Gelsenkirchen. Es gibt alte, demente, verwirrte Menschen, die im Leben nicht alleine zurecht kommen. Ihnen stellt das Gericht Betreuer zur Seite. Das Ehepaar Rudnik hat sich für das Ehrenamt entschieden. Ihre Motivation: „Helfen gehört für uns zum Leben.“

Gleich ihr erster Fall war „ein schwerer Brocken“, erinnert sich Bärbel Rudnik (60). Für eine Seniorin, alleinstehend, ohne finanzielle Mittel und Rechnungen, die sich auf 12.000 Euro summierten, war die Frage zu klären, wo sie zukünftig leben wollte: Seniorenheim oder eigene Wohnung. Der erste Fall von Rainer Rudnik (61) war das genaue Gegenteil: Alles war geregelt. „Es war einfacher und weniger zeitaufwendig“, sagt er.

Bärbel und Rainer Rudnik sind ehrenamtliche Betreuer bei der Arbeiterwohlfahrt Gelsenkirchen, sie regeln das Leben von Menschen, die das aus unterschiedlichen Gründen gerade selbst nicht tun können. Das heißt: Sie dürfen über ihre Konten verfügen, bei Geldgeschäften mitentscheiden, sagen, wie viel Taschengeld sie noch ausgeben können, im Extremfall sogar die Freiheit nehmen.

Entscheidungen fällen

Das ist der eine Teil der Geschichte. Denn eigentlich besteht ihre Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass sie all das nicht machen müssen. Sie sollen mit den Menschen entscheiden – nicht über sie. „Manchmal muss man Sachen auch alleine entscheiden“, sagt Rainer Rudnik. Vor dieser Situation stand er bei einer älteren Frau, die dement und alkoholkrank war.

Jeder Ehepartner betreut seine „eigenen Fälle“. Natürlich tausche man sich darüber aus, sagt Rainer Rudnik. „Man braucht jemanden, um darüber zu sprechen.“ Bei offenen Fragen steht auch Kathrin Napieralla von der Awo-Beratungsstelle an der Grenzstraße bereit.

Warum engagiert sich ein Ehepaar, das eigentlich seinen Ruhestand genießen könnte, als ehrenamtliche Betreuer? Ist es das christliche Motiv der Nächstenliebe? „Glaube ja, aber wir haben keine Bindung an die Kirche“, erklären beide unisono. Eher sei es wohl das „Helfersyndrom“. Für den früheren Gelsenkirchener Polizeibeamten und die Koordinatorin der Mobilen Sozialen Dienste bei der Arbeiterwohlfahrt in Herten „gehört Helfen zum Leben“. Sie selbst würden sich als „Beschützer“ bezeichnen. „Wir investieren in Menschen“, sagt Bärbel Rudnik. Nicht nur in alte, demente, hilfsbedürftige Menschen, sondern auch in Kinder. Alle 14 Tage gehen sie mit den Großneffen in die Zoom-Erlebniswelt. „Das ist uns wichtig.“

Wer ehrenamtlicher Betreuer werden möchte, muss einen einwandfreien Leumund haben, bei Behörden beharrlich sein – und den „freien Willen“ des zu Betreuenden achten. „Selbst wenn man mit dessen Wohnsituation nicht immer einverstanden ist.“ Dafür ernte man viel positive Resonanz. „Manchmal ist es das Lächeln eines alten Menschen.“

Betreuerverein der Awo Gelsenkirchen/Bottrop begleitet 120 Menschen

Bis Ende 1991 war es in Deutschland möglich, einen Menschen zu entmündigen. Wer psychisch krank, geistig behindert, dement oder süchtig war, dem konnte ein Richter gegen seinen Willen einen Vormund zur Seite stellen. Das ist seit der Verabschiedung des Betreuungsgesetzes 1992 nicht mehr möglich. 80 Prozent der Betreuer sind Familienangehörige, der Rest Berufsbetreuer oder – wenige – Ehrenamtliche. Kathrin Napieralla von der Awo-Beratungsstelle an der Grenzstraße 47 schätzt, „dass nur 5% Nicht-Angehörige sind“.

Ehrenamtliche Betreuer wie das Ehepaar Rudnik sind rar. Für den Betreuungsverein der Awo GE/Bottrop sind 80 im Einsatz. Im Jahr erhalten sie 399 Euro Aufwandsentschädigung. Der Verein begleitet ca. 120 Menschen, denen per Gerichtsbeschluss ein Betreuer zur Seite gestellt wurde. Das Durchschnittsalter liegt bei 51 Jahren. „Die Menschen, denen ein Betreuer zur Seite gestellt wird, werden immer jünger“, sagt Napieralla. Immer mehr Jüngere hätten psychische Probleme, u.a. infolge von Drogenkonsum. Der Betreuungsverein sucht ehrenamtliche Betreuer. Voraussetzung: volljährig, uneingeschränkt geschäftsfähig.