Gelsenkirchen. . Die Stadt Gelsenkirchen ist Großgrundbesitzer. Im Ernst: rund 700 Grundstücke unterschiedlichster Größe hat die Stadt in Erbbaurecht verpachtet, viele davon nach dem Zweiten Weltkrieg für 70 Jahre. Fast 60 Verträge laufen in den nächsten Jahren aus. Was bedeutet das für die meist privaten Pächter?
Familie S. ist sauer. Bisher zahlt sie 600 Euro im Jahr Erbpacht für ihr 660 Quadratmeter-Grundstück, auf dem ihr Drei-Familienhaus mit 150 m² Wohnfläche steht. Wenn sie das Grundstück kaufen will – 2019 läuft der Pachtvertrag aus – , verlangt die Stadt 95000 Euro, entsprechend dem vom Gutachterausschuss ermittelten Richtwert. Vor neun Jahren sei noch von 75000 Euro die Rede gewesen, klagt die Familie. Wenn der Pachtvertrag erneuert wird, steigt der Zins um ein Vielfaches. Vier Prozent des aktuellen Grundstückswertes werden dann fällig, 3700 Euro im Jahr. Plus Anpassungen alle drei, vier Jahre.
Städtische Erbbaugrundstücke sind bislang für die Pächter in Gelsenkirchen extrem günstig. Die Erbpachtbedingungen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vereinbart, meist ohne nennenswerte Anpassungsklauseln. Damals ging es der Stadt als Grundstücksverpächter darum, Bürgern das Bauen zu erleichtern. Vor hundert Jahren sollte die Stadt wachsen, nach dem Krieg ging es um den Wiederaufbau. Heute stehen auf den meisten der über 700 Grundstücke, die die Stadt an private Bürger verpachtet hat, Immobilien. Mehrfamilienhäuser, Ein- oder Zweifamilienhäuser, Garagen, das Jugendleistungszentrum von Schalke. Oder ganze Siedlungen.
Pächter kann zwischen Kauf und Neuverpachten auswählen
Was den Pächtern wie der Stadt selbst derzeit erhebliche Bauchschmerzen bereitet ist die Tatsache, dass in den nächsten Jahren sukzessive die Pachtverträge auslaufen; bis 2021 allein 58 Verträge. Weshalb die Mitarbeiter des Liegenschaftsamtes derzeit fieberhaft an neuen Verträgen arbeiten.
Generell lässt die Stadt den Pächtern die Wahl, ob sie das Grundstück kaufen oder unter neuen Bedingungen weiterhin pachten. Theoretisch kann die Stadt auch das Grundstück zurückverlangen. Dann müsste die Immobilie darauf entschädigt werden, nach aktuellem Verkehrswert.
Klingt kompliziert? Ist es auch. Einerseits will die Stadt ihre Bürger nicht unnötig quälen. Andererseits ist die Stadt arm und allen Bürgern verpflichtet. „Wir dürfen keine Grundstücke unter Wert verkaufen. Und wenn wir bei Rücknahme entschädigen, dürfen wir nicht mehr als zwei Drittel des Verkehrswertes für die Häuser zahlen. Aber für uns sind soziale Aspekte der Maßstab“, betont Michael Koch vom Referat Hochbau und Liegenschaften der Stadt. Ziel sei, dass die Menschen auch nach Ablauf des Pachtvertrags in ihrem Haus bleiben können. Dabei müsse immer der Einzelfall und der Hintergrund betrachtet werden. Verwaltungsvorschläge zu neuen Pacht- oder Kaufbedingungen müssen vom Fachausschuss übrigens in jedem Einzelfall erst genehmigt werden.
Bei den Kirchen laufen die meisten Verträge noch länger
Den im Internet für jeden einsehbaren Bodenrichtwert – http://www.boris.nrw.de/borisplus/portal/BRW.do – von Grundstücken legt ein unabhängiger Gutachterausschuss fest, auch in den Nachbarstädten. In Gelsenkirchen reichen die Preise je nach Lage und Nutzung von 130 bis 350, in Einzelfällen über 600 Euro je m².
Auch die Kirchen sind Erbbaurechtsgeber in Gelsenkirchen, vor allem die Katholische Propstei. Über 300 Grundstücke beziehungsweise Wohnungen hat St. Urbanus verpachtet, allerdings fast alle Mitte der 50er Jahre für 99 Jahre. Bis diese Verträge auslaufen, ist noch viel Zeit. Die zum Teil noch günstigeren Konditionen als bei der Stadt werden bei Vererbung oder Verkauf erhalten. Der Evangelische Kirchenkreis hat vor Ort nur 40 Erbbaugrundstücke verpachtet. Bei Vertragsablauf wird in der Regel verlängert, die Landeskirche wünscht eher die Sicherung längerfristiger Einnahmen als den Verkauf. Genaue Konditionen wollten beide Kirchen nicht nennen.
Nachbarstädte arbeiten mit fast identischen Bedingungen für Pächter
Auch in Herne und Bochum lässt man den Bürgern die Wahl zwischen neuer Pacht und Grundstückskauf. Maßstab sind auch hier Bodenrichtwert und vier Prozent vom Grundstückswert als Jahreszins bei Neuverträgen. In Herne sind in Einzelfällen auch fünf Prozent denkbar, je nach Nutzung beziehungsweise Pächter.