suppen ausgegeben. Der Blechnapf war das wichtigste Schulutensil. Und ab Oktober 1945 durfte nach jahrelangem Verbot erstmals wieder getanzt werden. Als wenig später die Zechen langsam wieder Kohle förderten, wurden die „schwarzen Diamanten“ zu Gladbecks Rettung aus der härtesten Not der ersten Nachkriegszeit.

Hebammen durften Rad fahren

Die Männer der neuen städtischen Selbstverwaltung sorgten im Sommer 1945 dafür, dass ein Fahrdienst eingerichtet wurde, um Lebensmittel in die Stadt zu holen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dazu wurde auch ein Ernährungsamt eingerichtet.

Gladbecker selbst konnten nur mit einem Passierschein das Stadtgebiet verlassen. Für den Schutz vor Raub und Plünderung wurden sehr schnell erste Polizeikräfte mobilisiert.

Der Verkehr war in den ersten Wochen und Monaten nach Kriegsende sehr eingeschränkt. Nur Ärzte und Hebammen durften Fahrräder benutzen. An Kraftfahrzeugen gab es nur 204 Lkw, 67 Pkw und 160 Kräder.

Noch im April 1945 kehrten die ersten Gladbecker Männer in die Heimat zurück. Ihnen stand ein langwieriger Entnazifizierungsverfahren bevor.