Gelsenkirchen. 16 Jahre lang war Manfred Gast Schulleiter des Grillo-Gymnasiums, davor war er 17 Jahre lang Lehrer an der Schule. Im Interview spricht der 65-Jährige über seinen baldigen Ruhestand, seine Nachfolge, gute Entwicklungen, schlechte Umstände und über den Ex-Schüler Bastian Bielendorfer.

Manfred Gast (65) hört auf. 16 Jahre lang war er Schulleiter am Grillo-Gymnasium, davor 17 Jahre Lehrer. Am Freitag hat der Schalker Pädagoge seinen letzten Arbeitstag an der Hauptstraße. WAZ-Mitarbeiter Tobias Mühlenschulte sprach mit dem baldigen Ruheständler.

Herr Gast, überwiegt die Freude oder sind Sie eher traurig darüber, dass jetzt Schluss ist?

Manfred Gast: Ich habe gemischte Gefühle, ich kann mir das noch nicht so richtig vorstellen. Zum einen bin ich 1963 ins Berufsleben eingetreten und nach 51 Jahren ist es auch mal an der Zeit, in den Ruhestand zu gehen oder an die Zeit nach der Arbeit zu denken. Zum anderen bin ich jeden Tag gerne hier hingegangen. Ich habe keinen Frust gehabt und habe auch nicht die Tage gezählt, sondern mache es nach wie vor gerne, bis zum letzten Tag.

Haben Sie Angst vor Langeweile?

Gast: Ich habe mir schon Gedanken gemacht, was man alles tun kann, wo bis jetzt nicht die Zeit für war, und da freue ich mich auch drauf. Ich werde keine Langeweile bekommen, aber so ein bisschen wehmütig bin ich schon. So ein bisschen war man mit der Schule auch immer verheiratet. Ich bin ja hier nicht nur 16 Jahre Schulleiter gewesen, sondern war seit 1981 Lehrer an dieser Schule. Das sind mehr als 30 Jahre und das verbindet. Im Rückblick ist das manchmal eine harte Zeit, aber auch eine schöne Zeit. Im Nachhinein denke ich, dass ich es kaum besser hätte treffen können. Insofern ist auch viel Befriedigung damit verbunden. Und dadurch entsteht diese Wehmut, man hat schon ein bisschen damit zu schaffen. Aber auf der anderen Seite hat man eine Perspektive, die schön aussieht.

Wer wird Ihr Nachfolger, Ihre Nachfolgerin?

Gast: Meine Stellvertreterin Berti Oberholz wird das Grillo kommissarisch leiten. Es hat ein Besetzungsverfahren gegeben, das zu keinem Ergebnis geführt hat. Die Stelle wird zu Beginn des neuen Schuljahres neu ausgeschrieben.

Warum war das Verfahren erfolglos?

Gast: Es wird immer schwieriger, Schulleiterstellen zu besetzen. Das Eignungsfeststellungsverfahren ist aufwändig und manche Bewerber sind der Bezirksregierung zu jung und müssen erst noch Fortbildungen machen. Was auch abschreckend am Schulleiter-Posten wirkt: Man hat wesentlich mehr Arbeit und die Präsenzzeiten erhöhen sich - bei gerade mal 300 bis 400 Euro im Monat mehr. Und unterrichten soll ein Schulleiter ja auch noch. Durch die Reform hat es eine Aufgabenverdichtung gegeben.

Was war Ihr größter Erfolg, Ihre beste Entscheidung als Schulleiter?

Gast: Das würde ich jetzt nicht an einer einzelnen Entscheidung festmachen. Aber was insgesamt die Schulentwicklung betrifft, die das Grillo-Gymnasium genommen hat, würde ich drei Dinge aufzählen: Einmal die Entscheidung, den bilingualen Zweig einzuführen. Zum Zweiten die Entscheidung, an der Schule einen MINT-Zweig zu etablieren. Und als drittes: In der Reaktion auf G8 – was uns ja landesweit mehr oder weniger verordnet worden ist – gebundenes Ganztagsgymnasium zu werden. Und es war auch richtig, dass wir immer darauf geachtet haben, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an unserer Schule vernünftig integriert und auch gefördert werden.

Wie haben Sie das erreicht?

Gast: Die Entscheidung, Türkisch als zweite Fremdsprache anzubieten, ist zwar vor meiner Amtszeit gefallen, aber wir haben das beibehalten und gepflegt. Dadurch bedingt sind wir jetzt eine Schule mit großem Migrationshintergrund: Mehr als jeder zweite Abiturient bei uns hat einen Migrationshintergrund. Wir bilden von der Schülerstruktur also das ab, was in der Gelsenkirchener Bevölkerung vorhanden ist. Da müssen andere Schulen erst hinkommen. Wir haben uns wirklich schon sehr früh um diese Schülerinnen und Schüler gekümmert und haben sie sozusagen gezielt an unsere Schule geholt. Da sind wir auch stolz drauf. Vor zwei Jahren haben wir eine Qualitätsanalyse gehabt. Diese Schulinspektion ist vor vier oder fünf Jahren in NRW eingeführt worden. Unsere Integrationsleistung ist ausdrücklich gelobt worden. Im Schlussbericht stand sogar, dass wir Leuchtturmcharakter haben, weil wir in diesem Bereich so viel geleistet haben.

Was hat noch in dem Bericht gestanden?

Gast: Die ganze Schulinspektion ist überwiegend positiv für uns ausgefallen. Wir haben bescheinigt bekommen, dass wir eine gute Arbeit machen, dass die Qualität des Unterrichts gut ist, dass wir ein ausgesprochen gutes Schulklima haben - Das ist etwas, worauf ich auch stolz bin. Das ist auch schon über die Schule hinaus durchgedrungen. Auch in Studienseminaren bekommen die Teilnehmer das mit, auch die Referendare werden gerne zu uns geschickt, weil man weiß, dass sie bei uns gut integriert werden und eine gute Ausbildung bekommen.

Das hört sich nach einem guten Klima an...

Gast: Wir haben wirklich ein ausgesprochen gutes Betriebsklima und keine Gruppenbildungen in der Lehrerschaft, wie es an manchen Schulen vorkommt. Wir haben fast keine Fluktuation, nur die natürliche durch Pensionierung oder auch Tod. Es gibt Schulen, an denen die Versetzungsraten hoch sind, weil das Schulklima so schlecht ist und die Lehrer wegwollen. Bei uns gibt es auch viele Lehrer, die aus dem Münsterland oder aus Dortmund herkommen, das Einzugsgebiet ist relativ groß. Normalerweise ist bei Lehrerinnen und Lehrern der Drang auch groß, sich in der Gegend, wo sie herkommen, eine Schule zu suchen und zurückzukehren. Das ist bei uns einfach nicht der Fall. Wir haben Lehrer, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg von weit her kommen, weil sie sich hier so wohl fühlen. Das muss auch erarbeitet werden, das kommt nicht von selbst.

Manfred Gast hält Rückkehr von G9 für möglich 

Was war Ihre größte Niederlage, Ihre schlechteste Entscheidung?

Gast: Das war keine Entscheidung, aber mit Beginn meiner Schulleitungstätigkeit, hatten wir an der Schule zwölf Jahre lang eine Dauerbaustelle. Das war zunächst mal ein Schock für mich als ich hier anfing. Ich ahnte ja nicht, was auf mich zukam. Ich dachte: ,Na gut, jetzt hast du hier ein bis zwei Jahre Baustelle und dann ist gut.’. Dass die ganze Geschichte zwölf Jahre dauert, hat auch die Hochbauverwaltung nicht gedacht. Die Schule ist ein Bau von 1910 und hatte einen Bombenschaden aus dem 2. Weltkrieg, der offensichtlich nur provisorisch hergerichtet worden ist. Diese ganzen Schäden kamen dann nach und nach heraus und haben immer wieder zusätzliche Arbeiten erfordert. Letztendlich hatten wir vier Bauabschnitte, die im Schnitt drei Jahre dauerten. Das hat uns belastet, wir haben jahrelang in einer Baustelle gelebt, im Krach, im Dreck, im Staub.

Wie konnte dann überhaupt unterrichtet werden?

Gast: Wir waren jahrelang ausgelagert in ein richtig großes Containerdorf auf dem Schulhof. Sämtliche Klassen mussten in den Containern Unterricht machen. Rückblickend war das natürlich auch ein Glücksfall, denn dieses wirklich sehr alte Gebäude ist von Grund auf saniert und renoviert worden und wir haben eine ganz moderne Schulausstattung bekommen. Die Stadt hat darauf geachtet, dass jede Klasse einen Internetanschluss hatte und an den Schulserver angebunden war, dass ein Beamer unter der Decke war. . . Als die Sanierung abgeschlossen war, waren wir in Gelsenkirchen die am modernsten ausgestattete Schule. Das hätten wir wahrscheinlich nie erlebt, wenn der Bau nicht kaputt gewesen wäre. Deshalb hadere ich im Nachhinein nicht so sehr. Aber es war eine sehr starke Belastung für alle Beteiligten und ein ständiges Improvisieren

Und trotzdem haben Eltern ihre Kinder am Grillo-Gymnasium angemeldet?

Gast: Ja, wir haben immer genügend Anmeldungen gehabt, so dass wir in der Substanz nicht gefährdet waren. Aber es kam auch vor, dass wir nur für zwei statt drei Züge Anmeldungen hatten. Wenn Eltern beim Tag der offenen Tür etwa über die Baustelle gewandert sind, haben sie sich natürlich schon gefragt, wie ihr Kind hier unterrichtet werden kann. Da konnten wir mit unserem guten Konzept gegenhalten, aber es war ein sehr schwieriges Geschäft und wir haben lange damit gerungen. Dass überwunden und letztendlich erfolgreich zu Ende gebracht zu haben, ist eine tolle Sache. Am Anfang sah es aus wie eine Niederlage, wie ein großes Handicap, aber wenn man jetzt nach 16 Jahren zurückblickt, war es eigentlich ein Glücksfall für die Schule.

Vor welchen Herausforderungen steht das Grillo mittel- und langfristig?

Gast: Es gibt generell die Herausforderung der zurückgehenden Schülerzahlen. Aktuell gibt es ein Zwischenhoch, weil wir Zuwanderer aus Europa kriegen, aber die sind erstmal fürs Gymnasium noch nicht relevant. Das wird noch Jahre dauern, bis sich das für unsere Schulform auswirkt. Aber dieser Schülerrückgang, der sich zwar ein kleines bisschen verlangsamt, ist da und wir sind in den letzten Jahren immer davon ausgegangen, dass ein Gymnasium in Gelsenkirchen geschlossen werden muss. Wir stehen also in starker Konkurrenz zueinander. Aber vor einem Jahr hat Dr. Beck gesagt, dass die Entwicklung in Gelsenkirchen so aussieht, dass wir alle Gymnasien brauchen und keine Schule Angst haben muss, geschlossen zu werden.

Warum nicht?

Gast: Hintergrund ist zum Einen die Herausforderung Inklusion, die auch auf die Gymnasien zukommt. Das Schalker Gymnasium hat damit ja im letzten Jahr angefangen. Alle Schulen sind aufgefordert, sich darauf vorzubereiten, dass sie demnächst auch Inklusionsschüler bekommen und beschulen müssen. Und in der Folge der Inklusion, die erhöhten Raumbedarf mit sich bringt, dürfen die Klassen kleiner werden. Man wird dann Größen von 25 Schülern pro Klasse haben, heute hat man 30. Bezogen auf die Raumkapazitäten, die hier in der Altstadt vorhanden sind, kann man davon ausgehen, dass die Gymnasien mittel- bis langfristig weiter bestehen werden. Der Konkurrenzkampf ist zwar noch da, aber nicht mehr so existenziell. Das hat ja auch dazu geführt, dass das Schalker Gymnasium, das plötzlich ins Gespräch gekommen ist, als Schule geschlossen zu werden, sich für G9 entschieden und auch als erste Schule für Inklusion gemeldet hat

Mit Erfolg...

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    Gast: Ja, G9 ist von den Eltern goutiert worden bei den Anmeldungen. Jetzt haben wir landesweit die G8-/G9-Diskussion und es wird irgendwann eine politische Entscheidung anstehen, ob es beim G8-Gymnasium bleibt oder ob es ein G9-Gymnasium gibt. In Niedersachsen ist ja beispielsweise das ganze Bundesland umgeschwenkt und bietet neuerdings wieder G9 an. In Hessen gibt es die Überlegung, beides anzubieten. Aber G8 und G9 parallel anzubieten, ist organisatorisch sehr schwierig, weil man große Einheiten dafür braucht. Man benötigt ein mindestens fünfzügiges Gymnasium. Den Versuch hat es in NRW ja auch gegeben: Das Petrinum in Dorsten hat zwei Züge G9 angeboten und drei Züge G8. Das Ganze läuft jetzt im dritten Jahr und kein Elternteil hat mehr G8 angewählt, die wollen alle G9.

    Sie rechnen also mit einer Rückkehr zu G9?

    Gast: Da kann eventuell noch etwas zukommen auf die Gymnasien und auch auf das Grillo, wenn G9 wieder flächendeckend oder in Teilbereichen auf freiwilliger Basis eingeführt wird. Da gibt es ja jetzt den runden Tisch im Schulministerium. Man weiß nicht genau, was dabei herauskommt aber spätestens vor den nächsten Landtagswahlen wird die Diskussion wieder hochkommen. Dann wird man sehen, ob die Schule sich neu positionieren muss.

    Wie haben Sie den Erfolg Ihres Ex-Schülers Bastian Bielendorfer erlebt?

    Gast: Wir haben insofern darauf reagiert, dass wir schon zwei sehr gut besuchte Lesungen hier bei uns in der Aula in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Junius veranstaltet haben. Vor allen Dingen sein erstes Buch ist von uns natürlich auch gelesen worden. Das war ja so ein bisschen ein Schlüsselroman und man guckte: Wer ist da wer? Das konnte man relativ gut feststellen und hat sich darüber amüsiert oder weniger amüsiert, wie die Figuren dargestellt worden sind. Wir haben positiv darauf reagiert und man kann auch ein bisschen stolz darauf sein. Nicht auf das, was er vielleicht da erlebt hat (lacht), aber dass er das so verarbeitet hat. Er ist offensichtlich auch begabt als Schriftsteller. Er hat das Talent, Pointen auf die Spitze zu bringen. Darüber hinaus ist er ja auch im Fernsehen an der einen oder anderen Stelle gefragt. Er war Sidekick von Harald Schmidt, das ist ja nicht so ganz ohne.

    Haben Sie Kontakt zu ihm?

    Gast: Wir haben Kontakt über seinen Vater zu ihm. Der wird seinen Weg gehen. Er ist zwar jetzt als Psychologe ausgebildet, aber er will in dem Metier bleiben und weiter schreiben. Aktuell sitzt er an seinem dritten Buch. Das erste Buch ging auf Kosten seines Vaters, das zweite auf bestimmte Typen von Lehrern an der Schule, vor allem im Sportbereich. Das dritte Buch bewegt sich ein bisschen weg von der Schule, da steht seine Mutter wohl im Vordergrund.

    Was machen Sie nach Ihrer Pensionierung?

    Gast: Meine Frau und ich haben uns vorgenommen, uns erstmal ein Jahr lang zu orientieren. Meine Frau macht ein Sabbatjahr und insofern kann man eine ganze Menge gemeinsam angehen. Was sofort geht und auch sofort gemacht wird: Wir wollen mehr Kultur wahrnehmen, speziell hier im Ruhrgebiet, da freuen wir uns sehr drauf. Da war bisher immer wenig Zeit für. Man konnte nur punktuell etwas machen, teilweise war es auch Pflicht, dass man bestimmte Veranstaltungen besucht. Außerdem wollen wir mehr reisen, nach Australien vielleicht. Was man immer mal in jungen Jahren machen wollte und wegen der Kinder verschoben hat, das wollen wir jetzt nachholen. Damit fangen wir aber nicht übermorgen an, sondern wollen uns erstmal einfinden in die Zeit nach der Schule, einen neuen Rhythmus finden und so langsam anfangen zu genießen.

    Was haben Sie noch vor?

    Gast: Ich werde weiterhin ein bisschen Politik machen. Und ich sammle Ansichtskarten von Gelsenkirchen, mittlerweile habe ich eine Sammlung von etwa 2000 Stück, auch aus dem 19. Jahrhundert, das fängt so etwa 1895 an. Die muss ich alle mal bearbeiten und vielleicht kann ich damit eine Ausstellung machen oder ein Buch schreiben. Und noch etwas schönes ist hinzugekommen: Ich bin seit acht Monaten Opa, die erste Enkeltochter hat sich eingestellt. Und ich merke schon, dass da eine kleine Aufgabe heranwächst, die mit viel Freude verbunden ist. Der andere Sohn hat gerade geheiratet, ich denke, er wird uns noch weiter beglücken (lacht). Familie anders wahrzunehmen, anders zu leben, das ist auch etwas, was im Ruhestand auf einen zukommt. Zu Hause muss ich mal sehen, ob meine Frau mich kochen lässt (lacht.) Da muss man sich wieder neu zusammenraufen, das hat ja jeder, der in den Ruhestand geht.