Gelsenkirchen.

Peer Steinbrück genießt das Bad in der Menge. Hier ein freundliches Schulterklopfen, da ein paar Sätze mit Passanten, die den dichten Ring aus Fotografen, Kameraleuten und Sicherheitsbeamten durchbrechen können. Der brave Applaus der Menschen freut ihn und er gibt ihn gerne zurück. Der SPD-Kanzlerkandidat ist vier Tage vor der Bundestagswahl auf Besuch in Gelsenkirchen und präsentiert sich seinen Anhängern und Gegnern weit weniger gestresst, als ihn so mancher erwartet haben mag zu diesem Zeitpunkt.

Politisch dominierter Stadtteil

Das Quartier rund um die Essener Straße im Stadtteil Horst ist an diesem Mittwoch politisch dominiert. Ingrid Remmers wirbt am Rande des Wochenmarktes auf dem Josef-Büscher-Platz für sich und die Linke. Oliver Wittke spricht an der Essener Straße mit Passanten und erläutert ihnen sowohl seine Standpunkte als auch die der CDU. Ein paar Schritte weiter steht Irene Mihalic am Info-Stand der Grünen und stellt sich den Fragen der Passanten.

Den Top-Act an diesem Wahlkampftag aber moderiert Joachim Poß mit diesen Worten an: „Peer Steinbrück ist kein Mann, der dem Gewühl aus dem Weg geht und er wird sich am Sonntag seinen Weg bahnen zur Kanzlerschaft“, ruft der ewige Bundestagsabgeordnete der SPD Gelsenkirchen in ein Mikro, ehe sich Minuten später der frühere Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und Bundesfinanzminister seinen Weg zum Stand bahnt.

Das Land brauche eine Richtung

Auf den Punkt redet er, weil die Menschen im Revier eine direkte Ansprache zu schätzen wüssten, wie er sagt, rekapituliert die Themen, die im Zentrum des sozialdemokratischen Wahlprogramms stehen, wie Mindestlohn, Chancengleichheit, Erwerbsarmut, eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen, „besonders der im Ruhrgebiet“. Die Kanzlerin wähnt der Kandidat im Kreisverkehr, „dort fährt sie gerne ohne anzuecken“. Aber dieses Land brauche eine Richtung, die er, die die SPD ihm geben wolle.

Eine Zuhörerin sagt: „Der ist ja gar nicht so arrogant, wie er immer dargestellt wird, sondern volksnah“ – und spielt mit einer roten SPD-Rose, die sie in Händen hält. Derweil setzt sich der Tross in Bewegung. Über die Essener Straße und den Wochenmarkt schlendert Steinbrück zum Schloss Horst. Umringt von Gefolgsleuten, von Schaulustigen. Am CDU-Stand halten sie ihm demonstrativ Schilder entgegen, auf denen zu lesen steht: „Angie win!“ Mit einem Augenzwinkern bietet er ihnen eine Blume an zum Tausch – und geht unbeeindruckt seinen Weg.

Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit

Für viele sei die Tatsache, dass sich Peer Steinbrück ausdrücklich Zeit für dieses Gespräch in Schloss Horst genommen habe, als Wertschätzung ihrer Arbeit gewertet worden. Das sagte Brigitta Blömeke nach dem Treffen des SPD-Kanzlerkandidaten mit rund 40 Frauen und Männern aus Gelsenkirchen , die sich in verschiedenen Bereichen ehrenamtlich engagieren.

So wie die WAZ-Leserbeirätin Blömeke selbst. Die 64-Jährige ist stellvertretende Vorsitzende der Kulturloge und als solche mit der Spezialaufgabe betraut, Dependancen des 2010 in Essen ins Leben gerufenen Projekts anzuschieben. Steinbrück habe in seinem Eingangsstatement daran erinnert, dass er sich als NRW-Ministerpräsident sehr um ehrenamtlich Engagierte bemüht habe. „Ohne Ehrenamt ist diese Gesellschaft nicht lebensfähig“, zitierte sie den SPD-Spitzenkandidaten. „Wir konnten auch Fragen stellen. Vertreter von Vereinen haben dabei von den finanziellen Sorgen der Vereine berichtet“, sagte Brigitta Blömeke anschließend. Steinbrück hätte erklärt, die Kommunen seien klamm. Eine Chance, diese zu unterstützen, sehe er in der Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

Das Gespräch mit den Ehrenamtlern fiel übrigens kürzer aus als ursprünglich geplant. Der Grund: Steinbrück hatte für den Weg zum Schloss, immer dicht umringt von einer großen Menschentraube (siehe oben), länger gebraucht.