Gelsenkirchen. Bei der zweiten Techniknacht Ruhr bot sich 1500 Besuchern ein Einblick in den Industrieraum von BP und Sabic-Werke in Scholven – den größten Raffinerie-Chemiekomplex Deutschlands.

Über 100 Meter ragen die Türme heraus, Flammen und ein Lichtermeer erhellen den Nachthimmel. Ein Netz aus Rohren, soweit das Auge recht, Rauchschwaden und beißender Geruch erfüllen die Luft. Hier in Scholven fällt es nicht schwer, sich an die „Stadt der tausend Feuer“ zu erinnern. Doch hinter dem Geschäft mit dem schwarzen Gold steckt feinste Technik und jede Menge Know-How.

300 Hektar Werksgelände

„Know How“ lautete das Motto der 2. Techniknacht Ruhr. Von 18 bis 1 Uhr pilgerten die Besucher mit einem Ticket zu den 150 Führungen in Gelsenkirchen und den umliegenden Städten und erhielten eine Einführung in die Technik. Trotz trüben Herbstwetters nutzten rund 1500 Technik-Fans die Chance, sich aus der Nähe ein Bild vom Industriestandort Scholven zu machen. Im 30-Minuten-Takt wurden die Gäste in Bussen über das 300 Hektar große Kraftwerksgelände und hinauf auf die Halde Oberscholven geführt.

„Das ist unsere Hauptschlagader“, erklärt Klaus Schindler von BP und deutet auf die riesigen Pipelinerohre. Zwölf Millionen Tonnen Rohöl kommen hier pro Jahr an und werden in komplexen Destillationsprozessen weiter verarbeitet. „Bei der Destillation wird das Ausgangsgemisch zum Sieden gebracht, um verschiedene Komponenten voneinander zu trennen“, frischt Schindler das Wissen der Besucher auf. Rohöl, ein Mix aus Kohlenwasserstoffen mit unterschiedlichen Siedepunkten, wird im Röhrenofen bei 350° C in die einzelnen Komponenten getrennt.

Jeder hatte schon mal ein solches Produkt in der Hand

Die „leichten“ Stoffe wie Flüssiggas sammeln sich oben, absteigend folgen Benzin, Diesel und Heizöl, die insgesamt rund 60% ausmachen. Die restlichen „schweren“ Stoffe werden per Vakuumdestillation, mit „Visbreaker“, „Hydrocracker“ und anderen Hi-Tech-Verfahren molekular aufgespalten und „verfeinert“. Während die meisten Stoffe nun mehr oder minder direkt in unsere Motoren und Heizungen gelangen, sind einige der „leichten“ Stoffe erst der Ausgangspunkt für Thomas Wüller und die Sabic.

Die Firma, die sich mehrheitlich im saudischen Staatsbesitz befindet, stellt Kunststoffgranulat her. Das Ausgangsprodukt, das von BP geliefert wird, wird von Sabic „polymerisiert“. Heraus kommen die Stoffe Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) – die beiden Kunststoffe, die weltweit am meisten Verwendung finden. „Aus den Kügelchen werden Abwasserrohre, Kinderspielzeuge, Lebensmittelverpackungen und vieles mehr“, erläutert der Experte. 1,3 Millionen Tonnen, zehn Prozent der europäischen Nachfrage, werden hier produziert. „Eins ist sicher: Jeder von ihnen hatte heute schon ein Produkt von uns in der Hand“.

Industrie in Scholven gestern und heute

Das 1935 erbaute Werk nutzte noch eine aufwendige Technik: Aus der reichlich vorhandenen Steinkohle wurden mit Hilfe von hohem Druck Kraftstoffe gewonnen. Das war nötig, schließlich war Deutschland international isoliert. Das Werk diente in den folgenden Jahren der Kriegsvorbereitung und wurde schließlich 1945 komplett zerstört.

Auch wenn die Geschichte negativ ist, profitiert der Standort noch heute: „Wir haben viele ausgewiesene Experten für technische Verfahren, die mit hohem Druck arbeiten“, erklärt Klaus Schindler. Insgesamt 3700 Menschen arbeiten heute in Scholven für Eon, Sabic und BP.