Gelsenkirchen. Bei einem Arbeitsunfall im Stahlwerk starb 1940 der Vater von Adelgund Butterweck mit nur 31 Jahren. Die Mutter erkrankte während des Krieges an Tuberkulose und verstarb kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Unsere Zeitzeugin und ihre zwei Jahre jüngere Schwester wuchsen bei den Großeltern auf.
Adelgund Butterwecks Gedächtnis funktioniert trotz ihrer 78 Jahre hervorragend. Besser als ihr manchmal lieb ist. Zu genau erinnert sie sich an die Jahre einer harten Kindheit, an den Verlust von Vater und Mutter, an das Leben als Vollwaise, mit all der Trauer und all den Folgen. An so einem Leben kann man zerbrechen. Nicht so Adelgund Butterweck. Aufrecht und elegant ist die Endsiebzigerin mit den vielen Erinnerungen.
Sie ist Gelsenkirchener Kind und war gerade vier Jahre alt, als ihr Vater 1940 mit nur 31 Jahren bei einem Arbeitsunfall bei den Mannesmann-Röhrenwerken ums Leben kam. „Mein aufgebahrter Vater war der erste Tote, den ich gesehen habe.“ Wie es der jungen Witwe mit den zwei kleinen Mädchen erging, mag man daran ermessen, dass Monate nach dem Tod des Ehemannes das dritte Kind zur Welt kam und nur 14 Tage überlebte.
Auf dem Rückweg von Katernberg
Auf zwei Zimmern wohnte die kleine Familie im letzten Haus auf der Gewerkenstraße. Das Haus steht bis heute, jetzt heißt die Straße hier Tannenbergstraße. Noch gut erinnert sich Adelgund Butterweck an einen Angriff, bei dem es auch einen Einschlag in eine Ecke ihres Elternhauses gab. Sie saß damals mit Mutter, Schwester und Nachbarn im Keller des Hauses und wurde verschüttet, alle konnten unversehrt geborgen werden.
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Beim Großangriff auf Gelsenkirchen am 6. November 1944 war die Familie gerade zu Fuß auf dem Rückweg von der Oma in Essen-Katernberg nach Schalke. Um 13 Uhr gab es den Voralarm, und die Familie fand unterwegs Schutz im Bunker an der Haldenstraße. Noch heute steht dort eine alte Mauer des Bunkers, in dem gut 100 Leute Platz hatten.
Stillgelegter Kohlenbunker der Zeche Wilhelmine Victoria
Es war wohl ein stillgelegter Kohlenbunker der Zeche Wilhelmine Victoria, vermutet Adelgund Butterweck. Dafür spricht auch eine eingelassene Platte mit der Inschrift „Glück auf“ und dem Schlägel und Eisen Symbol. Um 14 Uhr begann die Bombardierung, bis zur Entwarnung vergingen Stunden. Viel Zerstörung, viele Tote brachte dieser 6. November. Das Elternhaus Adelgund Butterwecks und die beiden Nachbarhäuser blieben verschont.
Beim „Bunkerlaufen“, so ist die 78-Jährige bis heute überzeugt, hat sich ihre Mutter die Schwindsucht geholt. Nur wenige Jahre nach dem Tod des Vaters erkrankte sie an Tuberkulose und musste später von ihrer eigenen Mutter gepflegt werden. Unsere Zeitzeugin, die 1942 in Gelsenkirchen eingeschult wurde, und ihre zwei Jahre jüngere Schwester waren viel bei den Großeltern in Katernberg. 1946 starb die Mutter.
Die nur acht Jahre ältere Tante wurde Vormund der beiden Vollwaisen
Nach dem Tod der Mutter zogen Adelgund Butterweck und ihre jüngere Schwester, die nun Vollwaisen waren, ganz zu den Großeltern nach Katernberg. Eine nur acht Jahre ältere Tante wurde Vormund der beiden kleinen Mädchen. Sie sei für die Aufgabe und die Verantwortung gänzlich ungeeignete gewesen, erinnert sich unsere Zeitzeugin. Schutzlos seien ihre Schwester und sie dieser Tante ausgeliefert gewesen. Hassgefühle hat Adelgund Butterweck bis heute. Hunger leiden mussten sie und ihre Schwester dank des großen Gartens der Großeltern in ihrer Kindheit nie, aber Liebe, Halt und Zuspruch waren im Leben der kleinen Waisen Mangelware.
„Ich habe trotzdem meinen Weg gemacht“ ist die 78-jährige stolz auf eine berufliche Karriere bis zur Rente in Einzelhandel und Büro. Mit 50 Jahren wurde sie Witwe und hat ihre beiden Töchter alleine groß gezogen und studieren lassen.