Gladbeck. Am 21. Juli 1919 kam ein Anruf aus Berlin. Michael Jovy wurde erster Oberbürgermeister. Die junge Stadt erlebte einen rasanten Entwicklungsschub.

Die Lage in Gladbeck blieb nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Revolution Anfang November 1918 politisch aufregend und wirtschaftlich-sozial angespannt. Nur langsam normalisierte sich das öffentliche Leben, auch wenn sich schon am 14. November 1918 der Gemeinderat traf und feststellte, dass die „Neuordnung der politischen Verhältnisse in Gladbeck ohne besondere Zwischenfälle“ abgelaufen sei.

Aber dann wurde es doch noch gewalttätig, als am 11. Januar 1919 Spartakisten das Amtshaus stürmten, nachdem sie zuvor die Polizei entwaffnet hatten. Mehrere Tage belagerten revolutionäre Arbeiter, angeführt von einer KPD-Gruppe, das Amtshaus. Es kam es sogar zu Schießereien, bei denen zwei Tote zu beklagen waren. Schließlich beruhigte sich die Lage, die Aufständischen zogen ab – die Revolutionäre bekamen einen Sitz im Arbeiter- und Soldatenrat der Gemeinde.

Bei der ersten demokratischen Kommunalwahl siegte die SPD

Das Bankhaus Küster und Ullrich an der Friedrich-/Ecke Viktoriastraße (rechts) Ende der 20er Jahre. Dahinter die Villa Pelizäus an der Ecke Gustavstraße.
Das Bankhaus Küster und Ullrich an der Friedrich-/Ecke Viktoriastraße (rechts) Ende der 20er Jahre. Dahinter die Villa Pelizäus an der Ecke Gustavstraße. © Archiv Heimatverein

Am 2. März 1919 fanden die ersten demokratischen Kommunalwahlen in Gladbeck statt, das damals rund 55.000 Einwohner zählte. Die SPD siegte mit 44,75 Prozent und stellte 22 der 48 Mitglieder des Gemeinderates. Zweitstärkste Partei war das Zentrum mit 33,77 Prozent der Stimmen, die Polen-Partei holte 12,06 Prozent. Außerdem im Gemeinderat: Die Deutsche Demokratische Partei und die Deutsch-Nationale Volkspartei.

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Eine der ersten Anstrengungen der neuen Kommunaldemokratie war die Stadtwerdung: Amtmann Jovy erinnerte in Berlin an Gladbecks Antrag von 1913, der wegen des Krieges „liegen geblieben“ war. Am 21. Juli 1919 war es dann soweit: Gladbeck erhielt die Stadtrechte. Ein Anruf aus dem preußischen Innenministerium brachte die frohe Kunde, die Gladbecker Zeitung titelte „Bürger! Flaggen heraus!“.

Ein Telegramm aus Berlin bestätigte die Verleihung der Stadtrechte

Wichtiges Dokument: Mit einem Telegramm aus Berlin wurde am 21. Juli 1919 bekannt, das Gladbeck die Stadtrechte bekam.
Wichtiges Dokument: Mit einem Telegramm aus Berlin wurde am 21. Juli 1919 bekannt, das Gladbeck die Stadtrechte bekam. © Stadtarchiv/ Repro: Lutz von Staegmann

Ein Telegramm am 1. August war die schriftliche Bestätigung, dass Gladbeck fortan unter Stadtrechten verwaltet wurde: „Preußische Staatsregierung hat Gladbeck am 21. Juli Städteordnung verliehen – Innenminister“, stand dort knapp und preußisch-bieder. Das Telegramm gibt es noch, es liegt im Stadtarchiv. Aber ein förmliches Dokument der Stadtwerdung – eine Urkunde – kam nicht aus Berlin. Und der schriftliche Kabinettsbeschluss vom Sommer 1919 ging im Zweiten Weltkrieg verloren.

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Die Gemeinde wurde ab dem 21. August nach Städterecht verwaltet. Am 25. August 1919 wählte der nun zum Stadtrat avancierte Gemeinderat Dr. Michael Jovy zum ersten Oberbürgermeister. Beigeordneter Hermann Kappen wurde zweiter Bürgermeister, der Sozialdemokrat Heinrich Krahn blieb Beigeordneter. Aus dem Amtshaus wurde das Rathaus. Etwas später, am 1. Januar 1921, schied Gladbeck als kreisfreie Stadt aus dem Landkreis Recklinghausen aus.

OB Michael Jovy schwor den Stadtrat auf einen „Urbanisierungsprozess“ ein

Dr. Michael Jovy, der 1918 als Amtmann nach Gladbeck kam, wurde im August 1919 zum ersten Oberbürgermeister der neuen Stadt Gladbeck gewählt.
Dr. Michael Jovy, der 1918 als Amtmann nach Gladbeck kam, wurde im August 1919 zum ersten Oberbürgermeister der neuen Stadt Gladbeck gewählt. © Stadtarchiv

Bis dahin sollte es aber noch einmal turbulent zugehen. Der Kapp-Putsch machte sich im März 1920 auch in Gladbeck bemerkbar: Es bildete sich eine Bürgerwehr, auf den Gladbecker Zechen kam es - wie vielerorts im Revier – zum Arbeiteraufstand. Auf Stinnes 3/4 wurden am 15. März alle Beamten von der Zeche gejagt – eine 33-köpfige Streikleitung übernahm vorläufig den Betrieb. Am 22. März marschierte schließlich die Rote Ruhr-Armee in Gladbeck ein, die sich aus Arbeiter- und Soldatenräten gebildet hatte, übernahmen im Rathaus das Kommando.

Anfang April 1920 schlug ein Freikorps des ehemaligen, mittlerweile durch den Vertrag von Versailles aufgelösten kaiserlichen Heeres im Auftrag der Reichsregierung den Aufstand nieder. In Gladbeck war es das Freikorps „Marinebrigade von Loewenfeldt“, das zwischen dem 3. und 7. April gegen die Revolutionäre losschlug. Am Ende, so der ehemalige Stadthistoriker Rainer Weichelt, waren mindestens 25 Todesopfer zu beklagen.

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Endlich konnte die junge Stadtverwaltung arbeiten und sollte einen enormen Entwicklungs- und Modernisierungsschub auslösen. Wichtige Weichenstellungen für die städtische Entfaltung fielen 1922: OB Jovy schwor den Stadtrat darauf ein, die Mängel des „defizitären Urbanisierungsprozesses“ zu beseitigen und forderte die Realisierung Gladbecks als Gesamtgartenstadt.

Ab der 20er Jahre wurde die Stadtplanung im Rathaus gemacht

So sah die Gladbecker Innenstadt in einer Stadtkarte aus dem Jahr 1924 aus.
So sah die Gladbecker Innenstadt in einer Stadtkarte aus dem Jahr 1924 aus. © Stadtarchiv

War Gladbeck bislang eher von Zechendirektoren entwickelt worden, versuchte Jovy nun mit den neuen Kommunalpolitikern, Gladbeck vom Rathaus aus zu gestalten. Außerdem regte er den Kauf des Wittringer Waldes an, der zu diesem Zeitpunkt unter großen ökologischen Schäden litt: Durch Bergabsenkungen hatten die Abwasserbäche keinen kontrollierten Zugang mehr zur Boye, weite Teile des Geländes hatten sich in gefährlichen Sumpf und Morast verwandelt, mehr als 50 Prozent des Waldes war abgestorben.

Jovy erreichte, dass die Emschergenossenschaft die Bäche regulierte, gleichzeitig begann der Wiederaufbau des Waldes und der Ausbau des Hauses Wittringen zur Volkserholungsstätte, die 1928 eingeweiht wurde. Gleichzeitig entstanden die Vestische Kampfbahn und das Freibad – bauliche Zeichen städtischer Entwicklung und überregional beachtet. Der Ausbau der Vorfluter war gleichzeitig die Grundlage für die Kanalisierung großer Teile des Stadtgebietes.

Anfang der 20er Jahre ging es wirtschaftlich bergauf

Blick in die Horster Straße (damals Kaiserstraße) Richtung Süden etwa 1918. Am Horizont ist das Bergwerk Moltke 1/2 zu erkennen.
Blick in die Horster Straße (damals Kaiserstraße) Richtung Süden etwa 1918. Am Horizont ist das Bergwerk Moltke 1/2 zu erkennen. © Sammlung Ricken

Auch wirtschaftlich ging es in der Stadt der Arbeiter aufwärts: 1921 meldeten die Möllerschächte mit 8421 Mann Belegschaft ihren historischen Höchststand. Ähnlich war es auf Stinnes 3/4 in Brauck: Hier erreichten die Belegschaft 1922 mit mehr als 3700 Kumpel ihren Höchststand. Auch im Dampfsägewerk Küster, in der Dampfziegelei Gladbeck, in Büschers Walzenmühle und in der Metallwarenfabrik van Beusekom brummte es.

1922 wurde die Reichsbahnlinie von Essen über Bottrop nach Gladbeck-West fertig gestellt. Zur Verbesserung des direkten Verkehrs nach Essen war zuvor schon ein zweites Straßenbahngleis nach Horst verlegt worden. Nach dem Ausscheiden aus dem Kreis wurde die Stadt Sitz eines Polizei- und eines Bergrevieramtes.

Jovy war eigentlich nicht gewollt

Dr. Michael Jovy, Nachfolger des langjährigen Amtmanns Korte, wollte der Gladbecker Gemeinderat eigentlich verhindern. Die schriftlichen Proteste halfen aber nichts: Jovy, promovierter Jurist aus der Eifel und zuletzt als Beigeordneter in Recklinghausen tätig, wurde im Alter von nur 36 Jahren am 1. Januar 1918 von der Bezirksregierung Münster zum Amtmann ernannt.

Er erwarb sich schnell, so Historiker Rainer Weichelt, den Ruf eines ruhigen und umsichtigen Mannes, der es verstand, Gegensätze zu überbrücken. Vor allem in der revolutionären Zeit Anfang der 20er Jahre verstand er es, die junge Stadt auf Kurs zu halten.

100(0) Jahre Gladbeck: Bisherige Folgen in der Übersicht

In 2019 wird die Stadt Gladbeck 100 Jahre alt. Anlass für uns, die Geschichte Gladbecks, die vor 1000 Jahren begann, in Serie darzustellen. Quellen sind die Bücher „Geschichte der Stadt Gladbeck“ von Rainer Weichelt, „Gladbeck“ von Harald Neumann, „Verdrängte Jahre – Gladbeck unterm Hakenkreuz“ von Frank Bajohr, „Feuersturm an der Ruhr“ aus dem Klartext-Verlag, die Dokumentation „Glabotki ist nicht!“ von Erna-Johanna Fiebig und Rainer Weichelt, die Chronik „40 Jahre Amt Gladbeck“ von Ludwig Bette (von 1925), Expertisen aus dem Stadtarchiv sowie verschiedene Aufsätze von Heimatforschern.

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